ETH-Professor von Krogh: „Bereit sein, wenn die Krise vorüber ist“

Wie reagieren Unternehmenslenker richtig auf die Pandemie? Georg von Krogh, Professor für Strategisches Management und Innovation an der ETH Zürich, rät dazu, Wachstumsziele nicht vorschnell aufzugeben – auch um Marktanteile zu sichern.
ETH-Professor von Krogh: "Wer in der Krise nach drei Monaten ein Liquiditätsproblem bekommt, der hatte vor der Krise wahrscheinlich auch schon eins." (© ETH Zürich)

Herr Professor von Krogh, Sie empfehlen Unternehmen, sich nicht so sehr von äußeren Einflüssen leiten lassen. Entscheidend seien Wissen, Lernfähigkeit und Ressourcen. Was bedeutet das heute, in der Pandemie?

GEORG VON KROGH: Meine Botschaft ist: Auch in der Krise gibt es Potenziale für Wachstum. Man sollte seine bisherige Expansionsstrategie nicht komplett aufgeben, sondern sie analysieren und anpassen, auch unter den neuen schwierigen Bedingungen.

Was wäre in der Krise eine gute Wachstumsstrategie?

Sie sollte zunächst dort ansetzen, wo ein Unternehmen besonders viele Fähigkeiten hat: im Kerngeschäft. Da geht es um Skalierung. Das Management baut die Produktentwicklung rund um eine existierende Technologie oder Geschäftsidee aus und verstärkt das Marketing. Gut gelungen ist das Zoom …

… dem Hersteller von Software für Videokonferenzen. In der Corona-Krise hat er sein Produkt um wichtige Funktionen ergänzt.

Das hat sich für die Firma sehr gelohnt. Der nächste Schritt ist die Duplizierung: Man versucht, den Erfolg mit einem Geschäftsmodell in neuen Märkten zu wiederholen. Das ist während einer Pandemie sehr schwierig, kann aber funktionieren, wenn man die Kosten für die Expansion unter Kontrolle halten kann. Die dritte Strategie besteht in der Exploration, der Überlegung also, wie man seine Fähigkeiten oder Technologie noch anders einsetzen kann. L’Oréal zum Beispiel hat als Antwort auf Covid-19 damit begonnen, Hygienekits zu produzieren.

Warum neigen trotzdem viele Unternehmen dazu, abzuwarten oder zu schrumpfen?

Einige Manager nutzen die Krise als Anlass für lang geplante Umstrukturierungen. Ich habe das immer wieder bei Firmen mit zu hohen Fixkosten gesehen. Der Vorstand weiß, dass er die Belegschaft schlanker machen muss, und in einer Krise fällt es leichter, das Problem anzupacken.

Bei anderen Unternehmen hat das Management nicht genügend Informationen, um eine Wachstumsstrategie zu definieren. Es ist angespannt und überempfindlich und versucht, die ebenfalls nervösen Anteilseigner durch Rationalisierung zu beruhigen. Aber wer sich so schnell und unüberlegt anpasst, stärkt die Firma möglicherweise nicht für die Zukunft, sondern schwächt sie.

Die Pandemie wird uns noch Monate, vielleicht sogar Jahre zu schaffen machen.

Ja, aber es gibt ein Leben danach. Ein Unternehmen muss schon während der Krise strategisch die Weichen für die Zukunft stellen. Ich habe das einmal auf die Formel gebracht „Leap before you lay off“. Also: Statt reflexartig Leute zu entlassen, erstmal über Kurzarbeit nachdenken und Weiterbildungsprogramme einführen. Die Krise nutzen, um die Position des Unternehmens zu stärken. Nur dann kann man, wenn nach der Krise die Geschäfte wieder anfangen zu blühen, den Aufschwung richtig mitnehmen.

Wer in der Krise zu zaghaft reagiert, verliert Marktanteile?

Damit ist zu rechnen, vor allem international. Wer sich in der Krise aus Märkten zurückzieht, die er über viele Jahre aufgebaut hat, wird das später zu spüren bekommen, denn es ist ja so: Wer Märkte erobern will, muss sehr viel investieren, um Eintrittsbarrieren zu überwinden. Diese Investitionen sind verloren, wenn ich den Markt aufgebe. Besser wäre es in vielen Fällen, am Ziel festzuhalten, vorsichtig mit neuen Geschäftsmodellen zu experimentieren und bereit zu sein, wenn die Krise vorbei ist. Man sollte auch Kooperationen mit anderen Firmen überlegen, um im Markt bestehen zu können.

Expansion kostet Geld. Bei vielen Unternehmen ist in der Krise die Liquiditätssituation angespannt.

Wer in der Krise nach drei Monaten ein Liquiditätsproblem bekommt, der hatte vor der Krise wahrscheinlich auch schon eins. Firmen, die aus Geldmangel nicht expandieren können, geraten sehr schnell in eine Schieflage. Expansion läuft darauf hinaus, dass ein Unternehmen etwas Neues macht. Dazu muss Innovationskraft von innen aufgebaut werden. Wir haben in einer Studie mit über 3000 Schweizer Unternehmen gefunden, dass es darauf ankommt, sich zu öffnen und mit anderen Unternehmen, Hochschulen oder Forschungsinstituten zu kooperieren. Diesen offenen Firmen fällt es leichter, eine Expansionsstrategie zu finden und zu wachsen, während einer Krise und auch danach.

Unternehmen, die wie Zoom von der Corona-Krise profitieren, können die Gunst der Stunde nutzen, etwa um ihre Marke zu dehnen. Kann Expansion aber auch Verluste im Kerngeschäft kompensieren?

Nehmen wir das Beispiel eines Restaurants. Wenn sich ein Gastronom auf den Standpunkt stellt, dass er in der Krise keine Gäste bewirten kann, wird sein Lokal stark leiden und möglicherweise untergehen. Wenn er aber sagt, mein Kerngeschäft ist Kochen, kann er sein Geschäftsmodell anpassen – indem er einen Lieferservice aufzieht oder mit einem solchen kooperiert. In größeren Unternehmen ist das ein wichtiges Thema für die Führungskräfte: Welche Fähigkeiten haben wir? Welches Wissen? Welche Ressourcen? Und wie können wir sie einsetzen, um neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen?

Was kann bei der Expansion schiefgehen?

Ein typischer Fehler ist, sich zu schnell von einem Markt zurückzuziehen, in den man schon investiert hat. Ein anderer Fehler ist, alles allein machen zu wollen. Expansion ist teuer, daher ist es sinnvoll zu überlegen, ob man sie gemeinsam mit einem Partner machen kann. Eine dritte Gefahr ist, dass Führungskräfte ein Stück weit den Sinn für die Realität verlieren, vor allem, wenn sie unrealistisch hochgesteckte Ziele verfolgen. Wenn der CEO ein Umsatzwachstum von 25 Prozent ankündigt in einem Markt, der um zwei Prozent wächst, beginnt das Management, zu große Risiken einzugehen. Damit steigen die Kosten, wodurch selbst ein gesundes Unternehmen in Liquiditätsengpässe geraten kann.

Wann sollte ein Unternehmen auf keinen Fall expandieren?

Unsere Forschung zeigt, dass Unternehmen, die gar nicht wachsen, keine große Überlebensfähigkeit haben. Man muss keine zweistelligen Zuwächse vorweisen, aber man muss Chancen erkennen und wahrnehmen. Stagnation hat auch einen Einfluss auf das Personal: Wenn Mitarbeiter erkennen, dass sich ihr Unternehmen zu passiv verhält, haben sie wahrscheinlich wenig Interesse, dort lange zu arbeiten.

Expansion ist also alternativlos?

Eine Ausnahme gibt es: Wenn etwas grundlegend schief läuft im Unternehmen, dann muss zunächst Ruhe einkehren. Wenn Lieferanten streiken, Kunden sich massenhaft beschweren, Mitarbeiter rebellieren, oder Umweltorganisationen vor dem Werkstor stehen, sollte sich das Management zurückziehen und den Kurs des Unternehmens neu bestimmen.

Eine weitere Ausnahme wäre übersteigertes Wachstum in der Vergangenheit.

Ich erinnere mich an eine Firma, die fünf Jahre lang einen sehr expansiven CEO hatte, der den Umsatz durch zahlreiche Akquisitionen um 70 Prozent steigerte. Das Ergebnis war katastrophal. Die Fixkosten stiegen auf ein nicht tragfähiges Niveau, die besten Führungskräfte verließen das Unternehmen. In so einer Situation muss man sagen, dass die Expansionsstrategie grundlegend falsch war. Man muss die Kosten runterbringen, eine neue Strategie festlegen und Firmen wieder veräußern, die man nicht brauchen kann.

Für diverse ausländische Unternehmen ist offenbar gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Markteintritt in Deutschland gekommen. Eine gute Strategie?

Ja, die deutsche Wirtschaft ist sehr robust, und die Politik hat die Pandemie vergleichsweise erfolgreich bekämpft. Deswegen gilt der Markt als sicher. Er ist auch transparent in dem Sinne, dass klar ist, welche Regeln für einen Markteintritt gelten. Deshalb glaube ich, dass die Versuche ausländischer Unternehmen, in Deutschland Fuß zu fassen, noch zunehmen werden.

Das Interview erschien vor kurzem zuerst in der Oktober-Printausgabe der absatzwirtschaft.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.