Gendergerechte Sprache – und das zähe Ringen der Unternehmen

Ein Mitarbeiter aus dem Volkswagen-Konzern will nicht in gendergerechter Sprache angesprochen werden und klagt deswegen. Wenn Sprache durch Vorgaben geändert wird, erzeugt dies mitunter hitzige Diskussionen. Unternehmen sind in der Debatte mit der Frage konfrontiert, wie sie sich positionieren.
Rund um eine gendergerechte Sprache ist eine zum Teil hitzige Debatte entstanden, die in Unternehmen mitunter zum Kulturkampf wird. (© Imago)

„Audianer“ oder „Audianer_innen“? Diese Frage trägt ein Volkswagen-Mitarbeiter vor Gericht. Er möchte nicht, dass er in einigen gemeinsamen Gremien des Konzerns künftig mit geschlechtergerechter Sprache angesprochen wird. Audi hatte im März eine Richtlinie mit der neuen Vorgabe erlassen. Der Kläger verlangt nun, dass der Autobauer es unterlässt, seinen Mitarbeitern die Nutzung der Gender-Regeln vorzuschreiben. Die Klage ist Teil einer hitzigen Debatte über die richtige Ansprache der Geschlechter, die mitunter ein Kulturkampf ist.

Gender-Schreibweisen:Sternchen oder Unterstrich?

Immer mehr Hochschulen, Behörden und auch Unternehmen verwenden geschlechtergerechte Sprache. Kürzlich kündigte etwa die Lufthansa an, im Flugzeug auf die Begrüßung „Sehr geehrte Damen und Herren“ verzichten zu wollen. Die Crews sollten die Gäste eher mit geschlechtsneutralen Formulierungen willkommen heißen. Die Deutsche Bahn zog nach. Es sollten alle angesprochen werden, weswegen gendergerechte Formulierungen wie „Liebe Gäste“ bevorzugt würden, sagte eine Sprecherin zur „Bild“-Zeitung. Änderungen wie diese stoßen nicht nur auf Begeisterung, sondern sorgen für viele Seitenhiebe in sozialen Netzwerken.

Diskutiert wird dabei auch über die Einführung von sogenannten Gender-Schreibweisen, also Schreibweisen, die Männer und Frauen als auch Menschen ansprechen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. So gibt es das Gender-Sternchen („Student*innen“) oder den Unterstrich („Bürger_innen“).

Bewusstes gendern sorgt für Reaktionen

Selbst der Supermarkt um die Ecke kann eine Gender-Diskussion auslösen. Dies erlebte kürzlich ein Edeka-Markt in Friedberg bei Augsburg, als er auf seiner Facebook-Seite bekannt gab, das Produkt „Student*innen Futter“ ins Sortiment genommen zu haben. Zahlreiche Kommentare zeigten, wie sehr das Thema polarisiert. „Der erste Schritt in die richtige Richtung“, schrieb ein Nutzer; „Sowas geht mir tierisch auf die Nüsse…“ ein anderer. Der Markt blieb bei der Kontroverse gelassen.

Der Experte Philipp Rauschnabel sagt: „Wer bewusst und offensichtlich gendert, muss mit positiven und negativen Reaktionen rechnen.“ Der Professor lehrt Digitales Marketing und Medieninnovation an der Bundeswehr-Universität in München und glaubt, dass letztlich der Lieferant der Nussmischung am ehesten von der Diskussion profitieren wird.

Darf Audi konkrete Gender-Sprache vorgeben?

Audi sieht sich derweil nicht nur Kommentaren in sozialen Netzwerken gegenüber, sondern bekommt das Unbehagen in der Gesellschaft und in den eigenen Reihen mit der Unterlassungsklage auch juristisch zu spüren.

Der Kläger beschwert sich: Als Volkswagen-Mitarbeiter müsse er mit den Kollegen von Audi zusammenarbeiten und werde dort mit der Richtlinie konfrontiert, erklärt Rechtsanwalt Burkhard Benecken. So werde sein Mandant in gemeinsamen Gremien mit den gegenderten Begriffen angesprochen. Der Kläger verlange daher, dass es Audi unterlässt, seinen Mitarbeitern die Nutzung der Gender-Regeln vorzuschreiben. Benecken findet, dass ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern solche Vorgaben nicht machen könne. „Man darf die Sprache nicht konkret vorgeben.“

Die beim Autobauer eingeführte Unterstrich-Schreibweise wird auch von der „Charta der Vielfalt“ verwendet, eine Initiative mit dem Ziel, „die Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Vielfalt in der Arbeitswelt in Deutschland voranzubringen“. Mitgliedsunternehmen sind unter anderem die Deutsche Post, Siemens, BASF, Adidas – und auch Audi. „Wir empfehlen eine gendergerechte Sprache zu nutzen, aber wie das umgesetzt wird, ist jedem selber überlassen“, sagt der Sprecher der Initiative, Stephan Dirschl. Eine offizielle Empfehlung, ob Unternehmen in ihrer Kommunikation Unterstrich oder Sternchen verwenden, gibt die Charta nicht heraus.

Audi selbst will sich zu der Klage nicht äußern. Sprecher Joachim Cordshagen verteidigt allerdings den Sprachleitfaden: „Gendersensible Sprache ist Ausdruck einer sichtbaren, positiven Haltung zu Vielfalt und Chancengleichheit.“

Widerstand vom Verein Deutscher Sprache

Finanziell unterstützt wird der Kläger von dem unter Experten umstrittenen Verein Deutsche Sprache in Dortmund, der vom „Gender-Unfug“ nichts hält. Der Vereinsvorsitzende Walter Krämer schreckt bei dem Kampf auch vor historischen Vergleichen nicht zurück: „Das Aufzwingen einer Sprache, die keine rechtliche Grundlage hat, erinnert doch stark an Unrechtssysteme wie das der DDR oder an Dystopien wie „1984“ von Orwell.“

Die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden hingegen „unterstützt ausdrücklich die Bemühungen um eine sprachliche Gleichbehandlung aller Geschlechter“, wie es auf ihrer Webseite heißt. Zwar steht sie dem Gender-Sternchen oder anderen Gender-Formen, die etwa zu grammatikalisch oder orthografisch fehlerhaften Formen führen, kritisch gegenüber – „nicht aber dem Gendern an sich“.

Gender-Stern und -Unterstrich sorgen für grammatikalische Herausforderungen

Der Rat für deutsche Rechtschreibung, die maßgebliche Instanz für Fragen der Orthografie, teilt die Sorgen. Die Verwendung von Sonderzeichen könne zu Folgeproblemen und grammatisch nicht korrekten Lösungen führen. Ende März entschieden die Experten, dass etwa Gender-Stern und -Unterstrich bis auf weiteres zumindest offiziell keinen Einlass in die deutsche Sprache erhalten. Das Gremium will die Entwicklung des Schreibgebrauchs zunächst weiter beobachten.

Wie aus einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts und dem Personaldienstleister Randstad unter Personalleitern hervorgeht, nutzt knapp jedes dritte deutsche Unternehmen genderneutrale Sprache. Dabei nutzen Unternehmen der Umfrage von Anfang Juli zufolge sie vor allem in ihrer Kommunikation nach außen (35 Prozent). Innerhalb der eigenen Firmenwände nutzen sie lediglich 25 Prozent. Große Unternehmen verwenden demnach häufiger geschlechtergerechte Sprache als kleine.

Es geht um mehr als Sprache

Mit der Einführung von geschlechtergerechten Schreibweisen sei es allerdings auch nicht getan, sagt Charta-Sprecher Dirschl. Denn eigentlich gehe es um viel mehr als um eine Änderung der Sprache – nämlich um eine geschlechtergerechte Gesellschaft. „Wir glauben, dass Sprache das wirkungsvollste Mittel ist, um Bewusstseinsänderungen anzustoßen“, sagt Dirschl. Das müsse das Ziel sein. „Es geht nicht darum, vollumfänglich und hundertprozentig zu gendern. Sondern es geht darum, Akzente zu setzen, um zu zeigen, dass Vielfalt in allen Bereichen möglich ist.“

Wie lang es bis zu einem Urteil im Audi-Fall dauert, ist unklar. Einen Verhandlungstermin gibt es noch nicht, und gerade Zivilprozesse können sich in die Länge ziehen. Nach Angaben des Gerichts wird zunächst ein schriftliches Vorverfahren geführt.

Von Ulf Vogler und Katharina Redanz, dpa