Patienten, die ihren Frust über ihren Arzt herauslassen, von Kunstfehlern schreiben, mit Klage drohen, sich schlecht behandelt fühlen, nicht schnell genug Termine oder Krankmeldungen bekommen haben, beschweren sich im Web gern auf Bewertungsportalen wie Jameda. Ärzte waren dieser Kritik bislang hilflos ausgeliefert. Ein aktuelles Gerichtsurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe ändert das: Eine Kölner Ärztin hatte ihr Persönlichkeitsrecht verletzt gesehen und geklagt, weil Jameda gegen ihren Willen einen Eintrag über sie führte. Bei der ersten BGH-Entscheidung im Jahr 2014 verlor die Ärztin. Doch nun muss die Bewertungsplattform die Daten der Hautärztin vollständig löschen. Höcker Rechtsanwälte vertrat die Ärztin und setzte die Werbemöglichkeit auf Jameda in den Fokus der Klage. Im Presstext heißt es dazu: „Das Gericht folgt damit der Argumentation, wonach bei der Frage, ob ein Arzt gegen seinen Willen eine Aufnahme in ein Bewertungsportal dulden muss, zwischen klassischen reinen Bewertungsportalen einerseits und Portalen mit Präsentations- und Werbemöglichkeiten zugunsten der zu bewertenden Ärzte andererseits zu unterscheiden ist. Während klassische reine Bewertungsportale eine gesellschaftlich gewünschte Funktion erfüllen, verfolgen Portale mit Präsentations- und Werbemöglichkeiten zugunsten der zu bewertenden Ärzten vornehmlich profitorientierte Zwecke des Betreibers und dessen jeweiligen zahlenden Kunden. Für solche Zwecke müssen Ärzte ihre Daten nicht zwangsweise hergeben.“
Die Plattform Jemada lebt davon, dass Ärzte für einen Eintrag mit mehr Funktionen – einem Bild und ausführlicher Werbung – einen monatlichen Mitgliedsbeitrag zahlen. Das Portal gehört seit Anfang 2016 zur Burda Digital GmbH.
Bei den Bewertungen herrsche Neutralität, keiner könne Bewertungen kaufen, versichert Jameda. Laut Gerichtsurteil ist aber die Werbung der zahlenden Ärzte nicht klar genug gekennzeichnet. „Das ausschlaggebende Argument der Klägerin war in diesem Fall, dass Jameda die Rolle des neutralen Vermittlers verlassen habe. Die Verwendung eines Hinweises ‘Anzeige’ ist laut Gericht nicht ausreichend, somit muss Jameda den Verbraucher Nutzer zukünftig besser aufklären“, erklärt Rechtsanwalt Jens Borchardt von SKW Schwarz Rechtsanwälte gegenüber der asw. Borchardt berät Unternehmen in Fragen des IT-, Medien- und Urheberrechts sowie im Gewerblichen Rechtsschutz.
Veränderung für die Webseite
Was muss Jameda nun ändern? Grundlegend müssen die Werbeanzeigen verändert und anders gekennzeichnet werden und es dürfen künftig keine Anzeigen der Premiumkunden mehr in den Profilen der nicht zahlenden Mediziner gezeigt werden. Für Borchardt steht fest, dass das Urteil die Nutzer der Bewertungsseiten besser schützt: „Natürlich kann eine veränderte Darstellung der Profile Auswirkungen auf das Geschäftsmodel haben. Daher hat das Urteil auch Ausstrahlungswirkung auf andere ähnliche Portale. Sämtliche Portale, die zwischen einfachen und Premium-Nutzern differenzieren, sollten ihre Darstellung daher überprüfen.”
Branchenweiter Aufbruch
Doch das Urteil bietet auch Chancen: Schafft Jameda es, die Seite entsprechend umzustellen, kann das Werbegeschäft weiterhin aufgehen und das Bewertungsportal bleibe eine Anlaufstelle für Patienten auf der Suche nach dem richtigen Arzt. Erneute Klagen von Ärzten, die auch neue Kennzeichnungen als nicht ausreichend empfinden, könnten aber weiterhin drohen. „Das Geschäftsmodell ist vom Gericht nicht verworfen worden. Es geht vor allem darum, dass die Nutzer nicht transparent darüber aufgeklärt werden, ob es sich um ein bezahltes Profil eines Arztes handelt, oder nicht“, sagt Borchardt.
Warum auch immer RA XY es als gut empfindet, dass das Geschäftsmodell nicht verworfen wurde, ist m. E. hier nicht geklärt. Mit Bewertungen habe ich täglich zu tun und jeder darf darüber denken, was er möchte. Ich habe aus guten Gründen eine persönliche Abneigung gegen die Plattform. Und dieses heuchlerische Statement von Jameda, welches sich sinngemäß darauf bezieht, dass Patienten ein Recht darauf haben, einen Arzt zu finden, macht es nicht besser. Eine Firma, die zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen auf Teufel komm’ raus gegen die eigene Klientel klagt, soll das Beste für Patienten sein und umfassende, neutrale Aufklärung betreiben? Wie naiv kann man eigentlich sein?
Konstruiertes Echtheits-Postulat, manipulierte Bewertungs-Durchschnitte und unlauterer Wettbewerb
Nach dem Urteil gegen die Profillöschung bei Jameda 2014 erklärte Wolfgang Büscher, Vorsitzender Richter des Bundesgerichtshofes und zuständig in der Angelegenheit, ausdrücklich, dass der Werbe-Aspekt des Portals unberücksichtigt geblieben war. In einer juristischen Fachzeitschrift, deren Herausgeber er auch ist – GRUR Prax – veröffentlichte er daraufhin einen grundlegenden Artikel zum Thema „Soziale Medien, Bewertungsplattformen & Co“. Er kommt in Kapitel 3 (S. 8 ff) zu dem Ergebnis, dass bei Bewertungsportalen mit Präsentations- und Werbemöglichkeiten – genau das ist Jameda – das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb Anwendung findet. Deshalb dürfen bei Kombinations-Portalen Profile nicht ohne ausdrückliche Genehmigung aufgestellt werden. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung überwiegt die Kommunikations-Freiheit des Portalbetreibers und eine Zwangsrekrutierung kann Schadenersatz-Forderungen nach sich ziehen. Auch die aktuelle DSGVO muss nun berücksichtigt werden. Die Kölner Dermatologin Astrid Eichhorn hatte aber nicht deshalb geklagt. Sie sah völlig zu Recht ihre Persönlichkeitsrechte verletzt durch das Einblenden von Profilen zahlender Jameda-Kunden in ihrem eigenen Profil. Dass diese zahlende Konkurrenz in der Regel auch die besseren Bewertungs-Durchschnitte hatte, blieb bei diesem Urteil unberücksichtigt, denn das war nicht Gegenstand der Auseinandersetzung.
Aber genau darum geht es. Die Wettbewerbsbehörde kann nicht von Einzelpersonen angerufen werden, sehr wohl aber von der Ärzte- und Zahnärztekammer. Die ZEIT-Statistik mit 6.500 Fällen vom 18. Januar, beliebige Stichproben und die Analyse der schlecht bewerteten Ärzte und Zahnärzte innerhalb von Jamedas Web-Page selbst sprechen eine so klare und deutliche Sprache, dass die Kammern auf der Grundlage von Wolfgang Büschers Artikel Klage bei der Wettbewerbsbehörde einreichen sollten. Das gehört zu ihren originären Aufgaben. Unterlassen sie dies, dann nehmen sie die bereits weit fortgeschrittene Täuschung von Patienten und die Korrumpierung der Kollegenschaft nach dem Motto: „Wer zahlt, gewinnt“ zumindest billigend in Kauf. Solange Jameda sein Werbeportal nicht strikt von einem nicht-kommerziellen Bewertungsportal – mit gleichen Spielregeln für alle Teilnehmer – trennt, kann von Neutralität auf keinen Fall die Rede sein. Der Wirtschaftsstatistik-Professor Walter Krämer aus Dortmund hat gerade eine Master-Arbeit zum Thema ausgelobt. Sie wird die Arbeit von dem ZEIT-Redakteur Tin Fischer weiter vertiefen und wissenschaftlich fundieren. Auf deren Ergebnisse sollten wir aber nicht warten, denn es besteht Gefahr in Verzug.
Auch Jamedas Echtheits-Postulat der Bewertungen ist konstruiert. Wie „gefaket“ diese Bewertungen sind, beweist eine WDR Sendung vom 8.11.2017 und eine RBB Sendung vom 7.5. diesen Jahres. Beliebige Passanten einer Einkaufsstraße in Köln und Berlin haben Ärzte bewertet, die sie gar nicht kannten, und diese Bewertungen sind im Profil der Ärzte tatsächlich veröffentlicht worden. Wenn das Echtheits-Postulat ernst gemeint wäre, dann würde man bei jeder Bewertung einen Behandlungs-Nachweis verlangen. Das ist ganz einfach: man legt der Bewertung ein Smartphone-Foto von einem Rezept, einer Krankschreibung oder einer Überweisung bei und bei Nachfrage des betroffenen Arztes/Zahnarztes leitet man es anonymisiert an diesen weiter. Bewertungsfabriken sind ja nur die Spitze des Eisberges und wenn Jameda gegen diese vorgeht, macht man sich nur vom Bock zum Gärtner. Denn der ZEIT-Artikel legt nicht nur nahe, dass Bewertungs-Durchschnitte manipuliert werden sondern auch, dass zahlende Kunden selbst für zahlreiche Positiv-Bewertungen sorgen. Es bleibt dabei: Bewertungsportale und Werbeportale müssen getrennt werden, andernfalls kommt das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) zur Anwendung, wie es Wolfgang Büscher klar macht. Wenn sich Jameda daran nicht hält, dann muss das Portal zerschlagen werden.