Ein Fixpunkt im Marketingkalender

Trotz gesamtwirtschaftlicher Konjunkturdellen präsentiert sich die deutsche Messewirtschaft alsäußerst robust. Ein Grund ist, dass sowohl Veranstalter als auch Aussteller den Wandel von Medien, Technologie und Märkten mit vollziehen.

Von Roland Karle

Von null auf hundert. Die dmexco ist in kurzer Zeit zum wichtigsten Treffpunkt der Digitalwirtschaft geworden. 22 200 Fachbesucher, davon rund ein Viertel aus dem Ausland, strömten Mitte September zur zweitägigen Kongressmesse nach Köln – so viele wie noch nie seit der Premiere 2009. Auch die Aussteller­zahl erreichte mit 578 einen Höchststand. Die Resonanz übertraf „unsere kühnsten Erwartungen“, freut sich dmexco-Direktor Christian Muche. Die Veranstaltung erfüllt, was Messen leisten sollen: die Agenda einer Branche spiegeln, Marktbeteiligte ins Gespräch bringen, Trends setzen.

Ob anhaltende Finanzkrise, konjunkturelle Schwankungen oder sich verändernde Marktstrukturen – die Messewirtschaft bleibt davon zwar nicht unberührt wie die vergangenen Jahre gezeigt haben. Dennoch: Selbst der weltweite Wirtschaftseinbruch nach der Lehman-Pleite 2008/09 hat nicht dazu geführt, dass Unternehmen ihre Messebeteiligungen in erheblichem Maße zurückgefahren oder gar gestrichen hätten. Vielmehr hält sich der Anteil der Messeausgaben am gesamten Kommunikationsbudget in den vergangenen Jahren konstant um 40 Prozent.
Das ist freilich keine in Stein gemeißelte Garantie. „Einen Automatismus, sich an Messen zu beteiligen, gibt es schon lange nicht mehr“, sagt Peter Ottmann, Geschäftsführer der Nürnberg Messe. Unternehmen stellten heute hohe Anforderungen an eine Messebeteiligung. Das zwingt die Veranstalter dazu, fortschrittlich zu sein. Ottmann spricht von einem Dreiklang, der erfolgreiche Messen auszeichne: Menschen vernetzen, Erlebnisse gestalten, Wissen managen.
Nur Messen, die eine große Anziehungskraft für das Publikum schaffen und höchste Marktrelevanz erreichen, entwickeln sich zum Muss für Unternehmen aus den betreffenden Branchen. Die dmexco gehört dazu. Auch weil sie Treffpunkt für einen Markt ist, der sich in hoher Geschwindigkeit verändert und in dem es für Unternehmen darauf ankommt, Innovationen früh zu erkennen. Auf der dmexco fiel zum Beispiel auf, dass häufig von „digital“ statt von „online“ die Rede war. Dahinter verbirgt sich mehr als ein Etikettenwechsel. „Das markiert den Eintritt in eine neue Phase“, hebt Matthias Ehrlich von United Internet Media hervor.

Unterschiede zwischen Online, Mobile und Smart-TV lösen sich zunehmend auf

Gemeint ist damit, dass sich die Unterschiede zwischen Online, Mobile und Smart-TV, bedingt durch geräteübergreifende Mediennutzung und geräteübergreifende Inhalte, zunehmend auflösen. Für diese Erkenntnis braucht es nicht zwangsläufig die Kombination aus Messe und Expo, wie sie die dmexco verkörpert. Aber sie wirkt als Kristallisationspunkt. Die Vorstellung neuer Produkte, Services und Studien wird darauf ausgerichtet. Der gesamte Markt ist in Spannung, handelt und reagiert mit höchster Aufmerksamkeit.
Die dmexco steht zudem prototypisch für eine Entwicklung in der Messelandschaft: Sobald ein junger Markt in die Pubertät kommt, also reif, relevant und selbstständig genug ist, lässt sich daraus eine eigene Veranstaltung machen. Dabei muss sie sich ausreichend von benachbarten Messen unterscheiden. Der dmexco scheint es gelungen zu sein. Sie habe sich zu der inhaltlichen Plattform schlechthin rund um das Internet entwickelt, sagt Florian Haller, Geschäftsführer Serviceplan Gruppe. „Sie ist keine weitere Technologiemesse, sondern befasst sich vor allem mit den Konsequenzen für Marken, Medien und Agenturen.“ Laut Umfrage des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) bewerten 83,5 Prozent der Aussteller und Messebesucher die dmexco als zentralen Branchenevent, bei dem man nicht fehlen darf.
Im letzten Jahr haben die deutschen Messeveranstalter einen Umsatz von 2,85 Milliarden Euro erzielt. Gegenüber 2007 ergibt sich ein Plus von 5,6 Prozent, gegenüber 2009 ein Zuwachs von 9,6 Prozent (aufgrund der unterschiedlichen Messezyklen sind Zwei-Jahres-Vergleiche sinnvoll). Auch die Zahl der Aussteller hat sich mit 1 194 pro Messe auf dem Niveau der Vorkrisenzeit im Jahr 2007 (1 192) eingependelt. Gegenüber 2009 weist die Messewirtschaft in sämtlichen Kategorien Steigerungen auf. Im Vergleich zu 2007 ist jedoch die Besucherzahl pro Veranstaltung (71 091) um 6,6 Prozent und die vermietete Fläche pro Aussteller (38,8 Quadratmeter) um 4,4 Prozent gesunken.

Messen sind ein Spiegel des jeweiligen Marktes. Während die digitale Wirtschaft weiter wächst, muss die Druckbranche kräftig kämpfen. Das lässt sich an den Zahlen der diesjährigen Drupa in Düsseldorf ablesen. Die Weltleitmesse erwies sich mit 314 500 Fachbesuchern aus über 130 Ländern zwar erneut als Publikumsmagnet, doch das waren fast 20 Prozent weniger als bei der letzten Drupa im Jahr 2008. Die deutsche Druckindustrie ist seit 2000 um 3 900 Betriebe und 61 000 Beschäftigte geschrumpft, in den USA haben seither 7 700 Druckereien dichtgemacht. „Der Rückgang kommt daher nicht überraschend“, resümiert Werner M. Dornscheidt, Vorsitzender der Geschäftsführung Messe Düsseldorf.

Welcher Veranstalter prahlt nicht gerne mit Zuwachsraten? Doch näheres Hinsehen und genaue Analyse sind für das Profil einer Messe noch wichtiger. Beispielsweise kommen Unternehmen zur Drupa nicht mehr mit großen Delegationen oder machen gar einen Firmenausflug daraus. „Das Top-Management reist an, die Drupa ist eindeutig die Messe der Entscheidungsträger, die Messe für das Business“, betont Dornscheidt.

Gründe für das wachsende Geschäft

Die Messe Düsseldorf ist mit einem Umsatz von 372,7 Millionen Euro die zweitgrößte deutsche Messegesellschaft hinter Frankfurt (467,5 Millionen Euro) und vor den Standorten Hannover, Köln und München. Die zehn führenden Messeveranstalter erwirtschafteten 2011 Erlöse von knapp 2,2 Milliarden Euro. Das waren zwar 2,8 Prozent weniger als 2010, als deutlich mehr Veranstaltungen durchgeführt wurden, jedoch 17 Prozent mehr als im ökonomisch vergleichbaren Jahr 2009. Es gibt mehrere Gründe für das wachsende Geschäft: 2011 war geprägt von einem gesamtwirtschaftlich freundlichen Klima, die Messegesellschaften bauen ihre Services – mitunter durch Zukauf von Dienstleistern – und ihre Auslandsaktivitäten weiter aus.

Große überregionale Leitmessen haben in ihrer Branche einen Stellenwert wie, sagen wir mal, Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele im Sport. Während die Wettkämpfe wie selbstverständlich im Fernsehen übertragen werden, sind bewegte Bilder von Messen eher die Ausnahme. Vielleicht hat Kona­mi auf der Gamescom neue Maßstäbe gesetzt. Der Videohersteller hatte dort ein gläsernes Studio aufgebaut, über das Nachrichten, Trailer und Interviews liefen. Täglich vier Sendungen wurden produziert und via Live-Stream, Youtube, Facebook und Twitter verbreitet.
Dadurch konnten sich interaktive Nutzer direkt mit der Redaktion von „KonamiOn Air“ in Verbindung setzen, ob nun am Messestand in Köln oder an irgendeinem anderen Platz der Welt. Für Martin Schneider, General Manager Konami Digital Entertainment, eine neue und vor allem positive Erfahrung. „Mit unserem offenen Messekonzept und unserer Gamescom Show haben wir nun mehr Endverbraucher erreicht denn je.“