„Ich sehe dauernd Werbung für Produkte, die ich bereits gekauft habe“

Weil auch Suchmaschinenwerbung immer mehr auf Individuen geschaltet wird, sind Werbungtreibende in der Lage, Zielgruppensegmente von zentraler Stelle über die Kanäle hinweg zu adressieren und spezifisch anzusprechen. Nach Meinung von Matt Ackley, Chief Marketing Officer Marin Software, erhöht ein steigender automatisierter Anteil in den Online-Kampagnen die Abhängigkeit von Google aber nicht, weil neben Facebook auch immer neue Plattformen für die Zielgruppenansprache zur Verfügung stehen.

Herr Ackley, sind die Advertiser überhaupt bereit für ein zentrales Zielgruppenmanagement und den anschließenden automatischen Mediaeinkauf? Wir sehen doch heute noch eklatante Schwächen zum Beispiel im Retargeting.

MATT ACKLEY: Das ist ein wichtiger Punkt. Tatsächlich verstehe ich auch nicht, warum Frequency Capping oder die Übergabe von Conversion-Daten an Retargetingkampagnen nicht besser funktioniert. Ich sehe dauernd Werbung für Produkte, die ich bereits gekauft habe. Der einzige Grund, den ich hierfür finden kann ist, dass die Agentur größere Schaltungsvolumina gekauft hat und die müssen gefüllt werden.

Es ist doch simpel. Wir binden Conversion-Daten schon seit acht Jahren an Kampagnen.

Liegt da eventuell ein strukturelles Problem im Markt vor?

ACKLEY: Das kann sein. Innerhalb der nächsten drei Jahre werden 60 bis 80 Prozent der Kampagnen programmatisch ausgeliefert. Es wird immer spezifische Sponsorings und individuelle Deals geben, aber nicht so viele. Mediaeinkauf ist dann vielleicht nicht mehr die Kernkompetenz der Agentur. Es geht dann um strategische Mediaplanung. Wie viele Kampagnen beziehen heute schon den Customer Lifetime Value ein? Da ist noch viel Arbeit aber auch Effizienzgewinn drin.

Gilt das auch für Premium-Inventare?

ACKLEY: Dafür sind die Private Auctions gut, wo man als Publisher seine wichtigsten Kunden bündelt und mit denen spezifische Deals ausarbeitet. Ich glaube aber, dass der Gesamtanteil individuell ausgearbeiteter Kampagnen geringer wird.

Dann braucht es für die Agenturen andere Abrechnungsmodelle.

ACKLEY: Ja. Das gilt übrigens auch für den kreativen Teil. Storytelling wird immer wichtiger. Aber es muss losgelöst vom Schaltungsbudget vergütet werden.

Wie kriegen wir den kreativen Aspekt in ein solches Szenario?

ACKLEY: Es geht vor allem um den Beginn der Customer Journey. Nehmen wir etwa das Thema Video-Werbung. Kennen Sie Youtubes System TrueView? Der Werber bezahlt nur für Nutzer, die nicht auf den „Überspringen“-Button klicken und der Nutzer kann frei entscheiden, ob er Werbung sehen will. Das ist das Prinzip. Der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit wird hier auf der kreativen Ebene ausgetragen.

Und außerdem sehen wir natürlich erste Formate, die Daten auch kreativ nutzen. Wir arbeiten gerade an einer Kampagne, die die Suchbegriffe der Nutzer von Google zieht und dann nach Videos sucht, die dazu passen. Diese Videos werden dem Nutzer vorgeschlagen und davor läuft die Werbung des Advertisers. Das System ist selbstlernend und optimiert sich ständig.

Aber wie schafft man es, das kanalspezifisch aufzubauen?

ACKLEY: Vielleicht muss man die Medien verstehen wie Personas und die Werbungtreibenden passen die Kampagnen dann daran an. Vielleicht gibt es Matching-Algorhytmen, die Kampagne und Medium zusammenbringen oder der Publisher sucht sich die spezifische Werbung selbst aus, die zu einem Special passt.

Erhöht ein steigender automatisierter Anteil in den Kampagnen nicht die Abhängigkeit von Google?

ACKLEY: Nicht, so lange es andere Plattformen gibt, siehe Facebook. Als ich vor zehn Jahren bei Ebay war, hatten wir Angst, beim Traffic komplett von Google abhängig zu werden. Heute gibt es permanent neue Plattformen. Schauen Sie sich den Erfolg von Pinterest an. Die bringen mehr Traffic in die Onlinestores als Twitter und Facebook zusammen. Wir sehen täglich Firmen, die Budgets von Search nach Social verlagern. Pinterest startet gerade erste Versuche mit Werbung. Und vergessen Sie Amazon nicht.

Für uns als Drittplattform ist das verdammt viel Arbeit. Wir müssen permanent neue Plattformen anbinden und die Dinge ändern sich ständig. Yahoo hat sich zum Beispiel gerade von Bing verabschiedet.

Erzeugt ein steigender Anteil programmatischer Schaltung neue Silos, weil die Marketer überfordert sind und das outsourcen?

ACKLEY: Sobald die Marketer verstehen, wie man zum Beispiel den Customer Lifetime Value in eine Kampagne einrechnet, wird man den Wert solcher Systeme verstehen und die strategischen Fragen werden intern geklärt.

Das Gespräch führte Frank Puscher.


Den ersten Teil des Interviews mit Matt Ackley, „Die Googlifizierung der Werbung“, lesen Sie hier.