Experte über Heuschrecken-Attacke auf Ströer: Muddy Waters juristisch schwer zu belangen

Ströer wurde vergangene Woche Ziel des US-Leerverkäufers Muddy Waters. Der Aktienkurs brach daraufhin ein. Das Unternehmen prüft rechtliche Gegenmaßnahmen, doch das wird schwierig. Auch Aktionäre haben kaum Chancen, Schadenersatzansprüche geltend zu machen, erklärt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW)
"Ganz klarer Fall von Marktmanipulation": Anleger-Schützer Marc Tüngler vom Interessenverband DSW

Der Hedgefonds Muddy Waters hat vergangene Woche die Notierung des Werbevermarktes Ströer auf Talfahrt geschickt. Wie verdient das US-Unternehmen an dem Aktiendeal?

Das ist relativ einfach, wenn man auf die Strategie der Hedgefonds blickt. Sie besteht darin, dass sie Aktien leer verkaufen. Das heißt, sie verkaufen Anteile, die sie gar nicht besitzen. Doch zu einem späteren Zeitpunkt müssen die Hedgefonds die Aktien liefern. Um möglichst wenig für die Anteile zu zahlen, schicken die Shortseller die Notierung des betroffenen Unternehmens auf Talfahrt. Das ist das übliche Procedere bei derartigen Adressen.

Ist der Angriff von Hedgefonds wie Muddy Waters ein Einzelfall in Deutschland?

Nein, wir erleben in der letzten Zeit leider immer häufiger derartige Fälle. Das trifft vor allem Unternehmen, die entweder mit ihrem Geschäftsmodell ein großes Problem haben. Sie sind dadurch sehr anfällig für negative Nachrichten. Oder es handelt sich um Unternehmen, die in den vergangenen Jahren an der Börse sehr gut performed haben. In diesem Fall sind die Anleger sehr sensibel. Sie achten sehr genau darauf, ihre Aktiengewinne bei einem günstigen Zeitpunkt zu realisieren. Dies gilt vor allem für Ströer, deren Kurs sich sehr gut entwickelt hat. Die Aktionäre überlegen sich deshalb, wann ein geeigneter Zeitpunkt für einen Ausstieg ist. Jetzt kommt eine schlechte Nachricht oder ein schlechter Research-Bericht. Den nehmen sie dann zum Anlass, um sich von ihren Anteilen bestmöglich zu trennen. Das löst aber eine Lawine aus, sodass der Aktienkurs derart abstürzt.

Bislang haben sich Hedgefonds wie Muddy Waters vor allem auf den US-Markt konzentriert. Warum haben sie jetzt Deutschland ins Visier genommen?

Ob USA, China oder Deutschland – die Märkte spielen keine Rolle. Die Systematik ist immer dieselbe. Wir haben derzeit in Deutschland viele Unternehmen, die in das Raster der Hedgefonds fallen. Dazu gehören beispielsweise Unternehmen wie Bilfinger oder auch Aixtron in Aachen. Dies sind Unternehmen, die sehr stark von Shortsellern betroffen sind. Hier sieht man – unabhängig, ob operativ etwas passiert ist – wie schlagartig die Aktienkurse abstürzen können. Das liegt daran, dass gerade bei angeschlagenen Werten leicht Gerüchte in den Markt gestreut werden können, die die Notierung extrem unter Druck setzen. Das System funktioniert überall auf der Welt. In Deutschland ist der Kapitalmarkt in jüngster Zeit gut gelaufen. Deswegen greifen die Hedgefonds hier an, und derartige Wegelagerer erscheinen auf dem Parkett.

Der Vorstand des Werbevermarkters Ströer hat verschiedene rechtliche Maßnahmen angekündigt. Welche juristischen Mittel hat er gegen den Hedgefonds?

Im Endeffekt ist die große Frage, ob ein Fall der Marktmanipulation vorliegt. Hier spricht vieles dafür. Es ist daher die Aufgabe der BaFin und der Staatsanwaltschaft, den Fall zu untersuchen. Doch die Hedgefonds haben ihren Sitz im Ausland, meist auf Inseln, deren Namen ich kaum aussprechen kann. Auch Muddy Waters sitzt in den USA. Hier hat man zumindest eine Adresse. Doch das Problem ist nicht nur, das Unternehmen an seinem Firmensitz gerichtlich zu belangen. Das Problem ist tiefgreifender. Nehmen wir den Report von Muddy Waters. Er enthält für sich genommen zunächst richtige Angaben. In der Zusammensetzung und Abfolge der Tatsachen hingegen, wie sie im Bericht dargestellt werden, sind sie einseitig wertend und tendenziös. Ob der Report daher justiziabel ist, ist die entscheidende Frage. Die Auswirkungen für die Anleger sind jedenfalls katastrophal.

Ströer hat massiv an Börsenkapitalisierung eingebüßt. Hat der Werbevermarkter Chancen, Schadenersatz von Muddy Waters zu verlangen?

Das Unternehmen Ströer hat zunächst unmittelbar keinen Schaden erlitten. Es hätte nur einen Schaden erlitten, wenn es vor einer Kapitalerhöhung gestanden hätte oder wegen des Reports Kredite verweigert oder teurer werden. Allerdings sind die Aktionäre unmittelbar betroffen und die Leidtragenden, weil ihre Anteile an Wert verloren haben. Sie könnten gegebenenfalls Schadenersatz verlangen.

Haben Kleinanleger überhaupt eine realistische Chance, Schadenersatz durchzusetzen?

Im Augenblick muss man sich anschauen, was weiter passiert ist. Ich gehe davon aus, dass sich die BaFin und die Staatsanwaltschaft der Sache annehmen. Liegen deren Ergebnisse auf dem Tisch, sollten sich die Anleger überlegen, ob sie Schadenersatz einklagen. Das wird schwierig, weil sie in den USA klagen müssen. Das ist aber mit vielen Hürden verbunden. Shortsellern ist dies sehr genau bewusst. Sie wissen, dass sie schwer zu greifen sind. Deswegen sollten die Anleger zunächst abwarten, was die Behörden sagen. Haben sie den Fall nicht entschieden, werden es Anleger schwer haben, ihre Ansprüche durchzusetzen. Aber noch einmal: Die Geschäfte der Hedgefonds sind zunächst nicht verboten oder illegal. Im Fall von Ströer allerdings hat ein Shortseller den Aktienkurs mit einem Report bewusst und gewollt nach unten getrieben, dessen Angaben so aber aus meiner Sicht tendenziös oder in der dargestellten Verknüpfung nicht haltbar sind.

Sie besuchen häufiger die Hauptversammlung von Ströer. Sehen Sie die Vorwürfe von Muddy Waters von der Außenansicht als begründet?

Nein, wir sehen die Vorwürfe von Muddy Waters als nicht begründet an. Ströer verfügt sicher über eine ganz eigene Corporate Governance und hat in der letzten Zeit mehrfach die Gesellschaftsform gewechselt. Das sind aber alles Dinge, die Ströer nachvollziehbar begründet und sauber – teilweise auf außerordentlichen Hauptversammlungen – erläutert hat. Doch diese Fakten werden von Muddy Waters so dargestellt, als wären sie im Dunkeln erfolgt. Dazu gehört beispielsweise die Umfirmierung der Gesellschaft von einer AG in eine SE und jetzt wieder in eine andere Gesellschaftsform. Alle diese Rechtsformwechsel wurden auf den Hauptversammlungen hinreichend mit den Eigentümern diskutiert. Liest man hingegen den Report von Muddy Waters, denkt man, im Unternehmen herrsche dauernd Unruhe. Doch die Anleger, die sich für das Unternehmen interessieren, verstehen die Hintergründe.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Der Report von Muddy Waters verkettet diverse Tatsachen und zieht daraus nicht stimmige Schlussfolgerungen. So fußt beispielsweise der Erfolg von Ströer darauf, dass sich das Unternehmen vom reinen Out-of-Home-Anbieter auch zum Online-Vermarkter wandelt. Dafür haben sich die Großaktionäre diverse Kapitalmaßnahmen geöffnet. Sie waren aber einer der Gründe, warum Ströer die Gesellschaftsform gewechselt hat.

Welche Möglichkeiten hat der Vorstand von Ströer, sich gegen erneute Attacken zur Wehr zu setzen?

Die Tatsache, dass einige Anleger auf fallende Kurse setzen, ist nicht verboten. Das passiert im In- und Ausland. Eine gute Abwehrstrategie ist, dass Vorstand und Aufsichtsrat für alle sichtbar jegliches Agieren und die Strategie des Unternehmens transparent machen. Der Vorstand muss die Lufthoheit in der Kommunikation besitzen, sollte geradeheraus und transparent berichten und sollte möglichst keine Schwächen zeigen, die den Hedgefonds Ansatzpunkte für Angriffe liefern. Außerordentliche Vorgänge müssen besonders klar kommuniziert werden. Es dürfen keine Fragen offen bleiben.

Sollte der Gesetzgeber gegen Hedgefonds eingreifen?

Wir würden es begrüßen, wenn der Gesetzgeber erkennt, dass Hedgefonds keine Mehrwerte schaffen, sondern Werte vernichten. Hier profitieren lediglich diejenigen, die zuvor short gegangen sind. Und das sind auch die Marktteilnehmer, die den Aktienkurs gen Süden schicken. Dieses System ist für uns daher eine ganz klare Marktmanipulation. Hier sollte der Gesetzgeber eingreifen und die Schutzmechanismen gegen Marktmanipulation ausbauen. Es wäre mir aber am liebsten, diese Geschäfte komplett zu verbieten – doch dies dürfte im internationalen Finanzgeschäft sehr schwierig sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf meedia.de