Kappstein – mit Rad-Technik aus Gotha zu Olympia nach Tokio

Die Thüringer Wirtschaft hat die schwierigen Nachwendejahre hinter sich gelassen. Gründergeist und Engagement haben viele innovative Unternehmen hervorgebracht. Eines ist Kappstein: Der Mittelständler aus Gotha ist Spezialist für Fahrrad- und Rennradausrüstung.
Stefan Bötticher auf dem Bahnrad-Oval: Der 27-jährige amtierende Europameister in der Bahnraddisziplin Keirin nutzt das Material von Kappstein. (© Drew Kaplan)

Wenn am 3. August 2020 die Bahnradwettkämpfe bei den Olympischen Spielen in Tokio beginnen, soll für der Thüringer Stefan Bötticher der Traum von Olympia in Erfüllung gehen. Der 23-jährige Radsportler aus Leinefelde im Eichsfeld hat schon zwei Weltmeistertitel eingefahren und ist amtierender Bahnrad-Europameister in der Sprintdisziplin Keirin. Die Olympia-Teilnahme blieb ihm bislang allerdings verwehrt. Auf der Bahn im Izu Velodrome, 120 Kilometer südlich der japanischen Hauptstadt, wird an seinem und mehreren weiteren Rädern auch Technik aus dem thüringischen Gotha mit am Start sein.

Unterhalb von Schloss Friedenstein, nur ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt, hat die Firma Kappstein seit 2012 ihren Sitz in einem modernen, zweigeschossigen Gebäude im Industriegebiet. Die kleine Manufaktur ist Spezialist für Fahrrad- und Rennrad-Ausrüstung. Mit ihren Kettenblättern und Ritzeln rüstet das mittelständische Unternehmen bereits weite Teile des deutschen Bahnrad-Nationalteams, aber auch Radsportler aus den Niederlanden, den USA und Mexiko aus. Auch bei den Bahnrad-Weltmeisterschaften vom 26. Februar bis 1. März in Berlin wird Equipment aus Gotha am Start sein. Die WM findet erstmals seit 2003 wieder in Deutschland statt und gilt als Vorbereitung für Olympia.

„Wir sind deutschlandweit die Einzigen, die solches Profi- Equipment herstellen“, sagt Marketingleiter Jens Küchler. © Kappstein

Bei Kappstein ist man stolz auf Stefan Bötticher, den Marketingleiter Jens Küchler nur „Bötti“ nennt. Der Blick des Besuchers fällt sofort auf ein großes Foto im Treppenhaus, das den Bahnradsprinter und sein Hightech-Sportgerät zeigt. Auf dem Kettenblatt des Rades prangt der Schriftzug „Kappstein“. Auch ein signiertes Trikot der zweimaligen Olympiasiegerin und elfmalige Weltmeisterin Kristina Vogel hängt an der Wand. Die 28-Jährige war bis zu ihrem schweren Unfall vor einem Jahr ebenfalls eine wichtige Partnerin von Kappstein. „Sie stammt ja von hier und war eine der ersten, die wir von unserer Technik überzeugen konnten und die sie im Wettkampf eingesetzt hat“, sagt Küchler.

Speziell für hohe Anforderungen der Bahnradsportler entwickelt

Sein neuestes „Elite“ Kettenblatt hat Kappstein in Zusammenarbeit mit dem FES (Institut für Forschung Entwicklung von Sportgeräten) in Berlin entwickelt. Es ist speziell für die hohen Anforderungen der Bahnradsportler und deren Rahmen entwickelt. „Wir sind deutschlandweit die einzigen, die solches Profiequipment herstellen“, erklärt der Marketingleiter. „100 Prozent ‚made in Germany‘ ist dabei unser Markenzeichen.“ Topathleten auf der Jagd nach Bestzeiten fahren bis zu 70 Stundenkilometer schnell und sind dafür in der Lage, Kettenblätter mit bis zu 60 Zähnen zu treten. Die Kettenblätter aus Aluminium bezeichnet Küchler als „hochwertigste auf dem Markt“. Durch eine spezielle Beschichtung werde die Kette optimal geleitet, Kraftverluste und Verschleiß auf ein Minimum reduziert.

Das Kettenblatt von Kappstein ist speziell für den Leistungssport oder für extrem hohe Anforderungen entwickelt worden. © Kappstein

In dem kleinen Showroom zeigt der Marketingverantwortliche, was das Unternehmen sonst noch zu bieten hat: Da wäre etwa das 2-Gang Tretlagergetriebe Doppio. Die kompakte, leichte und komfortable Getriebeeinheit im Tretlager ist in Stadt-, Trekking- und Klapprädern einsetzbar. Dort macht sie ein zweites und drittes Kettenblatt an den Pedalen überflüssig. Kappstein ist damit bereits Partner von Fahrradherstellern wie Kwiggle und Ghost. Doppio ermöglicht auch modernen Rädern mit Riemenantrieb statt Kette das Schalten von Gängen und ist in Verbindung mit einem Heckmotor auch in E-Bikes einsetzbar. Diese Motoren mit integrierter Drei-Gang-Schaltung hat Kappstein ebenfalls im Angebot. Im Gegensatz zu den mechanischen Komponenten, die vor Ort in Gotha entstehen, werden sie in China produziert, allerdings mit Bestandteilen aus Thüringen.

Das junge Unternehmen profitiert im Bereich E-Mobilität von einem großen Erfahrungsschatz seiner beiden Geschäftsführer und Eigentümer: „Wir waren Pioniere am E-Bike-Markt und haben die ersten Motoren um die Jahrtausendwende in die Niederlande exportiert“, sagt Christian Gerlach. Der Betriebswirt hat mehr als zwölf Jahre in Australien gelebt und dort für die chinesische Technologiefirma seines heutigen Geschäftspartners Xuefeng Ye gearbeitet, bevor er nach Thüringen kam. Der Chinese ist nun auch Gerlachs Kompagnon bei Kappstein und der technische Mastermind hinter vielen Innovationen von Kappstein.

Servicecenter für Elektromotoren geplant

Die Gründung des Mittelständlers im Thüringen war dazu gedacht, näher an den europäischen Markt heranzurücken. „Wir haben das Prinzip ein Stück weit umgekehrt: Wir entwickeln in Asien und produzieren in Deutschland mit modernsten Maschinen“, erklärt Gerlach. „Dank unserer Erfahrung sind wir in der Lage, individuelle E-Mobility-Lösungen für Pedelecs und S-Pedelecs nach Kundenwunsch anzufertigen.“ Seine Produkte liefert Kappstein mittlerweile auch in Shops in den USA, in China, der Schweiz und den Niederlanden. Ein Partner im nordwestlichen Nachbarland ist der Hersteller Logo E-Bikes. Generell werde sein Unternehmen mittlerweile gut am Markt wahrgenommen. „Der Profisport hat geholfen, dass Kunden wie Fahrradhersteller und Händler mittlerweile auf uns zukommen.“ Ein Auftritt auf den großen Branchenmessen ist für Kappstein unverzichtbar.

„Wir entwickeln in Asien und produzieren in Deutschland mit modernsten Maschinen“, sagt Christian Gerlach, Geschäftsführer und Miteigentümer. © Kappstein

Der Geschäftsführer plant nun die nächsten Schritte: In den kommenden ein bis zwei Jahren soll ein kleines Servicecenter für Elektromotoren in Gotha entstehen. Die Zahl der Mitarbeiter, derzeit sind das ein Dutzend und zwei Azubis, könnte sich in den kommenden drei bis vier Jahren verdoppeln. Der Innovationsgrad soll weiter hochgehalten werden. „Alles, was wir machen, muss in irgendeiner Form innovativ sein“, sagt der Geschäftsführer. Die nächsten Produkte seien bereits entwickelt und sollen schon bald den Markt erobern, etwa eine sogenannte Kick-Shift-Schaltung, bei der ohne Seilzug nur durch leichtes Zurücktreten der Pedale die Gänge geschalten werden. Auch Kettenblätter für sogenannte Gravel-Bikes, eine Mischung aus Cross- und Rennrad, und Hinterradnaben mit sofortigem Kraftschluss und ohne Klickgeräusche zählen zu den jüngsten Innovationen.

Wo will er mit Kappstein hin? „Unser Ziel ist es, über den Radsport hinaus ein nennenswerter Komponentenhersteller zu werden und den Kunden eine andere Option als die internationalen Hersteller wie Shimano oder Sram zu bieten.“

Dieser Artikel ist in einer längeren Version im Rahmen des Schwerpunkts Mittelstand in Thüringen in unserer Print-Ausgabe absatzwirtschaft 09/2019 erschienen. Diese und weitere Ausgaben oder ein kostenloses Probeabo der absatzwirtschaft können Sie hier bestellen.

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Er hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.