Funktioniert Twitter als Markenplattform?

Twitter ist schnell, unkompliziert, unzensiert und global. In Deutschland erreicht man vor allem Meinungsbildner über diesen Kanal. Aber taugt er deshalb zum Branding? Die Twitter-Deutschlandchefin Jolanta Baboulidis hat sich dazu auf der CMCX-Home geäußert.
Knapp eine Milliarde Dollar setzt Twitter derzeit pro Quartal mit Werbung um. (© Kon Karampelas / Unsplash)

„Wir sehen aktuell einen Anstieg von Alkohol auf Twitter“, kommentiert Jolanta Baboulidis pointiert mit einem Schmunzeln das Geschehen im weltweiten Netz. Im Rahmen eines Vortrags auf der CMCX-Home skizzierte die Deutschlandchefin von Twitter am Mittwoch, wie der Kurznachrichtendienst die Volksseele abbildet. Nachdem anfänglich vor allem Unsicherheit und viele offene Fragen auf der Plattform zu spüren waren, habe sich der Wind ins Konstruktive gedreht: „Die Menschen beschäftigen sich mit den Dingen, die sie machen können, um besser durch die Zeit zu kommen: Sport, Haustiere, Gaming.“

Twitter surft derzeit auf einer Erfolgswelle. 166 Millionen „monetarisierbare“ Nutzer habe der Dienst eigenen Angaben zufolge. 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Monetarisierbar sind solche, die direkt in der Twitter-App oder auf der Website interagieren und folglich Werbung sehen. Nutzer von Dritt-Clients sehen diese eventuell nicht. Knapp eine Milliarde Dollar setzt der Dienst derzeit pro Quartal mit Werbung um.

Jolanta Baboulidis, Deutschlandchefin von Twitter

Statista schätzt, dass inzwischen rund sechs Millionen Deutsche regelmäßig twittern. Der Service ist immer noch unterrepräsentiert im Vergleich zu anderen Social Networks. „Es sind viele Akademiker und Menschen mit höherem Einkommen“, sagt Baboulidis. Taugt der Kanal also zum Brandbuilding oder ist es eher ein Performance-Kanal für Unternehmen, die die Akademiker als Zielgruppe sehen?

„Wir wissen, dass die Menschen zu uns kommen, um Neuigkeiten zu Covid19 zu erhalten“, sagt die gebürtige Polin. Sie meint, dass sich Menschen in Krisenzeiten auch verstärkt an Marken orientieren und sich diesen zuwenden, sie verlangen aber eine angepasste, einfühlsame Form der Kommunikation.

Die Marken-Agenda des Kurznachrichtendienstes

Es gibt fünf Themenbereiche, die Nutzer verstärkt interessieren: Aktuelle Informationen, Customer Service und Support, Ablenkung, Wir-Gefühl und Reaktionen auf Covid19. Als Beispiel für aktuelle Information zeigt Baboulidis einen Tweet von Ikea zur Wiederöffnung von Standorten am 11. Mai. Klassische Pressearbeit also. Den „Erfolg“ solcher Maßnahmen erhebt Twitter durch Brandvalue-Messung: „Wir befragen unsere Nutzer. Wir arbeiten mit Nielsen zusammen und machen Brandlift-Studien. Wir wollen da schon etwas Handfestes in der Hand haben und nicht nur ein Gefühl“, so Baboulidis.

Etwas mehr Agenda-Setting betreibt die Lufthansa, die sich als Grundversorger der Mobilität positioniert. Dem Service-Aspekt wird dadurch Rechnung getragen, dass man direkt auf Umbuchungsseiten verlinkt. Ein spannenderes Beispiel liefert Microsoft. Man veröffentlichte Leitfäden für Homeschooling, sowie Tipps für Eltern und Lehrer. Hier funktioniert das Spiel über die „Medien-Bande“ natürlich prächtig, denn jede Publikation hat in diesen Tagen Artikel veröffentlicht, die solche Tipps in den Mittelpunkt rücken. Betrachtet man Twitter vor allem als PR-Kanal, dann ist das sogenannter „enabling“ Content. Dem B2B-Partner wird Material an die Hand gegeben, das dieser mit seinem Publikum teilen will.

Im März war ein deutlicher Anstieg zu sehen bei Müttern, die mit Homeschooling beschäftigt sind und Tipps und Tricks teilen.“

Jolanta Baboulidis über aktuelle Trends bei Twitter

Große Marken haben es offensichtlich leicht, denn ihnen hört man zu oder sucht danach. Für kleinere Marken empfiehlt Baboulidis, dass man sich nach passenden Hashtags umschaut, die ja dann Themencluster bilden, das reiche von der Angler-Community bis zu speziellen Musikinteressen. „Ich werde oft gefragt, welche Trends wir in Deutschland gesehen haben“, fährt die Deutschlandchefin fort. „Im März war ein deutlicher Anstieg zu sehen bei Müttern, die mit Homeschooling beschäftigt sind und Tipps und Tricks teilen.“

Den Unterhaltungsaspekt in den Mittelpunkt rücken Dr. Oetker und die BVG. Dr. Oetker treibt den Homeoffice-Autismus auf die Spitze und hält dazu an, seinen Zimmerpflanzen „Mahlzeit“ zuzuraunen, um sich wie in der Kantine zu fühlen. Und die Berliner Verkehrsbetriebe bieten eine Vorlage „Malen nach Zahlen“ an, die nach der Fertigstellung den Netzplan der BVG abbildet.

Twitter, das politische Medium?

„Die Abgrenzung zu anderen Social Networks erfolgt definitiv über die Audience. Die Menschen sind im Durchschnitt besser gebildet, verfügen über höheres Haushaltseinkommen und beeinflussen andere Menschen. Wir nennen sie auch Influencer, aber das ist schon anders, als ein Youtube-Influencer. Bei Twitter wird viel gefragt. Etwa: Welches Telefon soll ich mir kaufen?“, sagt Baboulidis.

Dieser Aspekt und die hohe Geschwindigkeit des Dienstes bestimmen die kommunikative Agenda. Twitter gibt sich dieser Tage viel Mühe, sich auch in Angrenzung zu anderen Diensten als „brand-safe“ darzustellen. „Sicherheitslücken wie Zoom oder andere haben wir nicht. Wir haben klare Richtlinien und Regeln und verschärfen diese weiter. Wenn diese verletzt werden, wird entweder der Tweet gelöscht oder der Nutzer gebeten, ihn zu löschen“, so die Deutschlandchefin des Dienstes.

Das ist freilich ein schmaler Grat, denn spätestens seit den Trump-Eskapaden ist Twitter auch als Manipulationswerkzeug in Verruf geraten, Und gerade in diesen Tagen tobt der Streit um Fake News und Verschwörungstheorien rund um das Virus. Aber auch dazu hat man bei Twitter klare Regeln erarbeitet. „Wir zensieren nicht“, sagt Baboulidis. „Meinungsfreiheit ist das höchste Gut für Twitter. Wenn einer einen Hashtag wie #cmcx verwendet und dort Werbung für sein Unternehmen macht, ist das Meinungsfreiheit. Sobald er gegen unsere Regeln verstößt reagieren wir natürlich.“

Dreistufiges Kontrollverfahren filtert Verstöße

Das tut der Kurznachrichtendienst auf drei Ebenen: Eine KI durchsucht die Tweets (9000 pro Minute) nach verdächtigen Inhalten. Dann schauen Redakteure darauf. Bei klaren Verstößen gegen geltendes Recht oder die Twitterregeln wird sofort gelöscht, ansonsten bekommen die Tweets ein so genanntes Label. Durch dieses Label wird eine Verbindung zu vertrauenswürdigen Informationsquellen wie etwa dem Gesundheitsministerium hergestellt. Der Nutzer kann so die im Tweet dargestellte Meinung prüfen. Ist sich das Redaktionsteam unsicher, dann wird der Beitrag auch noch separat geprüft. Das geschieht in Abstimmung mit entsprechenden Experten aus den Gremien.

„Wir sind nicht mehr das Twitter von 2010. Wir sind uns der Verantwortung, die wir als Plattform haben, wohl bewusst. Wir mussten in den letzten Jahren viele neue, für uns teilweise ungewohnte Wege gehen, um sicherzustellen, dass wir dem gerecht werden“, sagt die Deutschlandchefin.