„Gestern“ ist heute wieder chic

Zwei Phänomene haben derzeit Konjunktur. Einmal die Frage junger Leute nach gefälschten Luxus-Marken. Sie nennen sie „Fakes“ und distanzieren sich damit vom Establishment. Das zweite ist die Renaissance der Traditionsmarken. Die begann ebenfalls bei den Jugendlichen und dehnt sich inzwischen auf alle Altersschichten aus. Beidesmal reagieren Konsumenten auf einen allgemeinen Mangel an Orientierung.

Traditionsmarken sind Merkmal eines Zeitgeistes, der – wie Zeitgeist-Trends so oft – eher passieren als dass sie geplant sind. Legendäre Marken des vorigen Jahrhunderts wie Harley Davidson oder Barbour haben jahrzehntelang mehr um ihre Existenz gekämpft, als planvoll ihre grandiose Wiedergeburt aus eigener Kraft zu starten. Sie und viele andere große Marken der frühen Jahre profitieren von einem Trend, der weder systematisch herbei geredet, noch strategisch initiiert wurde. Vielmehr ist über die Jahrhundertwende eine Sehnsucht nach echten, ehrlichen, konservativ-soliden Werten entstanden.

Eine Fülle fast vergessener Marken-Ikonen sind plötzlich jünger geworden und – verblüffend genug – gleichzeitig konservativ geblieben. Jünger als Produkt und in der Technologie. Aber konservativ in ihrem Image, ihrem Mythos, ihrer Herkunft. Marken wie Tods oder Mini oder Lacoste oder Faber Castell oder Bentley oder Burberry oder Skoda oder Odol oder Puma sind Erfolgsbeispiele erster Klasse. Die Liste ließe sich fast unendlich fortsetzen.

Was ist passiert? Warum hat das keiner voraus gesehen? Und wie geht man damit um?

Marketing hat doch sonst die Nase immer rechtzeitig im Wind. Und die unzähligen Zukunfts- und Trendforscher haben auch immer ein besonderes Gespür für Veränderungen und Tendenzen. Der Trend zu Traditionsmarken aber hat in seiner Heftigkeit alle überrascht. Viele werden jetzt sagen: „Back to basics stand immer wieder im Raum, ob als Management-Technik, Mode, Ernährungsgewohnheiten oder oder … Die Theorie der Wellen, die immer wiederkehren, ist tatsächlich nichts Neues. Aber Traditionsmarken halten sich jetzt schon etwas länger. Der Zeitgeist hat eben seine eigenen Gesetze. Er wird meist erst im Nachhinein erkennbar und erklärbar.

Beim Trend zu Traditionsmarken wird deutlich, dass besonders junge Menschen die Orientierungslosigkeit, das Fehlen von Autorität und Vorbildern, die Sinnkrise der erwachsenen Welt und die terroristischen und politischen Verwerfungen spüren. Und darauf reagieren. Mit der Suche nach Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit und Orientierung. Und genau das ist der Kern, warum Traditionsmarken zurückkommen. Ihre Werte geben die Antwort:

Traditionsmarken haben über Jahrzehnte bewiesen, dass sie für Kontinuität und Beständigkeit stehen. Und diese Werte faszinieren in unserer heutigen, eher unberechenbaren und unsteten Zeit. Inzwischen ist aus dem Zufall dieses Trends eine kalkulierbare Chance geworden. Das Marketing greift dieses Momentum auf. Und es macht inzwischen Sinn, systematisch zu prüfen, welche schlummernden oder vergessenen Marken das Potential für einen „Wake up call“ haben. Das Rezept – wenn es denn eines gibt – zeigt bei den erfolgreichen „Renovierungen“ einige einheitliche Merkmale, von denen man lernen kann. Hier sind fünf davon:

    1. Der Mythos, die Geschichte der Marke wird wieder belebt. Die Herkunft wird für die Zukunft attraktiv inszeniert. Die Markenarchitektur greift die Symbole und Zeichen des Traditionellen auf. Alles Funktionale wird auf den heutigen Anspruch gebracht.

 

  • Qualitative Elemente werden dominant herausgestellt: Material, handwerkliche Kunst, historische Verarbeitungsweise und vieles mehr zeigen demonstrativ „Retro“ auf hohem Niveau. Sie schaffen die gewollte Distanz zu Neuheiten. Das Klassische trennt sich vom Modischen und bleibt zeitlos aktuell.

 

 

  • Der Premiumpreis ist ein Schlüssel. Er gibt dem Besonderen sichtbare Wertigkeit. Nach außen als Prestige-Symbol. Nach innen zur Selbstverwöhnung. Er ersetzt den Status der Vernunft durch Liebhaberei.

 

 

  • Die Distributionspolitik ist selektiv: Nicht überall und jederzeit, sondern das Gegenteil ist die Strategie. Ausgewählte Vertriebskanäle, hochwertige Waren-Präsentationen, zeremonielle Inszenierungen von Packung und Service. In manchen Fällen sogar das Konzept der Verknappung als Attraktionswert.

 

 

  • Die Kommunikation dramatisiert die Herkunft, die Wurzeln der Tradition. Im ersten Schritt wird oft eine Vorzeige-Käufergruppe angesprochen, um Status und Vorbild-Funktion zu verleihen. Der stilistische Auftritt, aber auch der inhaltliche betonen den Mythos, verheiraten ihn mit dem Zeitgeist. Das Stichwort heißt „Kult“. Er wird zunächst angestrebt – und dann gepflegt. Die Auswahl der Medien ist eine Mixtur aus Hochglanz und Limitierung, aus Talk of the Town und Event-Marketing. Erzeugt werden soll ein Vermissens-Erlebnis, das Begehren weckt.

 

Das sind nur einige Bausteine der Markenführung für Traditionsmarken. Die komplette Palette verbirgt sich hinter dem Begriff „Mystique Marketing“. Eine Technik der Markenführung, die speziell für Premium-Marken, aber in diesem Fall auch für Traditionsmarken anwendbar ist.

Interessant ist es, in diesem Zusammenhang auch mal einen Blick auf den erfolglosen Versuch zu werfen, Traditionsmarken wiederzubeleben. Daran kann man sehr schnell erkennen, dass Verstöße gegen einige der oben genannten Punkte tödlich sein können. Die Zahl der Flops ist nicht unerheblich, aber es wäre sicher unhöflich, hier Namen zu nennen. Nennen kann man wohl eine Reihe von Marken, die sich noch auf der Versuchsstrecke der Verjüngung oder Wiederbelebung befinden.

Für sie mag die Anwendung dieser Werkzeuge des „Mystique Marketing“ hilfreich sein, um den Erfolg sicherzustellen. Namen der „Testkandidaten“, die sich in diesem noch offenen Stadium einer erfolgreichen Renaissance befinden, sind z.B. TriTop, Creme 21, Afri Cola, Old Spice, Sarotti, Acqua di Parma, Birkenstock, Salamander. Und besonders prominent zur Zeit: 4711.

Es wird spannend sein zu sehen, welche Menschen welche Art privates Portfolio von Traditionsmarken für sich in Anspruch nehmen. Und wenn nicht im eigenen Land, dann – wie jüngst geschehen – können wir bei unseren zukünftigen Marken-Nachbarn in Indien und China beobachten, wie sie durch den Zukauf von internationalen Traditionsmarken versuchen, schnell Anschluss in diesem Wettbewerb zu finden. Namen wie Jaguar, Landrover, IBM und andere, die der ‚alten’ Welt abgekauft wurden, sind Zeugen dieser Entwicklung. Effizienter kann man kaum Mitglied der Champions League großer Global Brands werden.

Je schnelllebiger unsere Zeit wird und je hektischer die Innovations-Rhythmen auf uns einprasseln, umso attraktiver werden die zeitlos wertvollen Traditionsmarken für Menschen, die Verlässlichkeit und Kontinuität als wichtigen Teil ihres Lebens sehen. Wenn man diese Prämisse akzeptiert, ist die Chance für weitere Traditionsmarken, die zur Zeit noch im ‚Lager der Vergessenen’ ruhen, eigentlich unendlich.

Über den Autor: Bernd M. Michael ist Inhaber des BMM Büro für Markenarchitektur