„Jedem dritten Deutschen fehlt eine nahtlose Kundenbetreuung“

Deutsche Unternehmen haben große Schwierigkeiten, mit den Ansprüchen ihrer zunehmend vernetzten und online-affinen Kunden Schritt zu halten. Sven Drinkuth, Leiter des Bereich Sales & Customer Services im deutschsprachigen Raum bei Accenture Strategy, spricht im Interview über schnellere Entscheidungsprozesse, Kundenbetreuung und Kaufentscheidungen

Inwiefern müssen Unternehmen hierzulande ihre digitalen Strategien optimieren?

SVEN DRINKUTH: Viele Unternehmen haben zwar digitale Ambitionen, werden aber meist nur punktuell aktiv – hier eine Facebook-Seite, da eine App, dort ein neuer Webauftritt. Und auch mit dem Einstellen eines Ex-Amazon-, Ebay- oder Google-Mitarbeiters für das Thema „Digital“ ist es längst nicht getan. Die Unternehmen müssen auf neue Geschäftsmodelle, neue Vorgehensweisen, neue Kooperationspartner setzen. Dazu benötigt es jedoch auch neue Strukturen sowie agile, schnellere Entscheidungsprozesse. Der Kunde entscheidet, wann er welchen Kanal nutzt und das Tempo, in dem er interagieren will. Das erfordert den Aufbau ganz neuer Fähigkeiten, letztlich auch bei den Mitarbeitern.

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Wie gelingt es Unternehmen, ihre physischen und digitalen Kontaktpunkte zu den Kunden zu verbinden?

Unternehmen müssen den Kunden ins Zentrum stellen, nicht Kanäle, Produkte oder Geographien. Sie sollten den Kunden stets erkennen, egal wo er welchen Kanal nutzt. Grundlage dafür sind Technologie- und Datenstrukturen, die eine gesamtheitliche Sicht ermöglichen. Sprich, alle Kontaktpunkte mit dem Unternehmen – egal ob über Call Center, mobile Website, persönliche Mailings oder physisch im Geschäft, oder ob sich diese auf das Produkt A oder den Service B beziehen – müssen in nahezu Echtzeit verknüpft werden. Im Vergleich zu anderen entwickelten Märkten fehlt gut jedem dritten Deutschen (34%) eine solch nahtlose Kundenbetreuung. Das führt letztlich zu unnötiger Kundenabwanderung.

Welche Kanäle werden von den deutschen Verbrauchern bevorzugt?

Bild von Louis 'Lui' Padberg(75)

Neben Mund-zu-Mund Propaganda nutzen 83% der deutschen Verbraucher immer auch mindestens eine Online-Quelle zur Information. In der Top-5-Liste der am häufigsten genutzten Kanäle sind drei digitale. Lediglich die Information im Geschäft wird vergleichbar oft genutzt, hat aber nicht den gleichen Einfluss auf die Kaufentscheidung. Auch mobile Endgeräte nehmen eine immer wichtigere Rolle für den Endverbraucher ein: Im letzten Jahr ist ein Anstieg von 50% bei der Nutzung von mobilen Endgeräten als Haupteinstiegsmedium für Online-Informationsquellen zu verzeichnen. Allerdings macht der persönliche Kontakt nach wie vor den Unterschied: Die höchste Zufriedenheit erreichen „menschliche“ Interaktionen, auch bei digitalen Kanälen mittels Online-Chats.

Welche Perspektiven bieten sich Unternehmen, wenn sie die Erwartungen der Kunden adäquat adressieren lassen?

Der deutsche Verbraucher hat klare Vorstellungen: Ehrlichkeit im Verkaufsprozess und schnelle Lösung eines Problems im Erstkontakt stehen besonders hoch im Kurs im Vergleich zu anderen Ländern. Ist das gegeben, ist er ein loyaler Kunde, wenn er jedoch gefrustet ist, dann wechselt er nachhaltig den Anbieter. Der Markt dieser Wechselwirtschaft, der „Switching Economy“, summiert sich global zu einem Umsatzpotential von $ 6 Billionen. (ca. € 4,6 Billionen). Kunden zu halten oder hinzuzugewinnen, indem deren Wünsche und Erwartungen adäquat adressiert werden, bedeutet für Unternehmen insofern eine Riesenchance.

Das Interview wurde in schriftlicher Form geführt