Einzelhandel: Wie Zero-Inventory-Stores die Produktivität steigern

Das Einzelhandelsgeschäft wird zum Show Room: Anstelle von vollen Lagerräumen und Regalen kommen Zero-Inventory-Stores nur mit Ausstellungsstücken aus. Das kann hervorragend funktionieren, ist aber nicht für alle Marken und Branchen geeignet.
Zero Inventory
Blick über den Tellerrand: Der US-amerikanische Herrenausstatter Bonobos gilt als Best-Practice-Beispiel für die Zero-Inventory-Strategie. (© Bonobos)

Nach Angaben der Investmentbank B. Riley FBR wird sich der Downsizing-Trend im Einzelhandel in den kommenden 18 bis 24 Monaten unvermindert fortsetzen. Rund 30 Prozent der derzeitigen Einzelhandelsflächen sollen dann in ihrer jetzigen Form nicht mehr existieren. Eine Neupositionierung ist notwendig. Forscher aus Wharton und Harvard schlagen Zero-Inventory-Stores (ZIS) vor. Große Teile des gebundenen Kapitals von Einzelhändlern machen Lagerbestände aus. Zero Inventory ist eine Geschäftsstrategie, bei der Unternehmen nur wenig oder gar keinen Lagerbestand vorhalten. Der Reiz: Weniger Bestand bedeutet weniger Laden- und Lagerfläche.

Fast noch wichtiger ist, dass die Verkäufer nicht mehr mit auspacken und ordnen der Waren beschäftigt sind. Sie können sich auf die Beratung konzentrieren und Kunden zum Kauf animieren. Das Geschäft wird zu einem Ausstellungsraum, in dem Kunden Produkte berühren, sehen und erleben können, während tatsächliche Kundenaufträge über E-Commerce ausgeführt werden. Unternehmen können so den Cashflow maximieren, indem sie die Geschwindigkeit der Lagerumschläge erhöhen. Untersuchungen haben ergeben, dass die ZIS-Showroom-Strategie nicht nur für Einzelhändler kostengünstiger ist, sondern auch zu sogenannten „Supercharged Customers“ führt. Diese geben im Durchschnitt größere Bestellungen auf, kaufen häufiger und in einem breiteren Sortiment ein.

Zero Inventory: kein neues Prinzip

Das Prinzip ist keineswegs neu: Möbelhändler haben traditionell keinen Vorrat an Sofas oder Matratzen in den Läden. Kunden kommen in die Läden, um die Ware auszuprobieren. Ein Distributionszentrum schickt die sperrige Ware dann komfortabel nach Hause. Jetzt übertragen findige Unternehmer das Prinzip auf andere Branchen. Am besten eignet er sich für internetbasierten Einzelhändler, insbesondere, wenn sie leicht verderbliche und modebasierte Konsumgüter anbieten.

In den USA gilt Bonobos als Best-Practice-Beispiel für die erfolgreiche Implementierung. Der Herrenausstatter begann als reiner Online-Shop für hochwertige Männermode und verfügt heute über 20 stationäre Geschäfte. Diese sind klein, aber fein und somit ist die Miete günstig. Der Kunde wird optimal beraten und bekommt das Gefühl von Exklusivität vermittelt. Bonobos gibt an, dass Kunden, die ihre Ausstellungsräume besuchen, seltener Waren zurückgeben, tendenziell hochpreisigere Produkte wählen und im Schnitt 60 Prozent mehr ausgeben als online.

Mehrere US-amerikanische Matratzen-Start-ups – zumeist reine Online-Verkäufer – sind dem Beispiel von Bonobos gefolgt und haben stationäre Geschäfte eröffnet. Bonobos-Gründer Andy Dunn berät beispielsweise das Matratzen-Startups Tuft & Needle, das einen Ausstellungsraum in der Innenstadt von Phoenix hat. Ebenso verfügt das Matratzen-Startup Casper über zwei Matratzenausstellungsräume: einen in Manhattan und einen in Los Angeles. Die Geschäfte, in denen Kunden sämtliche Matratze ausprobieren können, entsprechen der Art, wie Bonobos seinen E-Commerce-Kanal mit Offline-Geschäften ergänzt.

Weitere Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung in den USA sind die Schuhfirmen Paul Evans und Jack Erwin. Beide führen Ausstellungsräume in New York, in denen Kunden die Schuhe durchstöbern und anprobieren und dann den eigentlichen Einkauf online tätigen können. Genauso macht es Warby Parker mit Brillen.

Einzelhandel muss sich an Kunden orientieren

Einzelhändler müssen noch stärker darüber nachdenken, wie sie in ihren stationären Geschäften mehr von dem liefern, was Kunden heute wollen. In den allermeisten Fällen ist dies mehr Service. Glaubt man den Erfahrungen von Bonobos und Co. könnten Zero Inventory Stores tatsächlich eine Lösung für den Einzelhandel sein. Sie holen das Beste aus physischem Einzelhandel und E-Commerce heraus. Ein erlebnisorientiertes Offline-Format, das Kundenservice und Markeninteraktion garantiert, bei gleichzeitiger Nutzung der Online-Versprechen kann einen erheblichen Mehrwert für Unternehmen und Kunden bieten.

Doch nicht alle stationären Einzelhändler können und sollen auf Modelle ohne oder mit geringen Lagerbeständen umsteigen. Entscheidend ist das Markenversprechen, das bislang gegeben wurde. Viele etablierte Händler haben ihre Kunden so erzogen, dass sie sofortige Befriedigung als Teil des Einkaufserlebnisses erwarten. Das Modeunternehmen Zara beispielsweise warb lange Zeit damit, nachmittags ein Zara-Kleid zu kaufen, um abends darin zu tanzen. Dieses Versprechen muss das Unternehmen halten.

Auch das Geschlecht der Zielgruppe spielt eine Rolle. Ganz klischeehaft: Zero Inventory Stores sind erfolgreichen, wenn sie sich an männliche Käufer richten. Männer tendieren eher dazu, Geschäfte zu meiden. Sie wollen weniger stöbern als effizient einkaufen und beraten werden.