Influencer Fraud: Aus dem kleinen Instagram-Sternchen über Nacht einen leuchtenden Influencer machen

Spätestens seit Werbeprimus Unilever im Juni die Alarmglocke läutete, ist Influencer Fraud auch in Deutschland zum Thema geworden. Die Methoden, die Reichweite aufzublähen, sind subtil, aber die Gegenmaßnahmen sind alte Bekannte. Was man gegen die falsch ausgewiesene Reichweite tun kann und wie man den Kampf gegen Influencer Fraud angeht.

Es gibt Bots, die im „Auftrag“ des Influencers das Konto optimieren. Der WDR zeigte vergangenes Jahr in einem hübschen Selbstversuch, dass ohne eigenes Zutun aus einem privaten Account ein Mini-Influencer werden kann. Nach nur einer Woche gab es erste Kampagnenanfragen. Im Testmonat hätte der Account 2 900 Euro verdienen können. Als Grundlage für den Test hatte man den echten Account eines Redakteurs genommen. Der Bot optimierte nach Schneeball-Reichweite. Er suchte also nach bestehenden und neuen Konten mit vielen Fans. Diejenigen unter den bestehenden Fans, die nur gelegentlich inter-agierten und eher über normale Accounts verfügten, wurden gelöscht. Dummerweise waren das die besten Freunde des Test-Redakteurs. „Man muss klar zugeben, dass Influencer Fraud existiert und dass es auch eine wirtschaftliche Bedeutung hat. Aber es wäre sehr absurd zu behaupten, dass das die einzige Mediagattung ist, die dieses Problem hat“, sagt Kastenholz. Stimmt: Wie akkurat geben eigentlich die Online-Marketing-Rockstars ihre Besucherzahl an? 

Kampf dem Influencer Fraud

Kastenholz, Jungjohann und deren Kollegen mögen es gar nicht so sehr, mit dem Schlagwort Influencer Fraud angesprochen zu werden, auch wenn es ihnen in die Hände spielt. „Influencer-Marketing hat ein Qualitätsproblem, und wenn man Profis engagiert, die sich damit seriös beschäftigen, kann man das lösen“, so Jungjohann selbstbewusst. Seine Agentur hat einen zweistufigen Prüfprozess mit zehn Einzelschritten definiert, nach dem Konten analysiert werden. Am Ende steht stets eine manuelle Prüfung. „Einige der Täuschungsmanöver sind so subtil, die erkennt eine Maschine nicht“, so Jungjohann.

Das sieht Philipp John von ReachHero ähnlich. Jenseits betrügerisch entstandener Reichweite geht es ihm vor allem auch um den Umgang mit der Kampagne selbst. Ein signifikanter Anteil – Econsultancy schätzt 15 Prozent – der auf Anfrage zugeschickten Produkt-Samples findet nie eine Umsetzung in einem Post oder einem Foto. „Bei Video-Posts kommt es natürlich sehr stark darauf an, ob das Produkt im ersten Drittel erscheint“, sagt John. Und natürlich ist auch die Qualität des Posts selbst ein wichtiger Qualitätsparameter für den Erfolg einer Kampagne. „Nicht jeder Reiseblogger kann gute Food-Fotos machen“, erklärt Chris Jungjohann.

Merke: Reichweite allein macht nicht glücklich

Wer die Zusammenarbeit mit Influencern sucht, tut gut daran, die Auswahl sorgfältig zu prüfen und den Erfolg der Kampagne zu messen. Der erste und einfachste Mechanismus ist freilich die Knüpfung der Vergütung an einen Performance-Indikator. Wird dieser erreicht, kann es dem Werbungtreibenden grundsätzlich egal sein, wie viel Prozent der Reichweite des Influencers dazu beigetragen haben. Doch so einfach wie bei E-Commerce-Unternehmen ist es eben nicht bei allen Marken. FMCG–Riesen wie Unilever können Traffic und Engagement messen, aber echte Verkäufe sind schwierig nachzuhalten. „Wir verkaufen zwar zusehends mehr online, aber insgesamt spielt das noch keine große Rolle“, sagt Unilevers deutscher Media-Direktor
Arne Kirchem.

FMCG hat immerhin noch die Möglichkeit, die Abweichungen bei den Messwerten zwischen einem Zeitpunkt vor der Kampagne und während der Kampagne zu analysieren und somit die Veränderungen der Kampagne zuzuordnen. Das wird aber in Branchen mit langen Kaufzyklen praktisch unmöglich. „Fraudulenter oder unqualifizierter Traffic würde mir schon im nächsten Schritt das Engagement und die Conversion-Rate kaputt machen und den KPI als Steuerungsinstrument gleich dazu“, sagt Nadine Berger, Head of Digital
Business, Toyota Deutschland.

In der Praxis werden die meisten Influencer-Kampagnen beides enthalten, Performance-Elemente und einen guten Schuss Branding. Trotz der anschwellenden Diskussion über Influencer Fraud spürt Reach-Hero keine Reaktion vom Markt. „Die großen Marken sind immer vorsichtig, weil sie auch nicht wollen, dass die Posts in fragwürdigen Umfeldern erscheinen“, so John. Gleichzeitig bleiben für die meisten Marketer aber nach wie vor Engagement und dann Traffic auf der eigenen Website die wichtigsten Kennzahlen. Auch 2018 gibt es noch Zielvereinbarungen in Marketingabteilungen, die sich an der schieren Menge der Facebook-Fans orientieren.

Das legt nur einen Schluss nahe: Social-Media- und Influencer-Marketing sind nach wie vor so günstig, dass ein bisschen „Schwund“ keinen stört. Wer aber aus seinen Kampagnen das Maximum herausholen will, sollte anfangen, die Ärmel hochzukrempeln und seinen Influencern auf die Finger zu schauen. Unter Zuhilfenahme einer professionellen Agentur: „Wenn Instagram nichts tut, müssen das eben die Dienstleister machen“, sagt Chris Jungjohann. Für ihn ist und bleibt Influencer Fraud ein „Riesenproblem“.