Emotion für die Kunden, Ratio fürs Controlling

Was der Chief Marketing Officer (CMO) der Zukunft leisten muss: absatzwirtschaft.de im Interview mit Katja Mehl, SAP Marketingleiterin Middle & Eastern Europe.
SAP-Marketingleiterin Katja Mehl erkennt in der Marketing-Wertschöpfungskette viele Prozesse mit enormem Potenzial. Daten dienen dabei sozusagen als Rohstoff. (© SAP)

Vernetzung auf allen Kanälen, mobiles Echtzeitmarketing – das Marketing der Zukunft klingt nach viel Technik. Das müsste die SAP ja freuen …

KATJA MEHL: Sie haben Recht, in der Tat ist SAP in diesem Umfeld sehr gut aufgestellt. Mit den Zukäufen von hybris und SeeWhy sowie weiteren strategische Partnerschaften haben wir unser Angebot im Bereich Marketing eindeutig gestärkt – und reagieren damit auch auf das veränderte Kundenverhalten. Konsumenten erwarten heute eine individuelle Betreuung, egal ob im Laden, online, über mobile Endgeräte oder per Telefon. Mit SAP Customer Engagement & Commerce haben wir eine Plattform geschaffen, mit deren Hilfe Unternehmen erstmals in Echtzeit jeden Kundenkontakt zur Kommunikation mit ihm nutzen können. Der Kunde kann stets in seinem individuellen Kontext angesprochen werden. Modernste, integrierte Benutzeroberflächen bringen Software dabei auf jedes Gerät. Parallel hat der CMO per Dashboard auf dem Tablet stets alle Kennzahlen zur Hand und kann dementsprechend schneller entscheiden.

Was bedeutet das für das Marketing bei SAP?

MEHL: Mit der steigenden Bedeutung von Technologie und dem erweiterten SAP-Portfolio ist meine Rolle als Marketingleiterin noch spannender geworden. Wir sprechen zum Beispiel eine größere Zahl von Zielgruppen an. Neben der IT-Abteilung gewinnen die Ansprechpartner in den Fachabteilungen wie Marketing, Vertrieb, HR und Rechnungswesen eine steigende Bedeutung, ganz einfach, weil sie in die Kaufprozesse involviert sind. Natürlich wollen wir auch für diese Zielgruppen relevant sein. Zudem wächst die Vielfalt der Kommunikationskanäle. Mit dem Einsatz unserer eigenen Lösungen fällt es auch mir leichter, den Überblick zu behalten.

Trotz der Technikdebatte waren sich in der absatzwirtschaft Ihre Kollegen von T-Systems und Springer einig darin, dass man beim datengetriebenen Marketing aktuell noch an der Oberfläche kratze. Woran liegt das?

MEHL: Entscheidend in der Technologiedebatte ist eigentlich die Frage: Wer ist der Treiber hinter dieser Entwicklung? Durch die Digitalisierung verändern sich der Wert und die Verarbeitung von Information grundlegend. Diese übergreifende Entwicklung lässt sich im Marketing nicht allein durch punktuelle Initiativen lösen, sondern nur strategisch und fachbereichsübergreifend. Letztlich geht es darum, auf Augenhöhe mit den Kunden neue Interaktionsmodelle zu etablieren und hierzu alle Daten im Unternehmen zu nutzen. Die Daten liegen schon heute in den Unternehmen und ließen sich theoretisch in Echtzeit nutzen. Aber ich gebe Ihnen Recht, wir stehen erst am Anfang. Noch immer ist es vielfach nicht selbstverständlich, dass etwa Marketing, Vertrieb und Kundenservice auf dieselben Daten zugreifen. Gerade in großen Unternehmen treffen wir auf teilweise jahrzehntelang gewachsene Datensilos.

Wie kann sich das ändern?

MEHL: Herausforderung ist es, die Daten zusammenzuführen und jedem im Unternehmen jederzeit zur Verfügung zu stellen. Ein enger Dialog zwischen CMO und CIO spielt dabei eine entscheidende Rolle. Und die entsprechende Technologie: Die SAP HANA Plattform ermöglicht, alle im Unternehmen anfallenden Daten von der Planung über Produktion und Marketing bis hin zum Service direkt in beliebiger Detailtiefe in Echtzeit für alle Anwendungen zur Verfügung zu stellen.

An welche konkreten Anwendungen denken Sie?

MEHL: Stellen Sie sich nur vor, welche Möglichkeiten sich ergeben, wenn Sie in Echtzeit die Anforderungen, Vorlieben und Verhaltensweisen von Kunden über alle Vertriebs- und Kommunikationskanäle hinweg kennen. Wirklich passgenaue Kampagnen, stärkere Kundenbindung und eine konsistente Markenerfahrung bei jedem Kontakt auf allen Kanälen werden möglich. Ein anderes Beispiel: Intuitive und exakte Zielgruppensegmentierungen werden für den Marketer in Echtzeit möglich, auch ohne Datenanalyst sein zu müssen. Die Beispiele zeigen: In der Marketing-Wertschöpfungskette gibt es viele Prozesse mit enormem Potenzial. Die Daten dienen dabei sozusagen als Rohstoff. Entsprechende Analysewerkzeuge und unternehmensindividuelle Prognosemodelle werden zum differenzierenden Merkmal. Dieses Potenzial gilt es jetzt zügig zu erschließen.

Was an CMO-Herausforderungen formuliert wird, richtet sich meist an Marketer im Konsumgüter-Bereich. Was sehen Sie für sich im B2B-Business als zentrale Anforderungen?

MEHL: Grundsätzlich gibt es seit Jahren die Tendenz, dass die Grenzen zwischen B2B und B2C verschwinden. Letztlich geht es ja immer um einen Dialog zwischen Menschen mit Emotionen und ganz individuellen Motivationen. Aber natürlich unterscheiden sich die Kaufentscheidungen in unserer Branche von denen im Konsumgütermarkt, sie sind deutlich weniger von persönlichen Motiven getrieben. Zudem handelt es sich beim Kauf oder der Miete von Unternehmenssoftware um einen mehrstufigen Prozess, an dem zahlreiche Personen beteiligt sind. Die Komplexität nimmt zu, die Entscheidungsfindung dauert länger und ist weniger impulsiv. Sie wird stärker auf Basis rationaler Argumente getroffen, wobei vertrauensvolle Beziehungen unabdingbar sind.

Also spielt auch im B2B der persönliche Faktor nach wie vor eine wichtige Rolle…

MEHL: Unsere größte Herausforderung ist es, Kontext und Content in Einklang zu bringen. Sprich, es geht darum zu wissen, welche Personen im Buying Center eine Rolle spielen, in welcher Phase des Einkaufsprozesses sie sich befinden, welche Kommunikationskanäle sie bevorzugen und welche Informationen sie benötigen. Idealerweise sind wir schon in den Köpfen der Menschen, wenn diese noch nicht einmal darüber nachdenken, ob ihr Business-Problem mit Software zu lösen ist.

Nur 50 Prozent aller Fortune-500-Unternehmen haben einen CMO, aber 80 Prozent einen Finanzvorstand. Also zählen am Ende des Tages doch nur die harten Zahlen?

MEHL: Marketing muss schon heute seine Wirkung nachweisen – anhand strategiebasierter Kennzahlen, die auch nachgehalten werden müssen. Dabei sind Brand Value, Pipeline Contribution und der Return on Marketing Investment ein fester Bestandteil der Scorecard eines CMO. Zugleich lohnt es sich, erfolgreiche Formate vor dem Hintergrund der Digitalisierung neu zu betrachten. Jede Marketingorganisation muss heute eine Big-Data-Fähigkeit entwickeln, um verantwortungsvoll mit den vorhandenen Daten umgehen zu können. Die Kunst liegt in der Kombination harter und weicher Faktoren. Während das Gefühl für die weichen Faktoren oft bereits existiert, sind die datenbasierten Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft. Und letztlich lassen sich die harten Zahlen auch nur mit ganz viel Kreativität, Engagement und Intelligenz erreichen.

Wie sieht das Marketing von SAP künftig aus – vor dem Hintergrund, dass SAP sein Engagement in Sachen CRM und Kundenbetreuung ja weiter vorantreibt?

MEHL: Nun, die Marketingstrategie orientiert sich an unserer Unternehmensstrategie, den Marketingtrends und Bedürfnissen unserer Zielgruppen. Hier ist vieles in Bewegung, diesen Wandel nehmen wir natürlich auf. Der Fokus von SAP liegt darauf, die Abläufe der Wirtschaft und das Leben von Menschen zu verbessern. Unsere Technologie auf der Basis von SAP HANA vereinfacht vieles und hilft unseren Kunden den Herausforderungen von Morgen zu begegnen. SAP HANA unterstützt zum Beispiel Mediziner am NCT Heidelberg, die bestmögliche individuelle Krebstherapie für jeden Patienten zu entwickeln. SAP arbeitet zudem mit Shell und Volkswagen an Services, die das mobile Bezahlen in vernetzten Fahrzeugen einfach und sicher machen. Viele erinnern sich vielleicht auch noch an SAP Match Insights – die Lösung, die dem Team der Deutschen Nationalmannschaft dabei geholfen hat, die Fußball-Weltmeisterschaft zu gewinnen.

Wird man Sie demnächst auch auf Consumer-Events wie der CES sehen?

MEHL: Generell wollen wir viele Menschen von SAP begeistern und bei den Entscheidern relevant sein. Zudem richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das, was am Markt geschieht. Dabei werden auch die Kunden unserer Kunden immer wichtiger. Um diese zu treffen, spielen unter anderem auch Consumer Events eine Rolle. Dort bekommen wir Feedback aus erster Hand und erfahren zum Beispiel, wie eine auf SAP-Technologie basierende Customer Experience ankommt oder welche Trends die Kunden wirklich bewegen. Neben Events sind hier natürlich auch soziale Netzwerke sehr wichtig.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für den Marketer der Zukunft?

MEHL: Die Digitalisierung und das Internet der Dinge bringen ein bisher kaum vorstellbares Datenvolumen mit sich. Kunden haben in den Zeiten von Social Media und mobilen Endgeräten eine nie gekannte Macht. Gewinner sind diejenigen, welche die Übersicht behalten, die Customer Journey genau kennen und auf Augenhöhe mit ihren Kunden interagieren. Inhalte, Kontext und Geschwindigkeit sind aus meiner Sicht die zentralen Themen. Logischerweise werden IT-Lösungen, die hier unterstützen, immer relevanter. Genauso wie Marketer, die ganz konsequent vom Kunden aus denken.

Der CMO hat dabei eine Vorreiterrolle. Zu seinen Aufgaben gehört es, die richtige Strategie durch innovative Technologie und eine leistungsfähige Organisation umzusetzen. Das wichtigste ist jedoch, dass er sein Team auf dieser Reise mitnimmt, neue Tätigkeitsfelder und Mitarbeiter aufbaut und umfassend in ein Fortbildungs- und Change-Management-Programm investiert. In Zukunft sind Mitarbeiter gefragt, die Bauch und Verstand mit Zahlen kombinieren können und die den Mut besitzen, neue Dinge auszuprobieren. Schließlich erfordert das Marketing der Zukunft von jedem Mitarbeiter technologisches Verständnis für sein Aufgabengebiet.