Für den Mittelstand oft leichter gesagt als getan

Seit Jahren rückläufige, bestenfalls stagnierende Inlandsmärkte kennzeichnen das Bild in fast allen Branchen. Die Folge ist eine mangelhafte Auslastung der Produktionsstätten. Sinkende Preise verschärfen die Situation zusätzlich. Für zahlreiche mittelständische Unternehmen wird es in naher Zukunft deshalb unumgänglich sein, neue Absatzmärkte weltweit zu erschließen, um Einbußen auf angestammten Märkten auszugleichen.

Die Chancen der Internationalisierung sind Gegenstand einer Flut von Veröffentlichungen und in der Tat hat sich vieles verändert. Weltweit sind übergreifende Infrastrukturen entstanden, die dafür sorgen, dass sich das Risiko internationaler Aktivitäten deutlich verringert hat. Insbesondere durch den verbesserten Zugang zu Märkten ehemals abgeschotteter Planwirtschaften in Russland und in China, durch die zunehmende Vereinheitlichung des weltweiten Lebensstils und durch die Chance, Geschäftskontakte zu einem weiten Umfang beinahe automatisch zu organisieren, ist Internationalisierung heute eine Option, die vielen Unternehmen offen steht und nicht an eine Unternehmensgröße gebunden ist.

Beispiele erfolgreicher Internationalisierungsstrategien im Mittelstand lassen sich bisher vor allem im Maschinenbau finden. Bereits heute erzielen viele Unternehmen dieser Branche 80 % ihres Umsatzes im Ausland. Auch die Erfolgstorries der so genannten „Hidden Champions“ – äußerst erfolgreiche, aber der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannte Unternehmen – zu denen z.B. Unternehmen wie Sto/Bauchemie, Rittal/Industrieelektronik oder Rational/Küchengeräte gehören, haben eines gemein: sie wachsen auch in rezessiven Zeiten, da sie rechtzeitig in ausländische Märkte investiert haben und dies nachhaltig forcieren.

Besondere Herausforderungen für mittelständische Unternehmen

Auch wenn die Internationalisierung heute nicht mehr von der Unternehmensgröße abhängig ist, so steht der Mittelstand aufgrund seiner Struktur vor ganz besonderen Herausforderungen.

  • Finanzielle Ressourcen
    Um einen neuen Markt zu erobern, Marken zu etablieren, einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erreichen, sind große Anschubinvestitionen notwendig und möglicherweise müssen auch Anlaufverluste getragen werden. Über die notwendigen finanziellen Ressourcen verfügen in der Regel nur Großunternehmen. Mittelständler müssen andere Strategien verfolgen, die diesen Größennachteil wettmachen.
  • Personelle Ressourcen
    Nicht selten bestehen Exportabteilungen aus „One-man-shows“, die eine Vielzahl ausländischer Märkte betreuen, den landesspezifischen Anforderungen jedoch nur eingeschränkt Rechnung tragen können. Auch die Unterstützung durch ein internationales Produktmanagement oder Business Development fehlt in den meisten Fällen.
  • Inhaberprägung
    Charakteristisch für den deutschen Mittelstand ist die starke Dominanz des Inhabers – sei es als geschäftsführender Gesellschafter oder als Beirat/Aufsichtsrat, der im Hintergrund die Fäden in der Hand hält. Während das Inlandsgeschäft auf diese Art straff von einer Person geführt werden kann, ist das Auslandsgeschäft insbesondere wenn es sich um Überseemärkte handelt, aufgrund der fehlenden Nähe kaum in der gleichen Weise zu steuern.

Strategien für eine erfolgreiche Internationalisierung

Um trotz der genannten Besonderheiten erfolgreich in ausländische Märkte vorzustoßen, sind eine Reihe von Hausaufgaben in Punkto Strategie, Organisation und Marktbearbeitung zu erledigen.

  • Fokussierung bei der Auswahl relevanter Märkte

    Den meisten Unternehmen ist es aufgrund knapper finanzieller Ressourcen und knapper Managementkapazitäten kaum möglich, gleichzeitig verschiedene Absatzmärkte zu erschließen. Notwendig ist daher eine eindeutige Fokussierung auf strategische Zielregionen, da ansonsten zwar weltweiter, aber überall nur mit „halber Kraft“ operiert wird. Entsprechend unbefriedigend sind die Ergebnisse.

    Jedes Unternehmen sollte sich als erstes die Frage stellen, welche Produkte es zu welchen Preisen auf welchen Märkten anbieten will. Mangelnde Kenntnis über die wirklichen Chancen und Risiken im jeweiligen Auslandsmarkt ist einer der Hauptursachen für gescheiterte Internationalisierungsbestrebungen. Es empfiehlt sich für die Vorbereitungsphase daher die Gründung eines Projektteams mit klaren Zeitzielen. Sind entsprechende Kapazitäten oder das notwendige Methoden-Know-how (Projektmanagement, Marktbefragung, Beschaffung und Analyse der statistisch relevanten Daten etc.) nicht vorhanden, liefert das Hinzunehmen professioneller externer Unterstützung mittel- und langfristig ein besseres Ergebnis, auch wenn kurzfristig die Kosten höher sind.

    Eine gewissenhafte Analyse umfasst eine Vielzahl von Untersuchungen:

    • Kundenbedürfnisse
      Werden die Erfolgsmuster des Stammmarktes einfach in andere Märkte exportiert, finden diese Produkte und Leistungen oftmals nur wenige Käufer. So hat beispielsweise der skandinavische Möbelehrsteller Ikea große Probleme, seine europäische Produktpalette in den USA abzusetzen. Der Bedarf der Amerikaner unterscheidet sich von dem der Europäer stark in Maße und Design.

      Eine Chance mit weitestgehend gleichen Leistungen auch im Ausland erfolgreich zu sein bietet sich insbesondere für mittelständische Unternehmen in Zulieferbranchen, indem sie ihren Kunden an deren Standorte ins Ausland folgen (Huckpackstrategie). Zu beobachten ist das vor allem in der Automobilindustrie. Hier gilt es vor allem international gültige Werksnormen zu kennen und für sich zu nutzen.

    • Normen und Vorschriften
      Besondere Auflagen und Verordnungen im Ausland können ein K.O.-Kriterium aber auch eine große Chance für einen Auslandseinstieg sein. Einerseits öffnet die fortschreitende – wenngleich langsame – Harmonisierung im Rahmen der Normen zunehmend Märkte, die noch vor wenigen Jahren nur mit aufwendigen Sondervarianten bedient werden konnte, andererseits bieten andersartige Vorschriften im Ausland Vorteile. So klagen z. B. einige Unternehmen der Baubranche wie Rigips über die starren Vorschriften und die veraltete Honorarordnung für Architekten in Deutschland, während im Ausland innovative und kostengünstige Lösungen einfacher zum Einsatz kommen können.
    • Marktmechanik
      Ebenfalls von elementarer Bedeutung ist die Kenntnis der landesspezifischen Marktmechanik. Ist z. B. im Anlagenbau nicht klar, welche Rolle Investor, Planer, Generalunternehmer, Handel und Verarbeiter im jeweiligen Land spielen und welche Anforderungen der oder die Entscheider bzgl. Produkt oder Dienstleistung haben, ist das Scheitern vorprogrammiert.
    • Wettbewerb
      Nur wer seine Wettbewerber kennt, kennt auch seine Marktchancen. Gerade mittelständische Unternehmen treffen im Ausland i.d.R. auf eine völlig andere Wettbewerbsstruktur als im Inland. Um die Erfolgschancen ausloten zu können, müssen basierend auf ihrem Leistungs- und Ressourcenumfang die Handlungsoptionen der Wettbewerber bei Markteintritt abgeschätzt werden.
    • Politik und Gesellschaft
      Auch die Analyse von politischen, gesellschaftlichen und fiskalischen Faktoren zeigt Chancen und Risiken auf, gerade wenn es um die Errichtung von Auslandswerken geht. Dabei spielen Beschränkungen und Begünstigungen in Punkto Local Content, Verfügbarkeit und Kosten der Arbeitskräfte und Kapitalverkehr eine wichtige Rolle.
  • Auswahl der Einstiegsalternativen

    Sind alle Rahmenbedingungen und Marktanforderungen analysiert, gilt es die Form des Markteinstieges festzulegen. Für mittelständische Unternehmen bieten sich Kooperationslösungen an. Beispielsweise kooperiert Alfred Ritter (Rittersport) mit einem russischen Hersteller von Pralinen, der keine Schokolade im Programm hat. Solche Zusammenschlüsse sind in vielen Unternehmensbereichen möglich und sinnvoll, von Forschung über Beschaffung bis zur Produktion und Absatz. Dabei muss es sich nicht unbedingt um ein Partnerunternehmen in der Zielregion handeln, auch Zusammenschlüsse mit Unternehmen aus dem Stammmarkt, die sich nicht auf der gleichen Wertschöpfungskette befinden, sind zweckmäßig.

    Eine andere Möglichkeit, den Kapitaleinsatz niedrig zu halten, sind Lizenzvergaben, Franchising-Konzepten oder Joint Ventures. Die Vorteile reichen hier von der Bereitstellung des erforderlichen lokalen, technischen und marktseitigen Know-hows bis zum Agieren eines motivierten, selbstständigen Unternehmers vor Ort.

    Doch alle diese „kooperativen Markterschließungsformen“ beinhalten ein hohes Risiko, vor allem dann, wenn der Partner die Möglichkeit hat, sich nach erfolgtem Kompetenz- oder Technologie-Transfer zu verselbstständigen. Es ist deshalb für den Mittelständler wichtig, darauf zu achtet, dass die Kontrolle über die wettbewerbswirksamen Kernkompetenzen beim eigenen Unternehmen verbleiben.

    Anstatt zu fusionieren gründen viele Unternehmen Niederlassungen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Aktivitäten dieser Tochtergesellschaften entregionalisiert werden. Im Klartext bedeutet das, dass die durchgängige funktionale Verantwortungsstruktur (z.B. Entwicklung, Marketing/Vertrieb) von der zweiten Führungsebene bis in die Auslandsniederlassungen eingeführt wird. Der Verantwortungsbereich „Region“ entfällt somit; Der Niederlassungsleiter hat koordinierte Aufgaben und nicht mehr die Möglichkeit, sich zu einem „Landesfürsten“ mit dementsprechenden Rechten und Autonomiebereichen zu entwickeln.

  • Positionierung im Markt

    Für jedes Land muss ein eigenes Marketing-Mix erstellt werden, denn Preise, Vertriebskanäle, Leistungen (Produkte, Varianten, Dienstleistungen) und Kommunikationsmaßnahmen sind spezifisch anzupassen.

    Vor dem Hintergrund zunehmend international agierender Kunden und der drastisch gestiegenen Transparenz z. B. durch Internet und in Folge der Euro-Einführung, kommt insbesondere einer international abgestimmten Preispolitik eine zentrale Rolle zu. Zur Vermeidung des Vertrauensverlustes in Folge enormer Preisunterschiede bei einem Kunden, der in verschiedenen Ländern Kunde ist, gilt es wo nötig, die Preise soweit anzupassen, dass sie für den Vertrieb kommunizierbar bleiben. Proaktives Handeln ist langfristig die bessere Alternative.

    Auch eine Markteinführung durch großzügige Preisnachlässe zur Generierung sogenannter Quick-hits (Verdrängung eines Wettbewerbers, „um in den Markt zu kommen“) ist langfristig für mittelständische Unternehmen nicht zielführend. Der Einstieg mit niedrigeren Preisen ist nur dann sinnvoll, wenn man über eine überlegene Kostenstruktur und das entsprechende Geschäftsmodell verfügt, wie das beispielsweise bei Ryan Air der Fall ist.

  • Markenpositionierung

    Von immer größerer Bedeutung – auch für den Mittelstand – ist die Positionierung der Marke. Gerade die in der Regel hochpreisigen Produkte deutscher Unternehmen bedürfen eines hochwertigen Images. Alleine die Überlegenheit in Punkto Qualität – wenn überhaupt von den Kunden im Land wahrgenommen – reicht oft nicht aus, um die etablierten lokalen Wettbewerber des Landes zu verdrängen.

    Im Zeitalter von Multimedia stehen heute wesentlich größere Möglichkeiten zur Verfügung, die Marke des Unternehmens, einer Produktfamilie oder insbesondere im Konsumgüterbereich einer Einzelmarke zu fördern, als das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Insbesondere das Sport-Sponsoring wird zunehmend auch von mittelständischen Unternehmen genutzt, um die eigene Marke über die Grenzen der bisher bearbeiteten Märkte bekannt zu machen. Bei einem Einstieg in einen neuen Markt muss dann „nur noch“ der Leistungsvorteil/-nutzen transportiert werden. Aktuelle Beispiele sind hier Buderus und Viessmann/Heizungsbranche (Wintersport), illbruck/Gebäudetechnik (Segeln) oder Creaton/Tondachziegel (Leichtathletik).

    Erfolgt der Markteintritt im Rahmen einer Kooperation, eines Joint Ventures oder einer Fusion, gilt es, die verschiedenen Marken abzugrenzen. Die im deutschen Heimatmarkt gültigen Positionierungen – angefangen beim Markennamen bis hin zur Preispositionierung – sind vom Auslandsmarkt nicht immer adaptierbar. Wesentlich ist, dass die Marken- und Internationalisierungsstrategie auf die Strategie des Unternehmens abgestimmt werden müssen.

Integration der Organisations- und Kommunikationsstrukturen

Die Sicherstellung der weitestgehenden Nutzung von Synergien in der Organisations- und Kommunikationsstruktur stellt vor dem Hintergrund geringer finanzieller Ressourcen eine wesentliche Anforderung an die Zusammenarbeit im Unternehmen dar. Zentrale Aufgabe ist es, die in jedem Land anfallenden Tätigkeiten hinsichtlich ihrer Zentralisierbarkeit zu überprüfen. So gilt es z. B. bzgl. der Produktionsprozesse zu überprüfen und festzulegen, welche Wertschöpfung zentral, welche dezentral zu erbringen ist. Dabei spielen nicht nur steuerliche Aspekte eine Rolle.

Gerade für den Mittelstand gilt es einerseits, eine Vielzahl von „Fürstentümern“ an den jeweiligen Standorten zu vermeiden, in denen alle Funktionen des Stammhauses erneut abgebildet werden, andererseits aber den landesspezifischen Gegebenheiten ausreichend Rechnung zu tragen. Auch hier kommt man nicht um eine eingehende Analyse herum, will man permanentes „Kompetenzgerangel“ und komplexe Kostenstrukturen vermeiden.

Ein in der Praxis häufig beobachtetes Phänomen ist ein mit der Muttergesellschaft und anderen Auslandsniederlassungen nicht koordinierte Zukauf von Ergänzungsprodukten. Zum einen werden durch dieses Vorgehen Synergien verschenkt zum anderen Kannibalisierungseffekte mit dem eigenen Produktprogramm hervorgerufen. Ähnliche Probleme verursacht ein unkoordiniertes Anpassen von Produkten im Rahmen einer dezentralen Fertigung. Zur Vermeidung dieser Effekte sind klare Organisations- und Verantwortlichkeitsfestlegungen zu treffen und nachzuhalten. Hierzu bietet sich die Bildung von Competence Centern an.Dies gilt gleichfalls für alle Kommunikationsmaßnahmen, will man verhindern, dass ein ungewollt unterschiedliches Markenimage und eine suboptimale Kostenposition entstehen.

Darüber hinaus müssen die Prozesse und Datenflüsse integriert werden. Wenn Aufträge erst ins ausländische ERP-System eingegeben, dann mangels Kompatibilität nach Deutschland gefaxt und dort erneut ins ERP-System eingegeben werden, wird es höchste Zeit zu handeln.

Fazit

Nahezu alle erfolgreichen Unternehmen (von Dienstleistungsunternehmen abgesehen) weisen den gleichen Erfolgsfaktor auf: neben einer hohen Innovationsrate und Investitionen in Know-how und Qualität realisieren sie Wachstum in Umsatz und Ertrag durch die Internationalisierung ihres Geschäftes. Unternehmen quer durch alle Branchen zeigen, dass mit der notwendigen Fokussierung, einem angepasstem Einstiegsmodell und einer konsequenten und strukturierten Vorgehensweise auch der Mittelstand große Potenziale im Ausland erschließen kann. Die Kenntnis über die Risiken und die daraus abgeleite Sorgfalt in der Vorbereitung sowie Geduld und Mut in der Ausführung führen zum Erfolg.

Der Organisations- und Kommunikationsstruktur einerseits und dem Marketing – im Sinne der Ausrichtung des gesamten Unternehmens an den unterschiedlichen Marktbedürfnissen – einschließlich der richtigen Positionierung der Marke andererseits kommen dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Unabdingbare Voraussetzung für den erfolgreichen Einstieg im Ausland ist außer den genannten Aspekten, die Führung und Unterstützung durch den Unternehmer bzw. der Geschäftsführung. Internationalisierung ist eine Top-Management-Aufgabe. Ohne eine tatkräftige Unterstützung durch den Unternehmer ist eine erfolgreiche Eroberung neuer Märkte kaum realisierbar.


Autor: Dipl. Wirtsch.-Ing. Stephan Schenk ist
Projektleiter Marketing und Vertrieb Dr. Wieselhuber & Partner GmbH Unternehmensberatung und war zuvor sechs Jahre im Bereich Produktmanagement, Marketing und Vertrieb eines weltweit operierenden Investitionsgüterherstellers, davon veir Jahre in leitender Funktion, zuletzt als Leiter Marketing und Strategie.
eingestellt am 24. Februar 2003