Dunkle Datenschutz-Wolken überschatten die deutsche Online-Industrie

Seit mehreren Jahren setzt sich die Online-Industrie intensiv und ernsthaft mit dem Thema Datenschutz auseinander. Und in diesem Zeitraum hat sich einerseits der Online-Markt stark weiterentwickelt und andererseits der Werbemarkt insgesamt verändert – und das bekanntlich in sukzessive wachsender Geschwindigkeit. Etwa parallel zum rapiden Wachstum von Facebook und anderen Social Networks steht auch der Datenschutz verstärkt auf der Tagesordnung. Insbesondere die Brüsseler Bürokratie entdeckte europaweit ein ausgeprägtes Schutzbedürfnis der Internetnutzer. Entsprechend erkannte sie Regulierungsbedarf und entwarf im selben Atemzug möglichst pauschale und undifferenzierte Definitions- und Lösungsansätze für den Umgang mit den so genannten „personenbezogenen Daten“.

Ein Kommentar von Matthias Wahl

Hierzulande ist der Markt säuberlich aufgeteilt unter den Landes-Datenschutz-Beauftragten, die wiederum alternativ Google, Facebook oder auch einheimische Marktteilnehmer zum Angriffsziel machen. Aktuell rücken nun die IP-Adresse und das cookie-basierte „(Predictive) Behavioural Targeting“ (PBT) in die Datenschutz-amtliche Schusslinie. Gerade diese Bereiche aber sind relevant für die Publisher, die ihre Webseiten mit Werbung finanzieren. Das wiederum ist die Grundvoraussetzung dafür, die Inhalte den Nutzern kostenfrei zur Verfügung stellen zu können. Dem Willen der meisten Datenhüter zufolge soll jeder Nutzer zukünftig einer Cookie-Setzung explizit zustimmen (Opt-In) – die heute schon mögliche individuelle Abmeldung (Opt-Out) wird dem gerne als mündig bezeichneten Nutzer offensichtlich nicht zugetraut. Der enorme Schaden, der für die Online-Industrie durch Opt-In und die am Ende stark dezimierten Werbeerlöse angerichtet würde, tritt gegenüber ideologisch motiviertem Sendungsbewusstsein problemlos in den Hintergrund.

Wir müssen festhalten: Die gesamte Online-Industrie nimmt dieses Thema extrem ernst, hat präventiv, schnell und umfassend mit Gesprächsbereitschaft und Aufklärung reagiert, monatelange Verhandlungen in allen und zwischen allen möglichen Fach-Verbänden geführt, bis heute viel Geld und Ressourcen in Brüssel, Berlin und auch der deutschen Provinz investiert und mit dem „Deutschen Datenschutzrat Online Werbung“ (DDOW) ein übergreifendes Konzept ernsthafter Selbstregulierung mit eingebautem Sanktionsmechanismus und Platzierung eines Informations-Icons im Werbemittel entwickelt. Alle mit dem Thema Datenschutz betrauten Politiker sind über diese Aktivitäten auch ausreichend informiert – schließlich steht einiges auf dem Spiel: Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem inner- und außereuropäischen Wettbewerb, Überleben und Wachstum einer Zukunftsindustrie, Arbeitsplätze etc. Aber das gilt anscheinend nicht für alle Parteien. Denn pünktlich Anfang 2012 hat die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf zum Thema Datenschutz vorgelegt, der diesbezüglich jeden bislang mühevoll vermittelten Erkenntnisgewinn in einer Troika aus grob fahrlässigem Nichtwissen, vorsätzlicher Ausblendung eines Gesamtbildes und undifferenziertem Populismus verweigert.

Ganz genau geht es um die Bundestagsdrucksache bt-drs 17/8454 und den darin enthaltenen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes (TMG). In dem insgesamt recht kurz gehaltenen Gesetzentwurf wird zunächst in Punkt A lediglich das Problem beschrieben. Demnach entsprechen die Vorschriften des TMG nicht der sogenannten E-Privacy-Richtlinie aus dem Jahr 2009. Mit anderen Worten: In Deutschland ist der Datenschutz dem genannten Gesetzentwurf zufolge mangelhaft geregelt. Darüber kann man sich trefflich streiten (siehe §13, Abs.1 TMG). Mit Blick auf die deutsche Online-Industrie interessanter und ärgerlicher gestaltet sich Punkt B, in dem der „Einwilligungsvorbehalt“ (Opt-In) als die Lösung des Problems beschrieben wird.

Beweist das in meinen Augen schon recht klar den Tunnelblick und die Beratungsresistenz der Verfasser, erfährt die (nicht vollzogene) Beschäftigung mit dem gesamten Themenkomplex in Punkt C noch eine Steigerung: Als Alternative steht hier – und man muss es schon „lapidar“ nennen – wortwörtlich „Keine“. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Verfasser leider noch nie etwas gehört haben von der jahrelangen Selbstregulierungs-Diskussion, DDOW, Informations-Icon… In Punkt D werden schließlich die finanziellen Auswirkungen der Umsetzung dieses Gesetzentwurfs beschrieben. Dass hier erschreckenderweise ebenfalls „Keine“ steht, finde ich sehr bedenkenswert, wird damit doch die gesamte wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Online-Industrie schlichtweg ausgeklammert.

Ich bin persönlich gespannt auf die Stimmen derer, die im Falle eines entsprechenden Gesetzes ihren Arbeitsplatz oder gar ihr Unternehmen verlieren werden, und hoffe auf späte Einsicht in den relevanten Oppositionskreisen. Denn für unsere Online-Industrie bedeutet dieses mögliche Gesetz einen klaren Wettbewerbsnachteil in einer durchglobalisierten Geschäftswelt: Für Google, Facebook & Co. werden diese Einschränkungen, da sie nur Unternehmen betreffen, die ihre Server in Deutschland oder Europa angesiedelt haben, nämlich keinerlei Geltung und damit auch keine Auswirkungen haben.

Damit wir uns richtig verstehen: Es geht hier nicht um die Vermeidung von Datenschutz zu Lasten der Nutzer, es geht hier um die Vermeidung pauschaler, einseitig benachteiligender und parteipolitisch basierter Reglementierungen durch eine nachprüfbare und seriöse Selbstregulierung der Online-Industrie, die den mündigen (Online-)Bürger als Kern hat.

Über den Autor:
Matthias Wahl ist Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung der Vermarktungsgesellschaft OMS.