„Flagship-Species wie der Tiger ziehen mehr“

Die größte Naturschutzorganisation der Welt, der World Wide Fund for Nature (WWF), unterhält in Deutschland seine viertstärkste Sektion. Der hiesige WWF-Chef Eberhard Brandes sieht gleichwohl für die gesamte Umwelt- und Naturschutzbewegung noch viel Potenzial in unserem Land, das für ihn eine Vorreiterrolle als quasi grüne Gesellschaft übernehmen sollte. Nachhaltigkeit sei nicht ausreichend in der Wirtschaft verankert, sagt Brandes in der Berliner WWF-Zentrale während des Gesprächs mit absatzwirtschaft-Redakteur Thorsten Garber. Zugleich unterstreicht er die erfolgreichen Kooperationen mit Unternehmen wie Edeka oder Krombacher. Endverbraucher, die vor allem zum Jahresende spenden, will der WWF künftig stärker dauerhaft als Mitglieder, Mitstreiter und bewusste Konsumenten gewinnen.
Eberhard Brandes, Vorstand WWF Deutschland, in seinem Berliner Buero anlaesslich eines Interviews mit Thorsten Garber, fuer: absatzwirtschaft, Fachverlag der Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH. © Uwe Steinert, Berlin. www.uwesteinert.de

Herr Brandes, freuen Sie sich auch auf Weihnachten, weil zum Jahresende so viele Spenden auf das WWF-Konto eingehen?

EBERHARD BRANDES: (lacht) Nein, eher weil ich dann mehr Zeit für meine Familie habe. Ich freue mich während des ganzen Herbstes natürlich auch über hohe Spendeneingänge. Unsere Kampagnen laufen schließlich vor allem zwischen Oktober und Dezember.

Mit wie vielen Einnahmen rechnen Sie für 2011, und wie gestaltet sich die Gesamtentwicklung, seit Sie vor fünf Jahren den Vorstandsvorsitz übernommen haben?

BRANDES: Wir rechnen insgesamt mit rund 50 Millionen Euro, davon 65 Prozent von Privatpersonen, etwa 25 Prozent aus staatlichen Mitteln sowie rund neun Prozent von Firmen. Der Wert hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. Das hört sich gut an, aber in absoluten Zahlen ist das immer noch viel zu wenig angesichts der riesigen Aufgaben, die wir zu bewältigen haben. Wir stemmen weltweit große Naturschutzprojekte. Dabei steigt der Handlungsdruck. Mit einer Erdbevölkerung von aktuell sieben Milliarden Menschen hinterlässt der Mensch einen immer stärkeren ökologischen Fußabdruck, wodurch es aufwendiger wird, die biologische Vielfalt zu erhalten. Wir müssen dringend mehr Mitwirkende gewinnen.

Sie sind als Geschäftsleiter eines Medizintechnikunternehmens zum WWF gewechselt und hatten Wirtschaftswissenschaften studiert. Einen engagierten Umweltschützer stellt man sich anders vor. Warum Ihr Abschied aus der Wirtschaft?

BRANDES: Weil dies hier eine Traumaufgabe für mich war und nach wie vor ist. Ursprünglich wollte ich nämlich Verhaltensforschung studieren und war schon Jahrzehnte davor im Umweltschutz organisiert. Wir sollten generell unsere überholten Milieubilder über Industrie- und Ökologiemanager überdenken. Wir hatten übrigens bei der Weinmann GmbH den ersten Kreislauf für portable Medizinprodukte entwickelt. Manager und Mitarbeiter können also auch in ihrem Unternehmen viel bewegen.

Kommen wir von Ihrem Image zu dem des WWF. Bitte an gemessenen Werten: Wie hoch ist die Bekanntheit Ihrer Marke mit dem großen Panda, und wie hoch ist die Sympathie?

BRANDES: Unsere Bekanntheit hierzulande liegt gestützt bei 91 Prozent. In anderen Ländern sind die Werte sogar noch besser. In einer anderen Umfrage bewerten uns neun von zehn Befragten als kompetent und professionell. Eine aktuelle Untersuchung der Unternehmensberatung Clear unter dem Titel „Brand desire“ zur Beliebtheit von Marken ergab im vergangenen März für unser Logo weltweit den fünften Platz und in Deutschland den für uns sehr erfreulichen ersten Platz. Unser Pandabär sendet ein starkes Signal. Unsere Unabhängigkeit halte ich für das höchste Gut. Wir versuchen mitzunehmen statt anzuklagen, ohne die Konfrontation zu scheuen. Und wir streben ganzheitliche Lösungen an.

Was charakterisiert den WWF Deutschland im internationalen Vergleich zu Ihren anderen Länderorganisationen?

BRANDES: Nach Spenden sind wir die viertstärkste Sektion weltweit. In den Niederlanden finden Sie aber in jeder zweiten Familie ein WWF-Mitglied. Auch in der Schweiz ist der WWF stärker verankert. Hierzulande setzt der WWF neben Politikbeeinflussung und Markttransformation thematisch auf Naturschutzarbeit, auf Aufklärung, auf die Entwicklung von Modellprojekten und -konzepten, aber vor allem natürlich auch auf die Finanzierung und Organisation internationaler Naturschutzprojekte. Beim Jahr des Tigers in 2010 waren wir die führende Sektion, quasi die Speerspitze für das heute internationale Engagement des WWF. Wir wollen helfen, die Zahl der Tiere bis zum Jahr 2022 zu verdoppeln.

International liegt die WWF-Gründung ein halbes Jahrhundert zurück. Ihre Zwischenbilanz: Welche Stärken und Schwächen kennzeichnen Ihre Organisation?

BRANDES: Die hohe Fachkompetenz gehört sicher zu unseren Stärken. Wir argumentieren nie ideologisch, sondern stets faktenbasiert. Unsere Vernetzung innerhalb der Gesellschaft und Partnerschaften an runden Tischen zähle ich ebenfalls dazu. Wir haben weltweit gültige Botschaften, die wir regional über 100 Länderorganisationen vor Ort zum Leben erwecken können. Und wir haben internationale Erfolge vorzuweisen. Allerdings auch Niederlagen wie zuletzt bei der Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen. Und wir müssten viel mehr Helfer finden, denn es gibt so viel zu tun. In der Öffentlichkeit ist auch noch zu wenig bekannt, was der WWF schon alles macht. Für unsere engagierten Mitarbeiter und Mitglieder sind die täglich neuen schrecklichen Meldungen über Umweltschäden belastend, denen sie trotzdem mit Stolz und Befriedigung über Erreichtes begegnen. Unser Kämpfertum wächst.

Welche sind Ihre wichtigsten Vertriebskanäle?

BRANDES: Als sehr effizienter Kanal wächst bei uns das Internet stark. Auch die Face-to-Face-Akquise läuft extrem erfolgreich. Darüber hinaus gewinnen wir über Mailingaktionen auch viele neue Förderer. Der Vertrieb steht und fällt mit den Themen. Nachhaltigkeit ist noch nicht so präsent. Flagship-Species wie der Tiger ziehen da mehr. Er steht für vieles – vor allem für die Akzeptanz der Wildnis. Mein eigener Einstieg war eine Tiger-Patenschaft, mit der ich einen Teil des Gehaltes eines Rangers in Russland bezahlte.

Das 50-jährige Bestehen feiert der WWF in Deutschland erst in zwei Jahren, weil ihre nationale Organisation erst 1963 gegründet wurde. Was planen Sie?

BRANDES: Details verrate ich noch nicht. Von der Grundidee wollen wir unsere Geschichte und Erfolge feiern. Aber wir werden vor allem Lösungen für eine lebendige Erde zeigen. Ein Gesamtkonzept, mit dem wir Politik und Gesellschaft überzeugen wollen. Dazu zählen Anreize für Einzelne, mit Freude an unserer Sache mitzuwirken, sowie für Wertschöpfungsketten in punkto Nachhaltigkeit. Wir werden viel Raum für Engagement schaffen und spannende Ideen vorstellen.

Auf welches Alleinstellungsmerkmal setzt der WWF, um mit einer Art von Unique Selling Proposition bei Interessenten Überzeugungsarbeit zu leisten?

BRANDES: Im Prinzip sind das sogar mehrere Aspekte: Der WWF wirkt international und weltweit, ganzheitlich und langfristig, überzeugend sachbasiert und partnerschaftlich.

Woran machen Sie fest, dass Ihre Mitglieder- und Partnergewinnung gelingt sowie die Kundenbindung dauerhaft hält?

BRANDES: Grundsätzlich am Nettowachstum der Mitgliederzahl. Die Entwicklung ist positiv, wir wollen sie aber verstärkt ausbauen. Denn die Basiseinnahmen durch Mitgliederbeiträge sichern unsere Unabhängigkeit. Allein durch die Tiger-Kampagne im vergangenen Jahr haben wir brutto 100 000 Förderer hinzugewonnen. Im Durchschnitt dauert eine Unterstützung rund sechs Jahre. Viele Unterstützer bleiben aber auch Jahrzehnte bei uns. Wir verteilen jedes Jahr tausende Urkunden über 20-jährige Mitgliedschaft.

Auf welche Marktbedingungen treffen Sie in Deutschland, und gegen welche Wettbewerber müssen Sie antreten?

BRANDES: Der Wettbewerb im Umwelt- und Naturschutz ist gar nicht so entscheidend. Ich bin selbst seit Jahren Mitglied im WWF und bei anderen Umweltorganisationen. Die größte Herausforderung für uns in Deutschland ist, das Engagement für den Umwelt- und Naturschutz auf eine Ebene mit dem für Sport und Kultur zu heben. Dann gibt es genug Potenzial für die gesamte Naturschutzbewegung. Das Verhältnis zwischen 430.000 WWF-Förderern und 82 Millionen Deutschen zeigen das an. In Sport und Kultur werden auch deutlich mehr Gelder pro Kopf ausgegeben.

Wie wollen Sie das schlummernde Potenzial heben?

BRANDES: Für wichtig halte ich nach Jahrzehnten der Diskussion darüber, was alles falsch läuft, dass wir positive Lösungsansätze präsentieren. Raus aus der Anklageecke. Der Arten- und Naturschutz muss gewissermaßen als Produkt sexy werden. Wir müssen den Spaß daran wecken, sich als Anwalt für die Natur einzusetzen. Camps, Kampagnen, Projekte, Patenschaften – das alles sind doch attraktive Angebote. Der WWF steht dabei für die breite Implementierung von Umweltschutz in allen Lebenslagen und in Unternehmen. Unsere Chancen schätze ich daher als sehr gut ein.

Welche Kriterien legt der WWF an, bevor Unternehmen das Gütesiegel mit dem großen Panda für sich nutzen können?

BRANDES: Vorweg, der Panda ist kein Gütesiegel und ersetzt keine Zertifizierung oder Siegel. Es gibt drei Wege, auf denen wir mit Unternehmen zusammenarbeiten. Erstens eine rein inhaltliche Zusammenarbeit, die Mindeststandards bezüglich des ökologischen Fußabdrucks etwa für die Verwendung von Holzprodukten verlangt. Nachhaltigkeit muss hier als Teil der Strategie, der Organisation und der Ziele festgeschrieben sein. Mit Edeka funktioniert dies bezogen auf Fischverkauf vorbildlich, und als größter Händler in Deutschland beeinflusst das den gesamten Markt. Zweitens arbeiten wir für konkrete Projekte mit Firmen zusammen – ob mit Alpina für Braunbären in den Alpen oder mit Wick für Eisbären. Und die dritte Art der Kooperation umfasst die mit Unternehmen, die viel tun, aber weder darüber sprechen noch damit werben wollen.

Gibt es auch Ausschlusskriterien?

BRANDES: Durchaus. Mit Unternehmen der Atom-, Mineralöl-, Tabak- und Teilen der Chemiebranche arbeiten wir nicht zusammen. Darüber hinaus haben wir Prüfmechanismen, die kritische Themenfelder ausleuchten. Ein Unternehmen, dessen Geschäftspraxis Einfluss beispielsweise auf Wälder hat, kommt nicht an Recyclingpapier oder FSC-Produkte als Vorrausetzung vorbei. Deswegen nehmen wir bei weitem nicht jede Kooperationsanfrage an.

Führt Ihr nächster Karriereschritt zu WWF international?

BRANDES: (lacht) Nein, ich habe hier noch so viel zu tun. Den WWF Deutschland zu führen, ist keine Aufgabe für drei bis fünf Jahre. Ich möchte noch so lange wie möglich hier arbeiten. Ich möchte mit dem WWF dazu beitragen, dass Deutschland mit dieser hohen internationalen Reputation auch im Umweltschutz vorangeht. Warum sollte unser Land nicht weltweites Vorbild dafür werden, durch intelligente und geschlossene Kreisläufe nur so viel Ressourcen zu verbrauchen, wie wir zurückgewinnen? Persönlich wünsche ich mir zudem eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung für die Wildnis. Wir müssen sie endlich als hohes Gut erkennen und annehmen. Warum wohl gehen Manager zu Seminaren etwa zur Teambildung in die Natur oder gar Wildnis? Weil dort jeder erfährt, wie bereichernd sie für unser Leben ist.

Weitere Details zum Interview, etwa über konkrete Kooperationen mit Unternehmen, lesen Sie in der Rubrik „Global Marketing“ der Dezember-Ausgabe von absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing. Heft 12/2011 erscheint morgen, am 25. November 2011.

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