Es wird ernst im Web 3.0

Alle Welt spricht von Social Media und dem Web 2.0. Dabei ist Vielen nicht klar: Die Kunden sind schon längst in der Web-3.0-Welt angekommen. Dies hat die Machtverhältnisse zwischen Unternehmen und Konsumenten nun endgültig auf den Kopf gestellt. Im Web 2.0 haben die Anbieter nur geübt. Jetzt wird es ernst.

Web 3.0? Wikipedia versteht darunter das semantische Web. Doch aus meiner Sicht ist es das mobile Internet. Über Smartphones, Tablets und Apps entsteht gerade eine völlig neue Qualität von Kommunikation – verbunden mit totaler Transparenz. Dies wird ermöglicht durch Technologien, die mehr oder weniger vollautomatisch eine digitale Informationsschicht über die reale Welt legen – und uns so mit dem kompletten Online-Wissen in Echtzeit vernetzen.

Natürlich ist das Verknüpfen von Online und Offline schon seit geraumer Zeit möglich, aber durch das Gebundensein an stationäre Computer war dies bis vor kurzem vergleichsweise zäh – und ziemlich beschwerlich. So haben wir im Web 2.0 nur geübt. Unternehmen haben die ‚Weisheit der Vielen‘ oft genug nur für den schönen Schein in Anspruch genommen, die Mitmach-Bereitschaft der Kunden ausgenutzt, die Wahrheit weiter vernebelt und ihre Kunden immer noch gern über den Tisch gezogen. Doch die Tage solcher Zeiten sind gezählt.

Das Web 1.0

Das Web 1.0 markiert den Beginn der kommerziellen Nutzung des World Wide Web, die im Wesentlichen über Webseiten lief. Dort redeten die Unternehmen, die Kunden hörten brav zu und kauften dann. Heute ist es genau umgekehrt. Die Kunden kaufen, reden dann darüber und bringen so Dritte zum Handeln. Jetzt sind es die Unternehmen, die zuhören sollten. Denn die Kommunikationshoheit ist inzwischen zu den Kunden gewandert. Diese sind die neuen Vermarkter. Soziale Netzwerke sind die Schlagzahlgeber, und Suchmaschinen sind das neue Weltgewissen.

Das Web 1.0 war ein Web der Technokraten. Und es gehörte den Unternehmen. Es stand für Produkte und Handel, für territoriale Gelüste und Machtexzesse, für Monologe und Topdown-Hierarchien. Das Vorgehen damals war monochron: analytisch, logisch, unterkühlt strukturiert, in allem einer selbstzentriert fixierten Linie folgend. Von Wertschöpfungsketten und dem Abgreifen von Zahlungsbereitschaften sprach man gern. Die Pest der Shareholder-Value-Denke war allgegenwärtig, und das ‚Fußvolk‘ der Mitarbeiter wurde als Humankapital postuliert.

Das Web 2.0

Das Web 2.0. etikettiert eine neue Generation des Internet und grenzt es von früheren Nutzungsarten eindeutig ab. Sein Wesen ist polychron: geprägt durch Meinungsaustausch, einen hohen Kommunikationsgrad und einen ungehinderten Informationsfluss. Bei hoher Aktivitätsdichte findet eine lockere Vernetzung in alle möglichen Richtungen statt. Mit seinen Foren, Marktplätzen und Portalen markiert es das Ableben des Von-oben-nach-unten-Monologs und den unumkehrbaren Beginn eines gleichrangigen Kreuz-und-quer-Dialogs von User zu User sowie zwischen Unternehmen und deren Anspruchsgruppen.

Das Web 2.0 gehört somit den Menschen. Es steht für Gespräche und gemeinsames Handeln, für Teilen und Gleichrangigkeit, für transparente Beziehungen und authentische Interaktion. Bezeichnenderweise wurde der technokratisch anmutende Begriff Web 2.0 auch recht flott in den Hintergrund gedrängt und durch den Begriff Social Media ausgetauscht. Dabei wurde nicht nur eine neuartige Infrastruktur bereitgestellt, sondern auch die Basis für einen Wertewandel geschaffen, der den Beginn einer neuen Gesellschaftsphilosophie markiert.

Das Web 3.0

Während das Web 1.0 für ‚Hunting‘, also Jagen stand, steht das Web 2.0 für ‚Farming‘, also die Hege und Pflege von Beziehungen. Nun ist die durchgängige Verschmelzung von Online und Offline dran. Mixed Reality wird dies auch genannt. In dieser neuen Realität des Web 3.0 fahren Unternehmen über ethisch korrektes Handeln, beobachtendes Zuhören, motivierendes Einbinden und intelligentes Verknüpfen schließlich die Netzwerk-Ernte ein. Schnelligkeit, Menschlichkeit und Offenheit sind die wesentlichen Treiber dafür.

Früher mussten wir, um unsere Erfahrungen in die Welt hinauszuschicken, erst nach Haus gehen und warten, bis der Rechner hochgefahren war. Heute wird das, was wir erleben, wenn wir es wollen, via Touchscreen ruckzuck mit der ganzen Welt geteilt. So werden mobil verfügbare Infos von Dritten immer mehr zur Grundlage von Kauf-, Nutzungs- und Lebensentscheidungen. Unternehmen müssen nun anklopfen, bevor sie mit ihren Botschaften hereingelassen werden. Andererseits sind sie mithilfe von Geodaten und neuen Technologien wie Augmented Reality (AR) oder Location Based Services (LBS) ihren Kunden näher als je zuvor.

‚Mobile Marketing‘ darf mit Fug und Recht als die Herausforderung der nächsten Jahre gelten. Und der mobile Surfer wird zur größten Zielgruppe aller Zeiten. Also egal, ob es dabei um Markeninszenierung, Loyalisierung oder um reinen Abverkauf geht: Produkte, Services, Webseiten und letztlich das komplette Marketing smartphonefähig zu machen, das ist in Zukunft ein Muss. Und mehr noch: Mit seinen Angeboten unter den ersten drei Treffern bei mobilen Suchanfragen zu landen, damit ein Scrollen und Blättern nicht nötig ist, das wird schon bald ganz ausschlaggebend für den Geschäftserfolg sein.

Social everything: Die ganze Welt wird ‚sozial‘

Experten schlagen vor, sich von den Punkt-Null-Begriffen, die in Anlehnung an die Versionsnummern von Softwareprodukten entstanden sind, nun gänzlich zu lösen. Die gemeinsame Klammer zwischen 2.0 und 3.0 heißt Social Web. Dieses hat schon längst damit begonnen, eine universelle Ethik zu begründen. Dabei umfasst ‚social‘ ein ganzes Wertebündel rund um die Begriffe gesellschaftlich, gesellig, sozial. Und erst mit dem Entstehen des Social Web konnten Netzwerke von einer Größe entstehen, die die ganze Welt zusammenführen.

Im Social Web bleibt (fast) nichts mehr verborgen. So wird auch das Böse eingedämmt. Denn Öffentlichkeit erzeugt immer sozialen Druck. Solcher Druck zwingt – wie Untersuchungen aus der Spieltheorie zeigen – zu fairem Verhalten. Nur hinter verschlossenen Türen kann man heute, wenn überhaupt, noch die Sau rauslassen. Doch verschlossene Türen gibt es in einer Netzwerkgesellschaft nicht mehr. Das Mauscheln in Hinterzimmern lässt man besser sein. Denn Irgendeiner guckt immer durchs Schlüsselloch. Und im Web erzählt der Welt, was er dort sieht.

So stehen wir über geographische und kulturelle Grenzen hinweg nicht nur vor einem Offline-Online-Verschmelzungsprozess, sondern (hoffentlich) auch vor einem solchen, der gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit tatsächlich wahr werden lässt. Ein One-World-Feeling liegt in der Luft. Das schon so lang vorhergesagte globale Dorf ist endlich gebaut. Jetzt müssen wir es nur noch gemütlich für alle machen.

Über die Autorin: Anne M. Schüller ist Diplom-Betriebswirtin, mehrfache Buch- und Bestsellerautorin sowie Management-Consultant. Sie gilt als Europas führende Expertin für Loyalitätsmarketing und kundenfokussiertes Management.