Hilfreich oder zerstörerisch? Vom Potenzial der Gewohnheiten

Wie wir zur Arbeit kommen, was wir dort als Erstes machen, ob wir täglich den Umsatz checken oder nie – all das sind Gewohnheiten. Routinen bestimmen einen Großteil unseres Tages, einen Großteil unseres Lebens. Schaden sie uns eigentlich oder sind sie nützlich?

Schädliche Gewohnheiten loswerden

Schwieriger, als eine neue Gewohnheit zu etablieren, ist es, eine alte, wenig nützliche Gewohnheit loszuwerden und durch eine neue zu ersetzen. Das Auto stehen zu lassen und stattdessen mit dem Bus zur Arbeit zu kommen bedeutet beispielsweise erst mal einen ziemlichen Aufwand: Busfahrpläne müssen studiert und der Weg zur Bushaltestelle recherchiert werden. Der Aufwand reduziert sich erst im Lauf der Zeit.

Wünscht sich ein Unternehmen, dass Mitarbeiter das eigene Auto stehen lassen und stattdessen die öffentlichen Verkehrsmittel oder das Fahrrad nutzen, sollte es ihnen den Umstieg also so einfach und bequem wie möglich machen. Wichtig ist, den ohnehin höheren Energieaufwand des neuen, nicht automatisierten Verhaltens möglichst weit zu reduzieren. Ein Schubser, ein Nudge, kann dazu beitragen, Mitarbeiter zu bewegen, das neue Verhalten einmal auszuprobieren. Der Verhaltensökonom Richard H. Thaler hat die Theorie des Nudgings entwickelt und dafür den Wirtschaftsnobelpreis erhalten.

Das Unternehmen, das ein grüneres Image anstrebt, kann zum Beispiel Ich-fahre-umweltfreundlich-Aufkleber an die Mitarbeiter verteilen, das wäre ein Nudge, ein Anschubser. Anreize wie kostenlose Fahrkarten sind für Arbeitgeber deutlich teurer. Sie verschaffen demjenigen einen Vorteil, der mit dem Bus statt mit dem Auto zur Arbeit kommt, und motivieren so zum -Ausprobieren.

Zudem ist es wichtig, ein Verlangen nach dem neuen Verhalten hervorzurufen. Das gelingt durch Belohnungen. Eine Belohnung ist es, wenn sich der Mitarbeiter nach der Busfahrt und dem kurzen Spaziergang zur Bushaltestelle entspannter fühlt als nach der Autofahrt. Hetzt er dagegen im strömenden Regen zur Haltestelle, festigt die Erfahrung die alte Gewohnheit, mit dem Auto zu fahren.

„Kontraproduktiv sind bereits negative Bilder“, betont Rainer Höger. „Wenn ein Unternehmen das Verhalten der Mitarbeiter ändern möchte, dann sollte es auf positive Bilder achten. Wer also Mitarbeiter dazu bewegen will, mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu kommen, fängt damit am besten im Sommer an. Dann werden die Fahrradfahrer braun und sehen gesund aus. Im nächsten Winter, wenn das Fahren unangenehmer wird, ist das Verhalten im Optimalfall schon etabliert, der Schalter ist erfolgreich umgelegt.“

Besonders offen für ein verändertes Verhalten sind Menschen in Krisen und Umbruchsituationen, denn dann ändert sich der Kontext, in den Gewohnheiten eingebettet sind. Ein Jobwechsel, die Geburt des ersten Kindes, eine Trennung – das alles sind sogenannte -teachable moments. Die Menschen in diesen Situationen sind ohnehin auf der Suche nach Informationen und neuen Wegen.

Andrea Montua fasst es so zusammen: „Der Veränderungswille ergibt sich aus der Summe von Leidensdruck, also dem teachable moment, einer positiven Vision und den konkreten ersten Schritten.“ Diese Change-Formel sei der Schlüssel für alle Change-Prozesse.

Aufmerksam bleiben

Um auch ohne großen Leidensdruck fähig zu sein, Gewohnheiten zu verändern, zum Beispiel, weil sie ins Negative gekippt sind oder weil sich ein Unternehmen durch ein einfaches Weiterso auf Dauer nicht am Markt halten kann, gilt es, stets aufmerksam zu bleiben. „Achtsamkeit ist ein Erfolgskriterium, um hilfreiche Gewohnheiten zu etablieren“, unterstreicht Andrea Montua. Wer dann etwas ändern will, der kann sich aus einem ganzen Köcher an Instrumenten bedienen, die dazu beitragen, eine alte Gewohnheit leichter abzustreifen und durch eine passendere zu ersetzen. Sie reichen von Belohnungen über Nudges und Anreize bis hin zu positiven Visionen und Vorbildern. Hat sich das neue Verhalten einmal verregelmäßigt, geht damit häufig eine Abwertung der alten Gewohnheit einher. „Auch dadurch wird die neue Gewohnheit stabilisiert“, erklärt Rainer Höger. Durch das geänderte Verhalten, mit dem Bus oder dem Fahrrad statt dem eigenen Auto zur Arbeit zu kommen, kann sich also ein stärkeres Umweltbewusstsein entwickeln.

„Umgekehrt funktioniert das übrigens nicht so leicht. Überzeugungen oder Einstellungen lassen sich in der Regel nicht einfach in ein neues Verhalten umsetzen“, sagt Höger und zuckt bedauernd mit den Schultern. Der Energieaufwand, die eigenen Gewohnheiten im Auge zu behalten und bei Bedarf zu verändern, lohnt sich also – für jeden Einzelnen, für Unternehmen, für die Gesellschaft.