Interview: Zustand Datenreporting – Orchesterprobe statt Symphonie

Eine Vielzahl von Anbietern offeriert Reporting-Tools, die Daten über verschiedene Kanäle messen, aufbereiten und berichten. Das nutzt aber gar nichts, wenn die Maßnahmen zur Datenerhebung nicht synchronisiert erfolgen und einer gemeinsamen Strategie gehorchen, meint Axel Amthor von Contentmetrics.

Herr Amthor, inzwischen sind doch in jedem Marketingkanal genug Daten erhebbar, um dessen Wirksamkeit einzuschätzen. Wo liegt das Problem?

AXEL AMTHOR: Das Problem ist, dass die Daten überhaupt nicht verknüpft sind. Sie wissen doch noch nicht mal, wo es Doppelzählungen gibt und verwenden in den einzelnen Kanälen teilweise unvergleichbare Messgrößen. Die Anbieter versprechen, dass Sie mit deren Reporting-Tools die verschiedenen Kanäle orchestrieren können. In der Praxis hört sich das meistens eher an, wie eine erste Orchesterprobe.

Gilt das auch schon für den reinen Online-Händler?

AMTHOR: Natürlich. Schauen Sie sich doch nur Social Media an. Google+, Facebook oder Twitter benutzen alle eigene APIs mit unterschiedlichen Metriken wie zum Beispiel Likes pro User. Wie bringt man die in Übereinstimmung mit Abverkaufszahlen? Und dann kommen noch Google-Suche, Display und Retargeting hinzu und schon bin ich bei sechs verschiedenen Dateninseln. Da passt nichts aufeinander.

Hinzu kommt noch, dass die Nutzer so „unfair“ sind und auf mehreren unterschiedlichen Endgeräten agieren, so dass man Cookies setzen kann so viele man will und man findet die User trotzdem nicht wieder, obwohl eine Kampagne eventuell funktioniert hat.

Wenn der User nach einem Log-In erkannt wird, gelingt es aber.

AMTHOR: Klar, aber was ist mit Retargeting? Da arbeitet man auf völlig fremden Websites. Wir haben einen Fall mit einem Onlinehändler, da bekommen wir vom Retargeting-Netzwerk gar keine Daten über die Conversion. Wir wissen zwar, wie viele Sales generiert wurden, aber nicht mit wie vielen Kontakten und schon gar nicht, wo die User herkamen. Wenn ich die Abverkäufe aus allen Kanälen zusammen zähle, lande ich irgendwo bei 200 Prozent, weil alles doppelt gezählt wird. Woher soll der Marketer wissen, welcher Kanal wichtiger ist, als der andere?

Sind die Marketer überhaupt dafür ausgebildet?

AMTHOR: Nein, ganz sicher nicht. Dafür braucht es KnowHow in DataMining und Business-Intelligence. Zalando hat sich für diese Aufgabe mit Christian Pern extra einen Mann mit Business-Intelligence-Hintergrund für das CRM geholt.

Wird auch Zalando Probleme mit nicht verknüpften Daten haben?

Amthor: Das ist möglich.

Gibt es Standardisierungsbemühungen was die Datenqualität angeht?

AMTHOR: Im Gegenteil. Facebook sagt, wir geben euch die Zahlen. Selbst zählen mit zum Beispiel SiteCatalyst kann man nicht.

Es hapert also vor allem an der Technik?

AMTHOR: Nein. Ich kann die Probleme eingrenzen. Ich kann sie nicht aufheben, aber eingrenzen. Das ist alles keine Rocket Science. Wir reden hier noch lange nicht von Big Data, das passt noch in eine Excel-Tabelle.

Bemerken Sie Reibungsverluste beim Versuch der Harmonisierung durch Haltekräfte seitens der Mitarbeiter?

AMTHOR: Das ist der Punkt. Wir bemerken praktisch nur Reibungsverluste. Derzeit befinden wir uns intern in hitzigen Diskussionen darüber, wie wir das Thema in die Chefetagen der Kunden bringen. Anders geht es nicht.

Woher kommt das?

AMTHOR: Schauen Sie sich Social Media an. Mangels Kompetenz im Unternehmen holt man sich von außen jemanden und der macht dann Social Media. Und prompt haben Sie eine Insel im Unternehmen geschaffen, die losgelöst vom Rest funktioniert. Die Einsicht in den Unternehmen ist noch nicht genügend ausgebildet, dass sich die einzelnen Kanalverantwortlichen als Rädchen in einem größeren Getriebe verstehen. Nur die allerwenigsten Unternehmen schaffen das intrinsisch. Die meisten brauchen eine Beratung, die da ständig hinterher guckt.

Dazu kommt noch, dass gerade Social-Media-Experten eine gewisse Überheblichkeit an den Tag legen nach dem Motto: Wir machen das bessere Marketing.

Reporting-Tools, Bonusprogramme und Reibungsverluste

Gibt es nicht Reporting-Tools, die man darüber legt und die diese Silos verbinden?

AMTHOR: Die Problematik an der Stelle ist, dass man von vorne herein eine Durchgängigkeit im Marketing herstellen muss. Das geht schon bei der Kennzeichnung der Kampagnen los. Oder das Thema Cookies. Die meisten Unternehmen haben keine Regeln dafür, welche Maßnahme an welcher Stelle welche Informationen in ein Cookie schreiben oder daraus lesen darf. Wenn Sie da reingehen, greifen Sie in die laufenden Prozesse ein und da haben Sie Bottom-up heftigste Widerstände.

Wie geht man idealtypisch vor, um zwei Kanäle vergleichbar zu machen?

AMTHOR: Nehmen wir zunächst einen Katalogversender. Der kann viel über die Produktnummer abwickeln. Damit erhebe ich Zahlen, die tendenziell zu niedrig sind, weil es internetaffine Nutzer gibt, die in den Onlineshop gehen und dann dort direkt bestellen. Aber es ist ein Indikator. Präziser wird es natürlich über Promotion-Codes, vor allem dann, wenn es sich um individualisierte Codes handelt.

Schwieriger wird es bei Anzeigen. Da versuchen es viele über Fancy-URLs, zum Beispiel mit einer speziellen Domain. Das Problem hierbei ist, dass der Browser die Domain eventuell automatisch vervollständigt, während der Nutzer sie eintippt. Die Domain sollte also signifikant anders sein, als die normale Shop-Domain. Auch hier zeigt der gemessene Traffic tendenziell etwas zu wenig Relevanz des Kanals an.

Wie stehts am Point of sale?

AMTHOR: Da hilft nur fragen.

Und Kundenkarten beziehungsweise Bonusprogramme?

AMTHOR: Das hängt stark von der Zielgruppe ab. Wir hatten einen Kunden, da waren die Nutzer des Bonusprogramms nicht sonderlich onlineaffin. Da gibt es dann nicht viel zu tracken.

Was halten Sie von QR-Codes als Verbindung der Offline-Kunden in die digitale Datenwelt?

AMTHOR: QR-Codes sind aus technischer Sicht super. Da kann ich reinkodieren, was ich will. Ich kann auch auf dezidierten Landeseiten ankommen und die im Analysetool ausmessen. Das Problem ist aber, dass auch dieses Potential nicht genutzt wird. Viele QR-Codes landen ohne weitere Parameter auf einer Homepage oder Produktseite. Da ist wieder Printabteilung, die das macht. Denen ist das letztlich wurscht. Außerdem existiert hier wieder ein Zielgruppenproblem. Welcher Teil der Zielgruppe benutzt die Codes?

Das sind viele Probleme, die auf die Unternehmen zukommen, die „Multichannel“ agieren. Wo sollen die Firmen anfangen?

AMTHOR: Sie sollen einen Chief Data Mining Officer einstellen, der die Strategie für das Gesamtunternehmen entwickelt und –das ist das Wichtigste – auch durchsetzt. Wenn der Chef-Statistiker feststellt, dass falsch gemessen wird, dann gibt es für die Abteilung Abzüge in der B-Note. Denn sonst können sich die Abteilungen die Zahlen auch einfach frei ausdenken.

Herr Amthor, vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führte Frank Puscher

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