„Die Zeitung ist kein Stück Papier, sondern definiert sich über ihren Inhalt“

Über die Ergebnisse der Mediaanalyse, die Rolle der Zeitung angesichts veränderter Mediennutzung und ihre Imagedefizite bei Mediaplanern spricht Gerhard Müller im Interview mit absatzwirtschaft-Online. Müller ist Vorstand Tageszeitungen der Arbeitsgemeinschaft Mediaanalyse (ag.ma) und Gesamtanzeigenleiter der Rhein Main Presse in Mainz.

Was ist für Sie die wichtigste Erkenntnis aus der aktuellen Media-Analyse?

GERHARD MÜLLER: Die gedruckten Tageszeitungen in Deutschland erreichen zusammen täglich rund 48 Millionen Menschen und sind damit allen Unkenrufen zum Trotz ein enorm reichweitenstarker Werbeträger. Ein Medium, das von 68,4 Prozent der Bevölkerung gelesen wird, ist kräftig und gesund.

Im Vergleich zum vergangenen Jahr weisen die regionalen Zeitungen rund 900.000 Leser weniger auf. Haben Sie mit einem Rückgang in dieser Höhe gerechnet?

MÜLLER: Das entspricht einem Minus von rund zwei Prozent und bewegt sich im Rahmen unserer Erwartungen, da auch die Gesamtauflage in dieser Höhe nachgegeben hat. Trotz veränderter Mediennutzung und Wettbewerbssituation behauptet das Printmedium Zeitung seine führende Rolle.

Sie behaupten, dass die Reichweite der Zeitungen nicht gesunken ist, sondern sich zunehmend ins Internet verlagert hat. Das ist eine pfiffige Interpretation, ändert aber nichts daran: Der Werbeträger Zeitung verliert an Kraft.

MÜLLER: Der Wandel der Mediennutzung, wie gerade angesprochen, wirkt sich ja nicht nur auf die Zeitung, sondern auf alle klassischen Medien aus. Auch Fernsehen, Radio und Zeitschriften sind davon betroffen. Worauf es mir in der Argumentation ankommt: Die Zeitung ist kein Stück Papier, sondern definiert sich über ihren Inhalt, ganz unabhängig von ihrer Ausgabeform. Entscheidend ist nicht, ob sie auf Papier, im Internet, auf Smartphones oder Tablets daherkommt, sondern dass sie als klar verankertes Informationsmedium genutzt wird. Zusammen genommen, also in Print und in allen weiteren medialen Formaten, erreichen viele Zeitungen heute mehr Menschen als je zuvor.

Bei Mediaplanern gilt die Zeitung oft als Medium von gestern, auch wenn sie im Wettbewerb der Werbeträger noch immer eine gute Rolle spielt. Woher kommt das?

MÜLLER: Offensichtlich gibt es da Imagedefizite. In den Köpfen hat sich wohl verfestigt, dass Auflage und Reichweite der gedruckten Zeitungen rückläufig sind. Das ist, wie gerade ausgeführt, zu kurz gedacht. Wir müssen die Stärken der Zeitung als Content-Anbieter wohl noch mehr betonen und ihre besondere Leistungsfähigkeit herausstellen.

Was sind denn die drei wichtigsten Vorzüge der Zeitung für Werbungtreibende?

MÜLLER: Über die Zeitung lässt sich schnell eine hohe Reichweite aufbauen, wie es kaum ein anderes Medium schafft. Durch die exakte Abgrenzung von Belegungseinheiten ist eine punktgenaue, regionale Aussteuerung in klar definierbare Absatzmärkte garantiert. Und schließlich liefert die Zeitung aufgrund ihrer Leserschaft, ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer redaktionellen Stärke eine hohe Kontaktqualität, was die Werbewirkung positiv beeinflusst.

Mediaagenturen scheinen davon nicht restlos überzeugt zu sein.

MÜLLER: Die Mediaplanung von Tageszeitungen wird bisweilen als aufwendig betrachtet, was unter anderem daran liegt, dass die Zahl der Vermarkter höher ist als bei anderen Gattungen. Deshalb ist das Thema einer nationalen Zeitungsvermarktung durchaus von hoher Bedeutung. Hinsichtlich der Agenturen spielen in der Medienauswahl möglicherweise auch Eigeninteressen eine Rolle, wenn sie beispielsweise eigene Online-Vermarktungsfirmen betreiben.

Auflage und Reichweite der Zeitungen sinken seit Jahren. Glauben Sie an eine Trendwende?

MÜLLER: Wenn wir Print- und Online-Reichweite zusammen ausweisen, wird schon heute eine Trendwende deutlich sichtbar. Die gedruckte Zeitung allein wird wohl auch in den nächsten Jahren um stabile Auflage und Reichweite kämpfen müssen. Wir befinden uns eben in einem anhaltenden Transformationsprozess – und zugleich auf einem guten Weg, online neue und jüngere Zielgruppen zu erreichen.

Das Gespräch führte Roland Karle.