Geld bei Carat. Geld floss ab. Geldwäsche. Punkt.

Nach mehr als eineinhalb Jahren Prozessdauer hat das Landgericht Wiesbaden im Zivilprozess der Mediaagentur Carat gegen die früheren Geschäftsführer der Zoffel Hoff und Partner Werbeagentur das Urteil verkündet. Der Richterspruch bietet interessante Einblicke in das oft bizarr anmutende Mediageschäft zwischen Mediaagenturen, Werbekunden und Medienvermarktern. Eine Urteilsanalyse von Michael Ziesmann.

Reinhard Zoffel war enttäuscht. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung verließ er den Gerichtssaal im Wiesbadener Landgericht, in dem die Vorsitzende Richterin Müller am vergangenen Freitag ihr Urteil verkündete. Zoffel und sein früherer Geschäftspartner Hoff sind als Gesamtschuldner zur Zahlung von insgesamt 2,5 Millionen Euro an die Mediaagentur Carat verurteilt worden. Beide haben sich der leichtfertigen Geldwäsche schuldig gemacht, so die Kammer. Bei Carat sind Gelder in Millionenhöhe von deren früherem CEO Aleksander Ruzicka veruntreut wurden. Zoffel Hoff und Partner Werbeagentur (ZHP) haben diese in 27 Fällen in Gesamthöhe von 5.355.586,42 Euro an Drittfirmen wie Camaco oder Objektgesellschaft Haideweg 14 (OH14) ohne erkennbaren Rechtsgrund durchgereicht. Carat hatte auf Schadenersatz geklagt und nun in erster Instanz Recht bekommen.

Fragen durch Urteilsbegründung

Die schriftliche Urteilsbegründung wirft jedoch mehr Fragen auf als sie beantwortet. Eine leichtfertige Geldwäsche setzt eine Vortat voraus. Keine Vortat, keine Geldwäsche – so die Definition. Das Gericht sieht die Vortat in der Untreuehandlung des rechtskräftig verurteilten Aleksander Ruzicka. Im Strafurteil gegen Ruzicka heißt es: „Bei den Fällen im Zusammenhang mit der ZHP GmbH liegt der Vermögensnachteil im Abfluss der von ZHP an die Firmen Camaco GmbH, Life2Solutions GmbH und OH14 gezahlten Beträge“. Demnach ist gerade nicht der Geldfluss von Carat zu ZHP als Untreuehandlung verurteilt worden, sondern der danach folgende Geldfluss von ZHP zu allerlei Drittfirmen. Die Kammer ordnet den danach folgenden Geldfluss jedoch nunmehr als Vortat für eben diesen Geldfluss ein.

Ein Verdacht, der aufkommt: Es handelt sich hierbei um eine juristische Verrenkung, mit der die Kammer eine Vortat für eine leichtfertige Geldwäsche erkennen möchte, die aber faktisch die Nachtat ist. Die mögliche Vortat, der Geldfluss von Carat zu ZHP, nämlich die massiv ausgedehnte Kommerzialisierung von Naturalrabatten – sogenannten Freispots – ordnet das Strafurteil als ein für Aegis an sich günstiges Geschäft ein. Dem liegt ein korrekter Abrechnungsvorgang zugrunde und Carat ist daraus kein Nachteil entstanden. Nichtsdestotrotz gelangt die Kammer zur Ansicht, dass Zoffel und Hoff hätten wissen müssen, dass das von Carat zu ZHP geflossene Geld aus einer Straftat stammt. Und das, obwohl dieser Geldfluss aber gerade nicht den Vermögensschaden der Untreue begründet, für die Ruzicka zu 11 Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde.

Mediageschäft nicht verstanden

Mediageschäft nicht verstanden

Doch damit nicht genug. Scheinbar hat die Kammer schlicht das Mediageschäft offenkundig nicht verstanden hat. Von „Mediaeinkauf und -verkauf“ ist die Rede. Das wäre Trading und ist noch im Jahre 2012 umstritten. Der Mediabetreuungsvertrag zwischen Carat und ZHP bestand in den Jahren 2002 bis 2006. Das Kerngeschäft von Mediaagenturen wie Carat besteht in der Vermittlung von Werbeplätzen. Für diese Vermittlung zahlen Werbekunden wie ZHP beziehungsweise die Kunden der Werbeagentur ZHP monatlich im Voraus das im jeweiligen Folgemonat benötigte Schaltvolumen auf so genannte „Einkaufsvorteilskonten“ der geschäftsbesorgenden Mediaagentur ein – also ein Debitoren- oder Fremdgeldkonto.

Bei diesen Vorauszahlungen sind lediglich kundenbezogene und tarifliche Rabatte auf Netto-Netto-Basis berücksichtigt. In der Endabrechnung nach Ende des jeweiligen Werbemonats entsteht in aller Regel ein Guthaben des Werbekunden, da erst jetzt die tatsächlich realisierten außertariflichen und kundenübergreifenden Rabatte auf Netto-Netto-Netto-Basis abgerechnet werden können. Dazu meint die Kammer in ihrer Urteilsbegründung: „Liegt diese Endabrechnung unter der Zahlung auf die Vorausrechnung, wird die Differenz bilanztechnisch auf einem Rückstellungskonto, dem so genannten Einkaufsvorteilskonto erfasst. Letztlich werden diese Beträge als gewinnerhöhende Wertzuflüsse in die Ertragskonten der Klägerin gebucht.“

Urteil stellt Medienpraxis in Frage

Würde sich diese Auffassung durchsetzen stellt das diese marktübliche Vorauszahlungspraxis grundlegend infrage. Wenn eine Mediaagentur wie Carat die Differenz zwischen Vorausrechnung und Endabrechnung als Gewinn für sich vereinnahmen darf, anstatt das weder für Medienrechnungen noch das eigene Honorar verbrauchte Kundengeld an den Kunden zurückzahlen zu müssen, könnten Werbekunden Gefahr laufen, den Anspruch auf ihr eigenes Geld zu verlieren. Unverbrauchte Vorauszahlungen der Werbekunden könnten durch die Mediaagentur als Gewinn verbucht und einbehalten werden – anstatt unverbrauchtes Geld an die Kunden zurück zu zahlen.

Die Kammer erwähnt kanpp das so genannte „Danone-Urteil“, mit dem die Mediaagentur Carat vom Oberlandesgericht München rechtskräftig zur Offenlegung aller erhaltenen Rabatte verurteilt wurde, die im Zusammenhang mit dem Werbekunden Danone standen. Beim Werbekunden ZHP trennt die Kammer in demselben Zeitraum bei derselben Agentur unter demselben Geschäftsführer dennoch zwischen kundenbezogenen und agenturbezogenen Rabatten. Sie meint, dass Carat weder etwas offenlegen muss noch verpflichtet sei mehr als die kundenbezogenen Rabatte herauszugeben. Obwohl jeder Rabattart immer nur ganz oder teilweise das Geld der Werbekunden rabattieren kann.

Gleichzeitig erklärt das Urteil nicht wie die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass kundenübergreifende Rabatte – die die Summe aller Kundengelder rabattieren – automatisch zu einem Agenturrabatt werden können. Insbesondere wenn sämtliche Rabatte von den Medienvermarktern immer kundenbezogen gewährt und Aufträge überhaupt nur für namentlich genau bezeichnete Kunden angenommen werden. Das Oberlandesgericht München erklärte im „Danone-Urteil“, dass sämtliche Rabattarten nicht voneinander zu trennen sind: „Bei einer reinen Beschränkung auf die kundenbezogenen Rabatte wäre es der Beklagten bei den Verhandlungen mit den Medien ohne weiteres möglich, diese kundenbezogenen Rabatte möglichst weit nach unten festzulegen, und im Ausgleich hierfür die agenturbezogenen Rabatte anwachsen zu lassen“.

In Kenntnis dieses rechtskräftigen Urteils des Oberlandesgerichts München schreibt die Wiesbadener Kammer: „Der schriftliche Vertrag zwischen der Klägerin enthält keine Regelung über den Einsatz und die Preisgestaltung für agenturbezogene Freispots, so dass es der Klägerin grundsätzlich frei stand, zu entscheiden, ob solche überhaupt gegenüber der ZHP GmbH eingesetzt wurden und zu welchem Preis“. Weiter heißt es in der 34-seitigen Urteilsbegründung: „Wie bereits ausgeführt handelt es sich bei agenturbezogenen Freizeiten nicht um eine Reduzierung des Nettopreises zu Gunsten des Einzelkunden.“ Das heißt, nach Auffassung der Kammer hat ein Werbeplatz mit 100 Prozent Rabatt – ein sogenannter Freispot – keine Auswirkung auf den Nettopreis des Werbekunden, und die Mediaagentur kann Freispots disproportional auf ihre Werbekunden aufteilen. Die jahrelange gelebte disproportionale Verteilung von Freispots beim Kunden ZHP sei jedoch nicht in Ordnung, so die Kammer.

Praxis in der Fernsehvermarktung

Praxis in der Fernsehvermarktung

Die Fernsehwerbezeitenvermarkter gewähren jede Rabattform grundsätzlich immer den Kunden der Agenturen. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der SevenOne Media steht: „Die Rabatte werden auf die Mediabruttovolumina der Kunden der Agentur innerhalb eines Kalenderjahres gewährt“. Weiter heißt es: „Sofern er verpflichtet ist, wird der Vertragspartner, sofern der Vertragspartner eine Agentur ist, alle empfangenen Rabatte und Skonti den von ihr betreuten Kunden gegenüber offenlegen und gegebenfalls an diese weiterreichen“.

Zudem haben Fernsehwerbezeitenvermarkter wie IP und SevenOne Media beim Einsatz von Freispots ein Schieberecht und müssen dem Einsatz zustimmen. Das findet in dem ZHP-Urteil keine Erwähnung. Stattdessen bezieht sich die Kammer auf einen Zeugen der IP Deutschland, der über den Umfang des Einsatzes von kostenlosen Werbezeiten „nur schmunzeln“ konnte, obwohl auch IP Deutschland eben diesem Vorgang beim Werbekunden ZHP zugestimmt haben muss. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der IP Deutschland heißt es zudem: „Aufträge von Werbeagenturen werden nur für namentlich genau bezeichnete Werbungtreibende angenommen“. Hier zeigt sich der Fehler: Die Kammer hat durchaus richtig festgestellt hat, dass ein Backoffice wie die Aegis Media Central Services GmbH & Co. KG „jedoch keine Verträge mit Endkunden“ schließt. Da alle Rabatte von den Medienvermarktern immer nur kundenbezogen gewährt werden, bleibt unklar warum eine Agentur ohne Kunden überhaupt irgendwelche Rabatte erhält.

Die Kammer ordnet das Mediageschäft zwischen Mediaagenturen und Werbekunden grundsätzlich als Geschäftsbesorgung ein. Aber in Sachen Offenlegung und Transparenz urteilt die Kammer dennoch entgegengesetzt zum rechtskräftigen „Danone-Urteil“, in dem Carat zu vollständiger Offenlegung aller erhaltenen Rabatte, Vergünstigungen, Kickbacks und sonstigen Zahlungen verurteilt wurde. Diese Kammer argumentiert, dass soweit es bezüglich des Einkaufes heiße, die Klägerin gewährleiste „vollständige Transparenz“, kann nicht angenommen werden, dass die Klägerin gegenüber ihrem Kunden ZHP GmbH zur Offenlegung ihrer agenturbezogenen Vorteile verpflichtet gewesen wäre. Der Grund sei, dass die Klägerin in diesem Fall gegenüber der ZHP GmbH ihren Gesamtumsatz mit den jeweiligen Vermarktern und den Inhalt der mit diesen getroffenen Jahresvereinbarungen hätte offen legen müssen, und die ihr gewährten agenturbezogenen Vorteile zudem noch im Verhältnis zum Umsatz aller ihrer Kunden transparent hätte verteilen müssen.

Das Bürgerliche Gesetzbuch, in dem in § 667 BGB die vollständige Herausgabe von allem aus der Geschäftsbesorgung Erlangtem eindeutig geregelt ist, ist für die Kammer „nur entsprechend anwendbar“. Zur Begründung dessen nimmt die Kammer auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes Bezug, in dem über Franchisegeber berichtet wird. Warum jedoch das Mediageschäft mit Franchisegeschäften wie Bofrost oder McDonalds vergleichbar sein sollte, erklärt das Urteil nicht.

Kleine Kunden mit großer Bedeutung

Kleine Kunden mit großer Bedeutung

Es scheint als habe die Kammer nicht vollständig realisiert, dass bei Mediaagenturen Gewinne betriebswirtschaftlich selbstverständlich entscheidender sind als Umsätze. So wird die Werbeagentur ZHP als „kleiner Kunde“ bezeichnet, der kaum oder gar keinen Anspruch auf Rabatte haben würde. Jedoch sind es gerade kleine oder weniger gut informierte Werbekunden, die bereit sind, üppige Zusatzhonorare für den Erhalt von kostenlosen Werbeplätze zu zahlen, wobei sie in ihren Mediaverträgen nicht alle Rabattarten genauestens benannt oder quantifiziert haben. Daher tragen vermeintlich kleine Kunden mit geringerem Umsatz überproportional stark zum Gewinn der Mediaagentur bei.

Im Prozessverlauf wurde bekannt, dass ein Werbekunde wie Danone mit einem Bruttovolumen von ca. 150 Millionen Euro zu ca. 500.000 Euro Gewinn für die Mediaagentur geführt haben soll. Der vermeintlich „kleine Kunde“ ZHP soll hingegen bei einem Bruttovolumen von acht Millionen Euro zu 1,5 Millionen Euro Gewinn für die Mediaagentur geführt haben. Während der gut informierte Werbekunde Danone nichts für Freispots zahlte und sämtliche Rabattarten für sich vereinnahmt haben soll, konnte Carat bei dem „kleinen Kunden“ ZHP mit 20 Prozent statt null Prozent an außertariflichen Rabatten partizipieren. Das würde den enorm hohen Einsatz von Freispots auf dem Kunden ZHP erklären. Im Urteil findet dies bei der Kammer keinerlei Erwähnung.

Das Urteil macht deutlich, dass Werbekunden gefordert sind ihre Vorauszahlungspraxis zu überprüfen und bei der Formulierung ihrer Mediaverträge auf jedes kleinste Detail zu achten. Das gilt insbesondere auch für die Wahl des Gerichtsstandes am Sitz des Werbekunden und nicht der Mediaagentur. Vor allem aber wird deutlich, dass sich eine Handelskammer mit dieser Materie befassen muss – wie am Landgericht und Oberlandesgericht München beim „Danone-Urteil“ praktiziert.

Gründe für das Urteil

Gründe für das Urteil

Offenbar wollte die Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden dem vorangegangenen Urteil an der 6.Strafkammer desselben Landgerichts nicht grundlegend widersprechen. Immerhin wurde Ruzicka in den Fällen eins bis 27 des Strafurteils wegen einer Vermögensgefährdung im Zusammenhang mit ZHP verurteilt. Wenn dieser monetäre Schaden zivilrechtlich verneint worden wäre, und diese Kammer anders geurteilt hätte, hätte dies zu einer teilweisen Wiederaufnahme des Strafprozesses Ruzicka führen können.

Zudem agierte die Kammer wohl in dem Wissen, dass die Beklagten ohnehin Berufung beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main oder gar dem Bundesgerichtshof einlegen werden. Das Urteil ist damit nicht rechtskräftig. Aufgrund der vorläufigen Vollstreckbarkeit will Carat dennoch Zahlungsverbote im Bezug auf Volker Hoff bei dessen früheren Arbeitgebern Opel und der Hessischen Landesregierung platzieren. Wobei Opel als auch die CDU langjährige Kunden von Carat sind.

Bereits im Dezember findet die „Ruzicka-Affäre“ am Landgericht Wiesbaden eine Fortsetzung. Der frühere Geschäftsführer der Mediaagentur Carat wird sich wegen Beihilfe zur Untreue vor der 6.Strafkammer verantworten müssen. Diese Kammer hatte die Anklage gegen Heinrich Kernebeck im November 2007 zunächst abgelehnt. Nachdem das Oberlandesgericht Frankfurt am Main diese Entscheidung Anfang Februar 2009 verbessert und eine zügige Verhandlung angeordnet hat, findet im Dezember 2012 nun doch schon die Hauptverhandlung statt. Da nur zwei Verhandlungstage angesetzt sind, ist davon auszugehen, dass hinter den Kulissen ein mildes Urteil gegen ein Geständnis im Sinne der Anklage bereits feststeht.

Michael Ziesmann verfolgt die Prozesse am Gericht in Wiesbaden für absatzwirtschaft.de. Lesen Sie dazu auch:
Das Ruzicka-Urteil und die Folgen