Eingebettet im Netz der Social Marketer

Kundenbeziehungen lassen sich über die Kommunikationsinstrumente der sozialen Netzwerke verbessern. Doch ohne richtige Strategie und passende Einbindung in die Unternehmenssoftware bleibt das Stückwerk und ökonomisch problematisch. Hier ein Wegweiser zur sinnvollen Verknüpfung.

Von Frank Puscher

Das hatte Lilly Robinson nicht erwartet. In einem kurzen, von der Mutter getippten Brief, fragte die Dreieinhalbjährige bei der Londoner Supermarktkette Sainsburry nach, warum denn das „Tigerbrot“ ausgerechnet „Tigerbrot“ heißt und nicht etwa „Giraffenbrot“. Es seien doch gar keine Streifen darauf. Rund 14 Tage später landete ein Schreiben vom Kundendienst-Manager Chris King in Lillys Briefkasten. Kein Formbrief, sondern eine durchdachte und humorvolle Antwort, in der King der kleinen Lilly recht gab und sich für die Anregung bedankte. Als kleines Bonbon heftete ein Einkaufsgutschein im Wert von drei Pfund dem Schreiben an. „Geht doch“ lautet der häufigste Kommentar auf Facebook inklusive Foto, das beide Briefe zeigt. 133 000 Likes sammelte die kleine Geste, und 43 000 Nutzer verbreiteten die Nachricht weiter. Das soziale Netzwerk wird zum Herz des neuen Customer-Relationship-Managements (CRM).

Eigentlich versucht CRM, alle Prozesse, die direkt mit Endkunden zu tun haben, im Unternehmen zu ordnen und zu organisieren. In den späten 90er-Jahren installierten dazu unzählige Firmen für sehr viel Geld die Software von IBM, Oracle, SAP und anderen CRM-Anbietern. Ziel damals: Kundenhistorie und Stammdaten für Hotlinemitarbeiter zumindest auf bereiten. Interne Prozessverbesserungen versetzten Unternehmen in die Lage, die Kosten des Supports besser einschätzen zu können. Schnell aber wurde klar, dass CRM nur einen kleinen Teil zur Kundenzufriedenheit beitragen konnte. Denn neben dem aktiven Kontakt zum Unternehmen nimmt der Kunde auch dessen Werbung und Marketing wahr, informiert sich in Drittquellen wie der Presse und macht selbst Erfahrungen mit den Produkten. Alles zahlt auf das Gesamtbild ein und erzeugt die Erwartungshaltung.


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verdichten.

Social CRM versucht, Informationen über diese Erwartungshaltung einzuholen durch die Beobachtung der sozialen Netzwerke. Unternehmen aus dem Bereich Social Media Monitoring spielen hier mit, um das wahre Markenbild zu erkennen, das Kunden am virtuellen Onlinestammtisch vermitteln, und es mit dem eigenen Bild abzugleichen. Ein mitunter krasser Gegensatz.

Dass dies kein theoretisches Problem ist, zeigt eine Studie von IBM. Gefragt wurde nach den Gründen, warum Nutzer auf´Facebook zu Fans einer Marke werden. Fragt man die Unternehmen, dann rangieren die Wünsche nach „Informationen über neue Produkte“ und „Allgemeinen Informationen“ an oberster Stelle. Fragt man die Nutzer, so geht es um „Rabatte“ und „Kaufgelegenheiten“. „Social CRM“-Werkzeuge integrieren diese Meinungsbilder als Informationsstrom in die Daten-Steuerzentralen der Kundendienst- oder Vertriebsmitarbeiter.

Wichtiger aber als allgemeine Stimmungsbilder sind dabei konkrete Probleme des einzelnen Kunden. Aktuelle Werkzeuge, sogenannte SCRM-Tools, integrieren Schnittstellen. Sie integrieren das Facebook-Profil, den Twitter-Account oder sogar den Blog eines Kunden mit dessen Stammdaten und führen die Kontakt- und Kundenhistorie zusammen. Gute Software bewertet sogar die Reichweite dieser Profile und ist in der Lage, die wichtigen von den unwichtigen Kontakten zu unterscheiden. Bislang standen für solche Bewertungen allenfalls der getätigte Umsatz oder die Kaufwahrscheinlichkeit zur Verfügung.

Für Peter Eiselt, Senior Consultant bei Adobe, liegt der Mehrwert in der Qualität der Daten: „Das reine Social-Media-Marketing kann eben nicht validieren, ob der mit einer Kampagne generierte Traffic wertvoll ist oder nicht.“ In der Theorie ergibt das eine Vielzahl spannender neuer Möglichkeiten. Der Kundendienst-Mitarbeiter wird in die Lage versetzt, den Kunden positiv zu überraschen, indem er dessen Wünsche antizipiert, bevor dieser sie ausgesprochen hat. Auch proaktiv wäre das Wissen nutzbar: Beschwert sich ein Kunde über ein Hotel, könnte die Kundenbetreuung initiativ auf ihn zugehen, sich entschuldigen und ihm eine Kompensation für den nächsten Besuch anbieten. Kurzum:
Plattformen wie Twitter oder Facebook können an bestimmten Stellen E-Mail und Telefon als Kommunikationskanal ersetzen. Fürs CRM ist es wichtig, die Dialoge auszuwerten und zur Kommunikationshistorie hinzuzufügen.


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Das soziale Unternehmen steht am vorläufigen Ende dieser Weiterentwicklung. Kunden sind in Prozesse eingebunden und nutzen soziale Netzwerke. Sie sind Produkttester, Ideengeber, Multiplikatoren oder Wiederverkäufer (Affiliates). Der Mechanismus greift extern wie intern. SCRM-Tools treten derzeit an, die interne Kommunikation umzukrempeln. Unternehmen profitieren von Mitarbeitern, die privat mit diesen Plattformen umgehen. Sie lernen und nutzen dieses Kapital. Geschäftsabschlüsse werden getwittert, Supportprobleme in einer kolaborativen Datenbank (Wiki) gesammelt und per Hyperlink an aktuelle Dialoge angehängt.

Google gab jüngst bekannt, „Google+“ auch Unternehmen als abgeschlossenes internes System zur Verfügung zu stellen, denn es enthält auch Lösungen für Videokonferenzen. Oracle bemüht sich, Kunden des CRM-Boliden „Sibel“ für verteilte´CRM-Anwendungen in der Cloud zu begeistern. Larry Ellison bewirbt in einem Spot sein aufgeputschtes, aber sicheres Facebook. Der Markt für SCRM-Software ist gewaltig in Bewegung. Marktforscher von Gartner liefern regelmäßig eine Übersicht über Produkte nach dem Innovationsgrad ihrer Softwarehersteller. Zuletzt war der kalifornische Anbieter „Jive“ klar führend. Einziges Manko: Die Firma sei zu klein, um mit internationalen Kunden mitwachsen zu können. Jive ging Ende des vergangenen Jahres an die Börse und dürfte jetzt genug Kleingeld in der Kasse haben.

Etablierte CRM-Anbieter wie Oracle oder IBM bringen sich durch Zukäufe in Stellung. IBM hat aus Gartner-Sicht die Nase vorn wegen der Entwicklungskraft kleiner Drittanbieter, die sich im Umfeld von Lotus Notes und Connections tummeln. Auf der „Loutsphere 2012“ präsentierte IBM vollmundig ein „Facebook für Unternehmen“. Einen Liebling der Gartner-Marktbeobachter hat Oracle mit „Right Now Software“ übernommen, dessen Integration kein Hexenwerk mehr ist, da Oracle seine Dienste inzwischen als Einzelmodule in der Cloud im Software-as-a-Service-Verfahren anbietet. „Right Now“ hat schon erste Elemente zur mobilen Kundenbetreuung im Angebot, zum Beispiel die Integration von Supportfunktionenund FAQ-Datenbanken in mobile Apps.

Für Unternehmen, die Microsoft-Produkte für CRM-Zwecke einsetzen, gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht: „Share Point“ ist als Verteilsystem für Daten so populär, dass „Jive“ neue Schnittstellen bietet, wodurch man von der Stabilität des Großen und der Flexibilität vieler Kleiner profitiert. Die schlechte Botschaft: Microsoft hinkt leicht hinterher und schaffte bislang nicht, „Dynamics“ zu aktualisieren.

Die Verknüpfung zweier Welten scheint für viele Unternehmen ein Weg, um bestehende Hard- und Software nicht unmittelbar
über Bord werfen zu müssen. So kombiniert Bayer etwa Microsoft und IBM. „Für strukturierte Zusammenarbeit nutzen wir ‚Share Point‘, für den Austausch von Wissen in weltweiten Communitys brauchen wir ‚Connections‘“, sagte Kurt De Ruwe, CIO von Bayer Material Science, kürzlich einem Branchenmagazin.

Wer erst auf bricht, sollte sich salesforce.com anschauen. Der Name fällt dauernd in puncto CRM, und nicht wenige Experten halten das Angebot für komplett. Forbes kürte die Firma zum „innovativsten Unternehmen der Welt“. Branchenkenner Michael Krebs von Esentri Consulting konstatiert: „Nur Salesforce, Marktführer im Cloud-basierten CRM-Markt, bietet hier Produkte an, die beide Welten miteinander grundlegend vereinen.“ In der Tat suchen Mittelständler nach einfachen Lösungen oder einem Komplettdienstleister. In einem Roundtable-Gespräch des IDGVerlags offenbarte Elke Wendel-Lander, Zentralbereichsleiterin Informatik der Messe München: „Ich würde mir wünschen,
dass es Unternehmen gibt, die einen Service anbieten, um bestimmte Strategien gemäß dieser Medien zu nutzen.“

Auch die Anbieter predigen ein Ende des „Silo-Denkens“: Vertrieb, Support und Marketing sollen sich über die Kontakte zu Endkunden austauschen und dabei auch Personalabteilung und Forschung einbinden. Externe liefern bestenfalls freimütig ihre Markt- und Kundendaten. Social CRM wird Einzug in die IT-Architektur von Unternehmen halten. Der erste Schritt ist die Kommunikation mit Endkunden via Facebook und Twitter. Gute Software muss dies auswerten und die interne Kommunikation beleben.
Wie Marketer wissen, ist die Relevanz der Inhalte der entscheidende Faktor für den Grad der Nutzung. Hemmend wirkt, dass Chefs und Kollegen mitlesen könnten. Gleichwohl dokumentiert eine Studie von Detecon, dass 70 Prozent aller Unternehmen die sozialen Netzwerke als wichtigen Servicekanal verstehen und 86 Prozent sogar eine komplette Umstrukturierung der Kundenbetreuung für nötig erachteten.

Adobe veröffentlichte Anfang Dezember eine neue Studie, wonach sich indes nur zwei Prozent aller Unternehmen die Verschmelzung der Daten aus Social Media und CRM leisten können. Immerhin arbeiten schon 29 Prozent daran. Viele mittlere und kleine Unternehmen
schrecken davor zurück. CRM-Berater Stephan Bauriedel räumt ein: „Social CRM ist derzeit bei unseren Kunden eher ein Randthema. Da gibt es weitaus wirkungsvollere Stellschrauben.“ Für Peter Eiselt sind neben dem Willen die Menge der verfügbaren Ressourcen ein Problem: „Die Daten zu generieren ist eher einfach, die sinnvolle Auswertung aber mit sehr viel Aufwand verbunden. Kampagnen in Social Media sind keineswegs preiswerter zu haben als klassische.“

Die sinnvolle Verknüpfung von Vertrieb und Marketing oder Support und Vertrieb stellt viele Organisationen vor gewaltige Probleme, auch wenn der Return on Investment plastisch greif bar ist. Zu unterschiedlich sind die Ziele der Teams, zu stark die Haltekräfte der Stakeholder. „Right Now“-Gründer Greg Gianforte sieht, wie sich die Mehrzahl seiner Neukunden über Einzelprojekte an das Thema Social CRM herantasten: „Unsere Kunden machen im Schnitt sechs bis acht Projekte in den ersten drei Jahren.“

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