„Es lohnt sich für alle Branchen, einen Blick auf Mikrotrends zu werfen“

Mikrotrends sind Produkte eines neuen, vernetzten Weltzustandes und sie sind konkret. Diesen Eindruck vermitteln Ergebnisse der Studie „Mikrotrends für Macher, Marketing und Management“ der Zukunftsinstitut GmbH. Lebensstilforscher und Konsumexperte Oliver Dziemba erläutert im absatzwirtschaft-Interview, wie sich Konsumenten durch umgesetzte Kreativitätstrends in Kaufstimmung versetzen lassen.

Herr Dziemba, die Cradle-to-Cradle-Bewegung („von der Wiege zur Wiege“ – nicht „zur Bahre“) ist einer der zu beachtenden Mikrotrends. Der Ansatz kündet nicht von weniger, sondern von mehr intelligenten Produkten, die keinen Müll mehr produzieren oder „mehrere Leben“ haben. Inwiefern unterscheidet sich dieser aber vom Trend zur Nachhaltigkeit und wie sollten Unternehmen die neue Bewegung bedienen?

OLIVER DZIEMBA: Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, meinen wir damit nicht die Verzichtsideologie der vergangenen Öko-Bewegungen. Konsum und ökologische Verantwortung sind keine Gegensätze mehr. Um umweltbewusst und moralisch zu handeln, wollen die Neo-Ökos nicht weniger kaufen und nur verzichten müssen. Dass Unternehmen aller Branchen – nicht nur die typisch „grünen“ – ihre Wertschöpfung nun anfangen, neu zu denken und Produkte nachhaltiger konzipieren, ist eine logische Konsequenz dieses Bedürfniswandels.

Was ist heute noch ein Nischentrend, der künftig aber nicht mehr aus der Servicewelt wegzudenken sein wird?

DZIEMBA: Bei unseren Mikrotrend-Recherchen haben wir auch Beispiele aus Branchen gefunden, bei denen der Stempel „Guter Service“ sich nicht mehr nur auf das klassische Prinzip „Aussuchen, Zurücklehnen und Bedienen lassen“ reduziert. Oftmals schränkt das den Kunden in seinem Entscheidungsfreiraum ein und stellt ihn vor vollendete Tatsachen. Service kann heute auch heißen, dass die Konsumenten aktiver teilnehmen, sie beim Kauf etwas beigebracht bekommen oder gar an der Herstellung beteiligt sind, um selbst zum Experten zu werden.

Welche Branchen und Märkte machen sich Mikrotrends bereits ausgeprägt zunutze und wo könnten diese im Gegenzug noch mehr zur Anwendung kommen?

DZIEMBA: Prinzipiell lohnt es sich für alle Branchen, einen Blick auf die Mikrotrends zu werfen. Diese sind letztlich der konkrete Ausdruck kreativer und innovativer Ideen von Unternehmern, die mutig genug waren, neue Wege zu gehen, um sich von ihren Konkurrenten abzuheben. Gerade der Blick in eine andere Branche kann oftmals helfen, neue Inspiration für sein eigenes Geschäftsmodell zu bekommen.

Was empfehlen Sie, um die iPhone-Generation wieder mehr vom stationären Handel zu begeistern?

DZIEMBA: Lange Zeit standen sich E-Commerce und stationärer Handel als Gegner im Kampf um die Gunst der Konsumenten gegenüber, den aufgrund der Kostenvorteile eigentlich nur der Online-Handel gewinnen kann. Smartphones und Apps bieten nun aber die Möglichkeiten, aus beiden Welten das Beste zusammenzuführen und den Kunden wieder zurück zum Point-of-Sale zu locken, um ihm dort dann die nötigen Argumente zu liefern, die ihn zum Kauf bewegen. Sei es durch Online-Terminals, die direkt vor Ort einen Preisvergleich ermöglichen, durch digitale Rabattmarken, die dem Kunden exklusive Angebote und Zusatz-Services bieten oder natürlich durch gute Beratung.

Eine Prognose Ihrer Studie lautet auch, dass Unternehmen sich immer weniger nur für maximale Reichweitengenerierung interessieren werden. Welche Eckdaten von Verbrauchern lohnen sich stattdessen zu betrachten?

DZIEMBA: Unternehmen müssen sich heute mehr denn je fragen, ob und wie ihre Marketingkampagnen auf die Konsumenten wirken. Maximale Reichweite heißt noch lange nicht maximaler Erfolg. Werbung, die nur auf Masse zielt, ist oftmals sehr kostenintensiv, wenig effektiv und selten nachhaltig. Künftig gilt es nicht möglichst viele potenzielle Kunden zu erreichen, sondern möglichst viele der potenziellen Kunden intensiv, persönlich und wirkungsvoll anzusprechen und zu involvieren.

Was zählt aus Ihrer Sicht am meisten, um Marken fit für die Zukunft zu machen?

DZIEMBA: Frühzeitig mit den Konsumenten in Kontakt treten und einen offenen und ehrlichen Dialog führen. Lange Jahre wurden die Konsumenten für die Unternehmen erst wichtig, wenn das Produkt fertig war und es ans Bezahlen ging. Nicht selten haben dann aber die Unternehmen die Rechnung selbst gezahlt, weil an den tatsächlichen Kundenwünschen vorbei innoviert wurde. Erfolgreiche Unternehmen binden ihre Kunden heute möglichst schon bei der Produktentwicklung mit ein. Und hören aber auch dann noch zu, wenn das Produkt längst am Markt ist, um gemeinsam mit den Konsumenten an der Zukunft der Marke und des Produktes zu arbeiten.

Oliver Dziemba (34), ist seit 2006 Mitarbeiter des Zukunftsinstituts, unter anderem als leitender Koordinationsredakteur des Verlags und Online-Chefredakteur. Als Autor verschiedener Trend- und Zukunftsstudien und Chefredakteur des Zukunftsletters beschäftigt er sich regelmäßig mit den Themen Konsum, Marketing, Handel, Neue Medien, Mobilität und neuen Zukunftsmärkten. Dziemba hat Soziologie, Volkswirtschaftslehre, Sozialpsychologie und Methoden der empirischen Sozialforschung studiert.

Die Fragen stellte Martina Monsees.

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