Wie Carwow den Autohandel digitalisieren will

Die Plattform Carwow will den Online-Vertrieb im Autohandel stärken. Philipp Sayler von Amende, Deutschland-Chef des Vergleichsportals für den Kauf von Neuwagen, kritisiert im Interview die analoge Haltung stationärer Händler und stellt eine große Illoyalität vieler Kunden gegenüber Marken aus. Zudem erklärt er, wie schwer es ist, eine Balance zwischen den Investitionen in die Marke und in leistungsbezogenes Online-Marketing zu finden.
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Carwow-Deutschlandchef Sayler von Amende: "Die Autohändler hierzulande agieren zum großen Teil noch in der analogen Vergangenheit." (© Carwow)

Herr Sayler von Amende, laut „Manager Magazin“ hat Carwow bisher in Deutschland, Großbritannien und Spanien Neuwagen im Wert von fünf Milliarden Euro vermittelt. Wie hoch ist die Summe für Deutschland, wo sie 2016 an den Start gegangen sind?

PHILIPP SAYLER VON AMENDE: In Deutschland liegt dieser Wert bei etwa 800 Millionen Euro. Den Großteil der fünf Milliarden Euro macht das Geschäft in Großbritannien aus, was kaum verwundert, schließlich sind wir dort bereits vor sechs Jahren gestartet und in Deutschland erst vor drei beziehungsweise in Spanien vor einem. Wir haben in Großbritannien einen Anteil von rund fünf bis sechs Prozent vom Privatkundenmarkt und in Deutschland liegen wir aktuell bei 1,5 bis 2 Prozent. Wir wachsen in Deutschland also in einer ähnlichen Geschwindigkeit wie anfangs in Großbritannien. In Spanien wachsen wir sogar noch ein bisschen schneller. Dort sind wir bereits bei einem Prozent Marktanteil, wobei der Markt auch deutlich kleiner ist.

Fünf Milliarden Euro klingt erstmal nach einer gewaltigen Summe. Wie groß ist der Anteil, der für Carwow übrigbleibt?

Wir verstehen uns als leistungsbezogener Online-Marketingpartner der Händler und erhalten eine Marketinggebühr pro verkauftem Fahrzeug. Diese Marketinggebühr macht im Endeffekt rund ein Prozent des verkauften Fahrzeugwertes aus. In Großbritannien stellen wir aktuell das Bezahlmodell auf Kosten pro Lead um.

Händler hinterlegen bei Carwow vorab die Ermäßigungen, die sie bereit sind, zu gewähren, so dass sie den Nutzern direkt bei der Konfiguration angezeigt werden. Wie differenzieren Sie sich von anderen Neuwagen-Rabattportalen?

Wir sind ein Vergleichsportal für den Kauf von Neuwagen. Bei uns können sich Kunden über ihr Wunschauto informieren sowie Preise und Händler vergleichen. Zudem kaufen die Online-Kunden von Carwow direkt beim Händler. Wir sind dementsprechend nicht direkt in der Transaktion involviert. Carwow ist also ein Marketing- und Absatzportal für Autohändler beziehungsweise ein Vergleichsportal für Kunden. Die anderen Portale basieren auf einem Vermittlermodell. Der Kunde bekommt ein Angebot für ein Auto zu einem gewissen Preis. Er weiß aber nicht, woher das Auto kommt. Für die Kunden ist das sehr intransparent – auch weil er sich nicht sicher sein kann, dass er wirklich einen guten Preis bekommen hat.

Nach welchem Muster wählen Sie Ihre Händler aus?

Es gibt nicht den einen goldenen Weg für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Händler und Carwow. Jeder Händler hat seine ganz individuellen Herausforderungen bei der Akquise von Online-Kunden. Dabei helfen wir genau diese Akquise effizient zu gestalten. Meine internationalen Erfahrungen aus den USA, Großbritannien und Spanien zeigen, dass Käufer fast immer einen lokalen Händler bevorzugen. In Deutschland entscheiden sich aktuell rund 60 Prozent der Kunden für das lokalste Neuwagenangebot, am zweithäufigsten entscheiden sich Kunden für den Händler mit der besten Bewertung. Der beste Preis folgt erst danach auf Platz drei. Diesen Anforderungen gilt es mit unserem Händlernetzwerk gerecht zu werden. Zudem konzentriert sich der deutsche Markt sehr auf Ballungszentren. Mit den Großräumen Berlin, Hamburg, NRW, Frankfurt am Main, Stuttgart und München kann bereits ein großer Teil der Nachfrage abgedeckt werden.

Wie setzt sich Ihr aktuelles Händlernetz zusammen?

Wir arbeiten in Deutschland mittlerweile mit 28 der 30 größten Händlergruppen zusammen. Diese können natürlich ein großes Volumen anbieten. Des Weiteren haben wir auch viele kleine Händler an Bord, die das Potenzial einer Zusammenarbeit mit Carwow sehen, um mit einem effizienten Online-Vertrieb zu wachsen. Wir haben also eine gesunde Mischung.


Vita Philipp Sayler von Amende

Philipp Sayler von Amende (37) ist Mitgründer und Geschäftsführer von Carwow Deutschland. Das Neuwagenkauf-Vergleichsportal ging hierzulande 2016 an den Start. Der studierte Betriebswirt arbeitete zuvor unter anderem für Porsche, die Unternehmensberatung Arthur D. Little sowie als Automotive Lead im Weltwirtschaftsforum. Seine Karriere hatte Sayler von Amende im Alter von 17 Jahren begonnen, als er mit „Find-car.de“ sein erstes Start-up gründete.


Ist es schwieriger, potenzielle Kunden aufmerksam auf Carwow zu machen oder neue Händler für Ihre Plattform zu überzeugen?

Mal so, mal so. Anfangs war es relativ einfach über Online-Marketing Aufmerksamkeit beim Autokäufer zu erzeugen. Da ist die Skalierung in die Breite schon viel schwieriger. Dahingegen war es zu Beginn deutlich herausfordernder, die ersten Händler für sich zu gewinnen. Schließlich brauchten wir zum Marktstart bereits Händler, ohne dass wir ein hierzulande etabliertes Portal vorzeigen konnten. Damals war Carwow noch im Status eines MVP (Minimum Viable Product, Anm. d. Red.) und ich habe mir oft anhören müssen, wie unnütz Online-Vertrieb eigentlich sei. In der Early-Adopter-Phase fiel es uns dann wieder deutlich leichter, Händler zu überzeugen, wohingegen danach die Erschließung der Breite wiederum kniffliger war. Es gibt genug Händler, die nicht so viel vom Online-Vertrieb halten.

Überrascht Sie das?

Es war einfach etwas, was wir lernen und daran wachsen mussten. Unser Geschäftsmodell ist einerseits recht simpel und vor allem leistungsbezogen. Händler bezahlen die Marketinggebühren nur, nachdem sie ein Auto über Carwow verkauft haben. Es gibt auch keine vertraglichen Barrieren wie zum Beispiel lange Kündigungsfristen, wenn ein Händler wieder aussteigen will. Das führte auf der anderen Seite zu Beginn teilweise dazu, dass wir nicht so richtig ernst genommen wurden. Nach dem Motto: Wenn ich als Händler nicht mitmache, dann zahle ich ja gar nichts und spare Kosten. Entsprechende Händler verbuchen den Fahrzeugverkauf über Carwow als Vertriebs- und nicht als Marketingkosten. Genau das ist der Knackpunkt!

Warum?

Ganz offen und ehrlich: Das Problem in Deutschland ist, dass weniger als zehn Prozent der Händler wissen, wie sie ihre Online-Marketing- und -Vertriebsmaßnahmen messen sollen – sofern sie überhaupt welche durchführen. Die Autohändler hierzulande agieren zum großen Teil noch in der analogen Vergangenheit. Das fängt bei der mangelnden IT-Ausstattung an und hört bei der fehlenden Online-Affinität der Mitarbeiter auf. Die Erkenntnis, dass 90 Prozent der Menschen vor einem Autokauf online recherchieren und nicht mehr zuerst ins Autohaus kommen, ist noch längst nicht bei jedem Händler angekommen. Das liegt auch daran, dass gerade Premiummarken noch sehr erfolgsverwöhnt sind.

Unterscheidet sich der deutsche Markt von England und Spanien?

Die Ausgangslage beim Autokauf war jahrzehntelang weltweit identisch. Es gibt eine absolute Informations-Asymmetrie: Der Verkäufer weiß alles und der Kunde nichts. Doch das hat sich durch das Internet in den vergangenen Jahren komplett verändert. Die Kunden informieren sich im Vorfeld eines Kaufs deutlich mehr und wissen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie einen Händler kontaktieren, bereits für welches Modell sie sich interessieren, welche Extras sie wollen und welche Angebote es am Markt gibt. In der Detailbetrachtung sind die Märkte sehr unterschiedlich: Der Deutsche ist viel detailverliebter und konfiguriert gerne – das ist bei den Spaniern, Engländern und Amerikanern komplett anders. Engländer und Amerikaner suchen sehr viel mehr nach Kategorien, wie etwa Vans oder SUVs.

Was erfahren Sie durch die Sucheingaben bei Carwow über die potenziellen Autokäufer?

Über die Sucheingaben unserer Kunden in Deutschland bekommen wir herstellerunabhängig sehr viele interessante Einblicke. Diese Erkenntnisse drücken mitunter das Gegenteil von altbekannten Aussagen aus. „Der hat einmal Audi gekauft und wird deshalb immer Audi kaufen“, sieht in der Praxis oftmals tatsächlich ganz anders aus – auch wenn das womöglich nicht jeder Hersteller wahrhaben mag. Im Gegenteil: Viele Kunden weisen eine große Illoyalität gegenüber Marken aus. Sie starten bei Carwow zwar mit der Suche nach einer bestimmten Marke. Doch dann fangen sie sehr bald an, andere Marken und deren Angebote zu vergleichen. Im Schnitt konfigurieren unsere Kunden vier Modelle von drei Marken bevor sie beim Händler kaufen. Das initial ausgewählte Fabrikat wird schließlich nur noch in etwas mehr als 50 Prozent der Fälle gekauft.

Über welche Wege versuchen Sie, Kunden zu Carwow zu lotsen?

Das ist ganz unterschiedlich. Grundsätzlich arbeiten wir stark mit allen Online-Marketingkanälen, die sich sehr leistungsbezogen steuern lassen. 2019 haben wir aber auch einen TV-Spot veröffentlicht. Man kommt in Deutschland nicht ums Fernsehen herum – genauso wenig wie in England und den USA. Denn TV ist nach wie vor der Kanal mit der höchsten Reichweite bei unserer Zielgruppe. Wir betrachten Fernsehen als Performance-Kanal und betreiben unsere dortige Werbung auch so. Wir wollen damit unter anderem auch unsere Online-Conversion erhöhen und messen intensiv, zu welchen Zeiten wir unsere Werbespots ausspielen und welche Zielgruppen wir bei den Sendern zu welcher Uhrzeit erreichen können.

Wie fällt die budgetäre Gewichtung Ihrer einzelnen Marketingmaßnahmen aus?

In der Anfangsphase lagen wir bei 100 Prozent Suchmaschinen-Marketing. Dann haben wir die Ausgaben auf 80 Prozent für Suchmaschinen-Marketing und 20 Prozent für andere digitale Kanäle umgeschichtet. 2019 sind wir bei einem Suchmaschinen-Marketing-Anteil von 60 Prozent angekommen, nächstes Jahr werden es unter 50 Prozent sein. Wir setzen bei unseren Suchmaschinen-Marketing-Maßnahmen voll auf Effizienz, dadurch haben wir mehr Budget für andere digitale Kanäle sowie für das Fernsehen zur Verfügung.

Was sind Ihre Herausforderungen beim Einsatz des Marketingbudgets?

Wir müssen sehr genau abwägen, wie viel wir in die Marke Carwow investieren und wie viel Budget in leistungsbezogenes Online-Marketing fließt. Das ist ein großer Akt der Balance. Kunden kaufen sich im Schnitt nur alle drei bis fünf Jahre einen Neuwagen. Wir müssen daher prüfen, wann der Streuverlust von Markeninvestitionen zu groß ist. Klar ist eines: Wir sind voll auf Wachstum getrimmt.

Was ist Ihr Wachstumsziel für Deutschland?

Aktuell liegen wir, wie eingangs erwähnt, bei 1,5 bis 2 Prozent vom Privatkundenmarkt in Deutschland. In zwei Jahren wollen wir bei sechs Prozent sein, unseren Absatz und Umsatz also jährlich verdoppeln.


Ist Leasing die Zukunft der Mobilität?

Das junge Unternehmen Vehiculum digitalisiert seit 2015 das Auto-Leasing in Deutschland. Im Interview mit absatzwirtschaft erklärt CEO Lukas Steinhilber, wie er das Vehiculum deutschlandweit als Mobilitätsplattform etablieren will und kündigt großflächige Marketinginvestitionen an.


Andere Plattformen glauben an Abo-Modelle, Leasing oder Sharing als Auto-Konzepte der Zukunft – unter anderem, weil jüngere Generationen weniger besitzorientiert seien. Welche Mobilitäts- und Vertriebskonzepte werden sich in Deutschland durchsetzen?

Ich bin überzeugt, dass ein sehr starker Wandel in Richtung Leasing gehen wird. Abo-Modelle zweifle ich dagegen ganz stark an. Denn ein Abo ist nichts anderes als ein flexibles Leasing. Das kann gut funktionieren, wenn Kunden dazu bereit sind, für Flexibilität Geld zu bezahlen. Meine Erfahrung zeigt mir aber: Kein Deutscher ist das wirklich. Zudem kalkulieren Abo-Anbieter in der Regel mit einer Mindestdauer von 18 Monaten, weil alles darunter für sie nicht profitabel ist. Sollten beispielsweise Mietwagenanbieter sagen, dass sie ihre Langzeitmieten auf ein Abo-Modell ausweiten oder Leasing-Gesellschaften für ein paar tausend Euro Zusatzzahlung einen früheren Ausstieg aus dem Vertrag anbieten, dann ist der Mehrwert eines Abo-Modells weg.

(he, Jahrgang 1987) – Waschechter Insulaner, seit 2007 Wahl-Hamburger. Studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften und pendelte zehn Jahre als Redakteur zwischen Formel-1-Rennstrecke und Vierschanzentournee. Passion: Sportbusiness. Mit nachhaltiger Leidenschaft rund um die Kreislaufwirtschaft und ohne Scheuklappen: Print, live, digital.