Tristan Horx: „Die Zukunft gehört dem Vierstundentag“

Tristan Horx vom Frankfurter Zukunftsinstitut hat sich als Experte für Generationen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit einen Namen gemacht. In seinen Thesen zum Megatrend New Work rückt die Sinnfrage in den Vordergrund, die Grenze zwischen Leben und Arbeiten verschwindet.
"Teamgeist und Teamkultur halten uns am Leben, wir sind soziale Wesen", sagt Tristan Horx. (© Zukunftsinstitut)

Herr Horx, in einem Wort: Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus?

Weniger. Es wird weniger von dem geben, was wir unter Arbeit heute verstehen: etwas Anstrengendes, Nerviges.

Warum weniger?

Weil die Automatisierung voranschreitet und monotone Tätigkeiten übernimmt. Produktivitätsstatistiken zeigen zudem, dass es in vielen Berufen sinnlos ist, Leute acht Stunden am Tag zur Arbeit zu zwingen.

Sie halten eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden für ausreichend. Dabei fehlen in Deutschland doch schon jetzt Arbeitskräfte?

Richtig, und das Problem wird sich noch verschärfen: Derzeit gehen doppelt so viele Menschen in Rente wie Neueinsteiger anfangen. Dadurch gewinnt die junge Generation Verhandlungsmacht. Es gibt eine Karikatur, in der ein junger Mann zum Abschluss eines Bewerbungsgesprächs zu den Arbeitgebervertretern sagt: Ihr seid in der engeren Auswahl. Arbeitgeber ohne attraktive Arbeitsmodelle werden Probleme kriegen. Freizeit als Gegensatz zu Arbeitszeit, als ob man den halben Tag im Knast sitzt – das wird nicht die Zukunft sein.

Und wenn dann Arbeit liegen bleibt?

Produktivität macht sich nicht an der Zahl abgesessener Stunden fest, jedenfalls nicht im Büro. Da wird es künftig nicht heißen: „Komm‘ morgen für sechs Stunden rein“, sondern: „Mach bitte diese oder jene Sachen fertig.“ Viele Menschen werden dann feststellen, dass sie das, wofür sie sonst acht Stunden brauchen, plötzlich in drei Stunden schaffen. Wir können 80 Prozent unserer Aufgaben in 20 Prozent unserer Zeit erledigen, das zeigen Studien.

Im Handel dürfte das schwierig sein, jedenfalls auf der Fläche.

Mir ist schon klar, dass es im Handel und in vielen sozialen Berufen eine Art Bereitschaftsdienst geben muss: Personal vor Ort, auch wenn zufällig kein Kunde kommt. Mir geht es aber vor allem darum, dass die meisten Unternehmen mit dem klassischen Achtstundentag eine Struktur haben, die effiziente Mitarbeiter bestraft und diejenigen belohnt, die nur so tun, als würden sie arbeiten.

Sie sagen den zunehmenden Einsatz künstlicher Intelligenz im Arbeitsleben voraus. Räumen künftig Roboter die Regale ein?

Eher wird es Regale geben, die sich selbst bestücken, oder Drohnen, die autonom liefern. Insgesamt ist der Handel von repetitiven Tätigkeiten geprägt, denken Sie nur an Kassiererinnen und Kassierer. Intelligente Maschinen können diese Arbeiten kostengünstig und gut erledigen. Es gibt bereits Versuche dazu…

… etwa Amazon Go oder Rewe Pick & Go.

Dabei geht es überhaupt nicht darum, dass der Einzelhandel stirbt, sondern dass die Leute kuratieren, beraten und bei der Kaufentscheidung helfen. Es ist doch für alle viel angenehmer, wenn Menschen das tun, was sie wirklich gut können – miteinander reden, Anteilnahme zeigen.

Sie glauben auch, dass Arbeitnehmer zunehmend die Sinnfrage stellen. Wie können Händler sie beantworten?

 Mitarbeiter im Handel haben ein unglaubliches Kommunikationstalent. Statt acht Stunden Regale einzuräumen, würden sie es sicher sinnvoller finden, vier Stunden dazu beizutragen, dass Kunden bessere und informierte Entscheidungen treffen.

Ein Vierstundenarbeitstag wäre für Arbeitgeber sehr teuer.

Die Automatisierung schafft Spielräume, auch finanziell. Strom wird dank erneuerbarer Energien perspektivisch kaum etwas kosten.

Zu Beginn der Coronapandemie galten Mitarbeiter im Handel als Helden. In der Versorgung der Bevölkerung steckt doch jede Menge Sinn?

Ohne Kassiererinnen, Lkw-Fahrer, Logistiker steht die Welt still, das wurde uns jetzt noch einmal sehr bewusst. Im Alltag wird diese Botschaft aber kaum vermittelt. Da heißt es eher, ihr seid hier, damit ihr eure Miete bezahlen könnt.

Kann gute Führung Sinn stiften, indem sie den Teamgedanken stärkt?

Teamgeist und Teamkultur halten uns am Leben, wir sind soziale Wesen. Heute erschöpft sich Teamgeist leider oft darin, dass alle den fiesen Vorgesetzten hassen. Ich fürchte, das ist auch im Handel häufiger der Fall, als sich viele eingestehen.

Perspektivisch betrachten Sie Arbeitszeit als flexibles Lebenszeitkontingent, das Mitarbeiter kürzer oder länger gestalten können. Wie sollen Unternehmen da ihren Personalbedarf planen?

Wenn ein Unternehmen nur junge Mitarbeiter rekrutiert, die alle um die 30 wegen der Kinder ihre Arbeitszeit reduzieren wollen, gibt es natürlich ein Problem. Die Lösung besteht darin, Menschen aus verschiedenen Altersgruppen einzustellen. Das ist ohnehin eine gute Idee, weil Diversität bessere Ergebnisse bringt.

Zugleich propagieren Sie Work-Life-Blending, eine Entgrenzung zwischen Arbeits- und Berufsleben. Ist das wirklich attraktiv für junge Leistungsträger?

Es geht darum, die Bereiche sinnvoll zu vermengen. Nicht gemeint ist ein Modell, bei dem Leistungsträger acht Stunden absitzen und außerdem bis Mitternacht für den Chef erreichbar sein sollen. Das will heute niemand mehr. Anders sieht es aus, wenn es um vier Stunden geht und um eine Tätigkeit, die erfüllend ist und Spaß macht. Dann ist die Empfindung nicht: „Die Arbeit hetzt mich herum“, sondern: „Geil! Ich habe heute eine gute Erfahrung gehabt.“

Wenn Arbeit vor allem Spaß machen soll: Wer übernimmt Tätigkeiten, die unangenehm und schmutzig sind – Putzen zum Beispiel?

KI-gesteuerte Maschinen, die Toiletten reinigen können, gibt es schon. In einigen Krankenhäusern desinfizieren Drohnen die Zimmer mit UV-Licht. Das wird immer stärker ausgebaut werden. Und wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die Maschinen tatsächlich nicht machen können, haben Arbeitnehmer mehr Verhandlungsmacht und werden höher entlohnt.

Dieser Text erschien zuerst im Handelsjournal.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.