Go2Market: Unter realen Bedingungen

In Köln will ein Testsupermarkt die Marktforschung revolutionieren. Der Go2Market schafft eine bessere Annäherung an reale Kaufsituationen als klassische Labore. Doch er ist nicht für alle Marktforschungszwecke geeignet.
Go2Market
Im Go2Market in Köln kaufen Kund*innen ganz normal ein. Sie wissen allerdings vorher nicht, was genau gerade im Markt steht. (© Go2Market)

Der Go2Market in Köln ist eigentlich kein Supermarkt. Er sieht zwar aus wie ein Supermarkt im Kleinformat. Doch eigentlich ist er ein Marktforschungslabor. Trotzdem kaufen Kund*innen dort Produkte wie in einem Supermarkt, begleichen am Ende ihre Rechnung und nehmen die Produkte mit nach Hause.

Diese Einkäufe tätigen sie aus Eigeninteresse – weil sie die neuesten Produkte haben wollen oder aus rein wirtschaftlichen Gründen. Denn um im Go2Market einzukaufen, zahlt man einen monatlichen Beitrag zwischen 15,90 Euro und 17,90 Euro, je nach Laufzeit. Dafür bekommt man 55 Euro Einkaufsguthaben pro Monat. Gerade bei knapper Kasse kann sich das also durchaus lohnen. Das Risiko bei der Sache: Was genau im Markt steht, weiß man vor dem Einkauf nicht.

Ab 2500 Euro für ein Listing

Das eigentliche Geschäftsmodell des Go2Markets ist ein anderes: Die Firma verdient am Listing der Produkte im Markt. Für Start-ups gibt es auch günstigere Angebote. 300 bis 600 Stück werden dafür in den Markt gestellt – und auf Wunsch auch Konkurrenzprodukte. Die werden dann ganz normal im Lebensmitteleinzelhandel gekauft und neben das zu testende Produkt ins Regal gestellt. Egal ob Rebranding, direkte Konkurrenzanalyse oder innovatives Neuprodukt – das Supermarktlabor eignet sich für unterschiedliche Zwecke. Neben dem Go2Market in Köln gibt es einen Store in Wien. Ein Store in den Niederlanden soll 2023 dazukommen. Außerdem gibt es den Onlineshop. Auch digitales Einkaufsverhalten ist also testbar.

Der Go2Market versucht, sich der realen Kaufsituation anzunähern. So gut die Annäherung funktioniert, sie bleibt doch genau das: eine Annäherung. Denn natürlich sind sich Konsument*innen im Go2Market der Untersuchungssituation bewusst. Das Sortiment hat enge Grenzen, frische Waren wie Obst und Gemüse sucht man hier vergeblich. Und von einem normalen Warenkorb kann die Untersuchung auch nicht ausgehen. Da die Öffnungszeiten begrenzt sind und der Weg für die meisten Konsument*innen etwas weiter sein dürfte als zum lokalen Supermarkt, wird daraus für die meisten vermutlich genau ein Einkauf pro Monat resultieren. Dieser Einkauf dürfte immer um die 55 Euro liegen, die zur Verfügung stehen. Und sollte er deutlich kleiner sein, wäre das eher ein Zeichen für ein Problem im Sortiment. Denn das würde bedeuten, dass Kund*innen ihr Budget lieber ersatzlos verschenken, als aus den angebotenen Produkten auszuwählen. Dennoch sind auch Preisakzeptanztests Teil der Methode: Schließlich sind die Produkte zu normalen Marktpreisen erhältlich und konkurrieren um das Haushaltsbudget.

Regale Go2Market
2500 bis 5000 Euro zahlen die Unternehmen, die ihr Produkt im Go2Market sehen wollen. ©Go2Market

Vielfältige Methoden mit Kameras, Roboter und Sound-Dusche

Der Go2Market ist voll mit Kameras, das Scannen der Produkte erfolgt per App und durch den Supermarkt fährt ein Roboter, der Kund*innen herumführt. Dazu kommt die sogenannte „Sound-Dusche“, die es ermöglicht, auf engem Raum Geräusche auszuspielen, die am nächsten Regal schon nicht mehr zu hören sind. Außerdem gibt es unterschiedliche Displays, in denen die Produkte ausgestellt sind. Was untersucht und erforscht wird, ist also unterschiedlich. „Der Roboter kommt von unseren Technologiepartnern und ist vor allem den Kund*innen behilflich, sich besser im Store zu orientieren“, erklärt Jörg Taubitz, Managing Partner von Go2Market.

Klar ist also: Alle Möglichkeiten der Untersuchung werden noch nicht genutzt. Auch Methoden wie Sniff-Tests oder Degustationen (siehe Infobox) sind im Go2Market nicht drin. In dieser Hinsicht also sind klassische Testlabore zu Marktforschungs­zwecken dem Go2Market voraus.

Der Go2Market gewinnt seine Erkenntnisse neben Beobachtungen im Laden und dem Abverkauf vor allem in den Umfragen, die nach Kauf stattfinden. Für beantwortete Umfragen gibt es für die Kund*innen noch etwas Budget dazu. Die Befragungen entwickeln sich ständig weiter und sind individuell auf Produkt und Kundenwünsche abgestimmt.

Zugute kommt dem Go2Market dabei sicher auch, dass die „Teststadt“ Haßloch so seit Ende 2021 nicht mehr existiert. Zuvor wurden in der Kleinstadt in der Pfalz häufig Tests für Relaunches und Produktneueinführungen durchgeführt – weil die Stadt in Struktur und Demografie sehr nah am deutschen Durchschnitt ist. Dann hat die GfK diese Art der Tests beendet.

Der Go2Market kann hier durchaus eine Alternative sein – zumal das Unternehmen auch an einem möglichst breiten Panel interessiert ist. Dabei wirbt es Kund*innen mit einer vermeintlichen Exklusivität. In der Realität stellt sich das anders dar. „Kund*innen ablehnen, das machen wir eigentlich nie“, so Taubitz. Es komme lediglich manchmal vor, dass nicht sofort Mitgliedschaften in der entsprechenden Altersklasse frei seien.

Aus eigener Erfahrung: Kurz nachdem meine Mitgliedschaft ausgelaufen ist, folgen immer wieder Mails mit der Aufforderung, doch wieder Mitglied zu werden. Für mich ist nach der Probelaufzeit das Interesse gestillt. Doch bis dahin habe ich fleißig Umfragen beantwortet und neue Produkte ausprobiert. Sicher nicht ohne Mehrwert für die testenden Unternehmen.

Marktforschungs­methoden im Überblick

  1. Accompanied Shopping (dt. begleitetes Einkaufen): Ein*e Forscher*in begleitet Menschen beim Einkauf, um deren Verhalten zu beobachten und daraus Erkenntnisse abzuleiten. Dabei erfüllen die Konsument*innen Aufgaben, wie einen regulären Wocheneinkauf zu absolvieren oder ein neues Pflegeprodukt zu besorgen.
  1. Mystery Shopping: Anonyme Testkäufer*­innen werden in ein Geschäft geschickt, um Aspekte wie Service oder Verkaufsräume zu bewerten. Dadurch, dass Mitarbeitenden die Testsituation nicht bewusst ist, soll eine Situation zustande kommen, die möglichst nah an der Realität ist.
  1. Produkttest (im Labor): Wird eingesetzt, beispielsweise bevor ein Produkt auf den Markt kommt. In einer Laborsituation probieren Konsument*innen das Produkt aus und beurteilen es. Dabei geht es vor allem darum, herauszuarbeiten, wie ein Produkt von der (potenziellen) Zielgruppe angenommen wird. So soll das Risiko, das mit einer Markteinführung oder einem Relaunch einhergeht, reduziert werden. Wichtig: Das Labor muss kein physischer Ort sein. Der Test kann neben dem Marktforschungslabor auch im Heimgebrauch oder in einem Geschäft stattfinden.
  1. Product Clinic (dt. Produktklinik): In der Produktklinik wird das Produkt zum Patienten und dabei genau unter die Lupe genommen. Das können zum Beispiel Produkte des Wettbewerbers sein. Über das Produkt hinaus ist auch der Wettbewerber selbst Teil der Analyse: Wie geht die Konkurrenz vor und woraus entstehen (eventuelle) Wettbe­werbs­vorteile?
  1. Sensorische Beur­teilungen: Sind eigentlich eine Gruppe von Methoden, die dazu dienen, ein Produkt und dessen Einfluss auf verschiedene Sinne zu prüfen. So werden Produkte im Rahmen von Degustationen auf den Geschmack hin bewertet, bei Sniff-Tests wird der Geruch analysiert. Dazu kommen akustische, haptisch-ergonomische und visuelle Bewertungen. Die unterschiedlichen Methoden können (müssen aber nicht) kombiniert werden.

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.