Innovationen – wettbewerbsverändernd oder doch nur schrittweise?

Aus unterschiedlichen Gründen passiert es, dass manche Projekte vorzeitig aufgegeben oder nicht mehr entsprechend finanziert werden, obwohl sie das Potenzial haben, eine neue Kategorie oder Subkategorie zu schaffen. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Manche Projekte werden zu optimistisch beurteilt. In Wirklichkeit basieren sie nur auf schrittweisen Innovationen, die bestenfalls die Markenpräferenz am Rande beeinflussen.

Die Fehleinschätzung, dass eine Angebotserweiterung eine neue Kategorie oder Subkategorie definiert, bedeutet nicht nur eine Ressourcenverschwendung, sondern kann die Geschäftsstrategie um Jahre zurückwerfen. Warum kommt es so häufig zu Fehleinschätzungen? Wie kommt es dazu, dass die Verantwortlichen bisweilen ein zu rosiges Bild der Chancen malen?

Ein Grund dafür ist psychologischer Natur. Der Projektverantwortliche befasst sich vielleicht seit Monaten oder sogar Jahren mit der Innovation – ihren Merkmalen und dem damit verbundenen Umsatzpotenzial. Er ist begeistert von den Erfolgsaussichten. Sorgfältig geprüfte Argumente sprechen dafür, dass die Fortschritte den Markt verändern und eine neue Kategorie oder Subkategorie schaffen. Oft ist es schwierig, diesen an Besessenheit grenzenden Optimismus abzulegen und die Perspektive des Kunden einzunehmen, der seinerseits mit widersprüchlichen Botschaften konfrontiert ist und vor schwierigen Ausgabenentscheidungen steht.

Ein weiterer Grund ist beruflicher Natur. Möglicherweise ist der Erfolg einer Person oder Gruppe innerhalb der Organisation eng mit der Innovation verbunden. Ein Erfolg würde ihren Aufstieg beschleunigen, ein Scheitern oder der vorzeitige Ausstieg ihr berufliches Fortkommen bremsen. So kann ein Projekt Teil der beruflichen Identität der Verantwortlichen werden.

Ein dritter Grund schließlich kann die Dynamik sein, die sich in einer Organisation entwickelt. Wird ein Projekt finanziert und damit Teil der strategischen Vision und des künftigen Produktportfolios eines Unternehmens, so gehört es praktisch zur Familie. Der Entwicklungsprozess ist fest im Unternehmen verankert, und es ist leichter, ihn fortzusetzen als ihn zu stoppen – oder auch nur den Stopp zur Diskussion zu stellen.

Fehleinschätzungen vermeiden

Durch regelmäßige, datengestützte Überprüfungen unter Einbindung neutraler Dritter lassen sich solche verheerenden Fehleinschätzungen verhindern. An festen Kontrollpunkten ist dann zu entscheiden, ob ein Projekt fortgesetzt, gestoppt oder modifiziert werden soll. Modifizierung bedeutet, dass Veränderungen notwendig sind, damit das Projekt Aussicht auf Erfolg hat, beispielsweise im Hinblick auf die Anwendung, den Zielmarkt oder die Technologie.

Gibt es einen Markt für die Innovation?

Der Prüfprozess sollte Antwort auf wichtige Fragen geben: Gibt es einen Markt für diese Innovation oder basiert die Einschätzung auf ungeprüften Annahmen? Wie beispielsweise beim One-Stop-Shopping für Finanzdienstleistungen, das von den Kunden nicht angenommen wurde. Kann das Unternehmen liefern, was es verspricht? Boeing hat erkennbare Schwierigkeiten, den Dreamliner mit der Zusicherung zu liefern, dass die Maschine wirklich sicher ist.
Lassen sich Hürden aufbauen, damit der Erfolg nicht nur von kurzer Dauer ist? Toyota hat mit dem Hybrid Synergy Drive eine technologische Hürde aufgebaut, Virgin Airlines hebt sich durch seine starke Persönlichkeit von der Konkurrenz ab, P&G profitiert von einem logistischen Vorteil bei neuen Angeboten und Gillette hält durch kontinuierliche Innovationen Wettbewerber auf Distanz.

Unternehmen sollten stets auf der Hut sein vor einer verzerrten Beurteilung von Informationen insbesondere zur Marktgröße, der voraussichtlichen Akzeptanz von Innovationen und der Fähigkeit des Unternehmens, sich Wettbewerber vom Leib zu halten. Möglich, dass Informationen herausgefiltert, verzerrt oder bagatellisiert werden, wenn sie die Innovation nicht stützen.

Gewichtige Gründe sprechen dafür, dass Unternehmen in substanzielle beziehungsweise wettbewerbsverändernde Innovationen investieren, um neue Kategorien oder Subkategorien zu schaffen. Die Konzepte auf dem Weg zu diesem Ziel sind aber daraufhin zu prüfen, ob es einen Markt für die Innovation gibt, ob sie umsetzbar ist und sich auf Dauer durchsetzen wird. Manchmal ist es besser, Nein zu sagen.

Über den Autor: David Aaker gilt als der Guru der Markenstrategie – Er hat das Markenwertmodell „Aaker Model“ erfunden und über 100 Artikel und 15 Bücher veröffentlicht. Als Vice Chairman berät David Aaker zudem exklusiv die Kunden von Prophet. Als Ehrenprofessor an der Haas School of Business, University of California, Berkeley, bekam er vier Karriere-Auszeichnungen, einschließlich des Paul D. Converse-Preises im Jahre 1996 für seine herausragende Arbeit zur Weiterentwicklung des Marketing.