„Die Werbebranche ist selbst Schuld“

Die deutschen Onlinewerber schauen mit Sorge nach Berlin und Brüssel: Droht eine weitere Verschärfung der Datenschutzregeln dahingehend, dass für jegliches Setzen von Cookies eine Einwilligung des Nutzers erforderlich wird? Matthias Ehrlich, Präsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft, sieht Bedarf an einer Weiterentwicklung der Cookie-Regeln. Vor allem aber sieht er die Politik in der Pflicht, Europas Datenschutzansatz zu harmonisieren.

Herr Ehrlich, sterben Cookies demnächst aus?

MATTHIAS EHRLICH: Ich glaube, nicht. Das Thema muss ergänzt werden, weil es mit Mobile und der möglichen Verknüpfung zu CRM neue Herausforderungen zu bewältigen gilt. Es ist eine Weiterentwicklung. Das Cookie wird für längere Zeit noch eine wesentliche Rolle spielen.

Gibt es in Deutschland Praktiken, die nach stärkerer Regulierung im Bereich Cookies verlangen?

EHRLICH: Ja, wir haben die Situation, in der Missbrauch geschieht und geschehen kann. Wenn Missbrauch geschehen kann, muss die Politik prinzipiell auch eingreifen. Diese Diskussion ist aber auch für die Industrie wichtig. Wir brauchen gemeinsame Verfahrensgrundlagen. Das Internet ist in vielen Fällen bis auf den heutigen Tag „Wilder Westen“. Viele Protagonisten goutieren genau das, aber 60 oder 70 Prozent der Bevölkerung haben eben keine Zeit, sich als Nerds oder Freaks durch das Internet zu schlagen, und die brauchen etwas, was genauso zuverlässig ist wie das Straßenverkehrssystem. Neben den Gesetzen muss es aber auch Regeln geben, die die Businessethik bestimmen. Diesen Schritt haben wir als Industrie leider zu spät gemacht. Nicht der BVDW, der hat schon vor fünf Jahren mit dem Konzept des Deutschen Internet Rats gesagt: Wir müssen etwas in Richtung Selbstregulierung tun. Gerade PRISM zeigt, wie unterschiedlich die Länder das Thema wahrnehmen. Die Haltung der US-Amerikaner in Details ist a priori gar nicht zu kritisieren, das ist ihr Verständnis von Datenschutz, aber sie kollidiert mit unserem europäischen Verständnis und teilweise sogar mit dem Grundgesetz. Wir selbst als Industrie müssen der Politik Lösungen anbieten.

Das hört sich sehr moderat an. Hat nicht Matthias Ehrlich eher drastisch darauf hingewiesen, dass eine scharfe Cookie-Regulierung die Inhalteanbieter massiv bedroht?

EHRLICH: Nein. Das ist weiterhin meine Meinung und hat sich sogar geschärft. Gerade jetzt wird sichtbar, was für Schäden das anrichten kann, das sehe ich bei den Angeboten von United Internet und höre Gleiches von Kollegen zum Beispiel von Zanox und Affilinet. Ich meine aber, dass wir als Teilnehmer in dieser rasend schnellen Industrie den Wissensvorsprung, den wir haben, nutzen müssen, um Themen, von denen man genau weiß, dass sie kommen werden, auf die Agenda zu heben. Wir kannten die Möglichkeit des Missbrauchs. Wir lassen als Industrie Sachen zu, die nicht ordnungsgemäß sind. Wir hätten die ganze Optin-Verschärfung ja gar nicht, wenn wir für dieses fantastische Modell, das wir in Deutschland mit den Datenschützern entwickelt haben, nämlich die Kombination von Optout und Pseudonymisierung, geworben hätten. Davon wusste man in Brüssel zu Beginn der Diskussion gar nichts. Das ist ein Fehler unserer Industrie. Und jetzt droht die Quittung: ein System, das das Gegenteil erreichen würde, was eigentlich das Ziel sein sollte, nämlich Transparenz zu schaffen. Und das gleichzeitig die Werbeindustrie nachhaltig schädigen würde.

Kann man das Rad ein Stück zurückdrehen und die Aufklärung nachholen?

EHRLICH: Ich glaube, BVDW und IAB Europe haben hier in den vergangenen zwei Jahren gute Arbeit geleistet. Vor zwei Jahren standen wir auf verlorenem Posten. Alles bewegte sich in Richtung Optin. Das hat sich geändert, Pseudonymisierung ist auf der Liste. Die deutschen politischen Vertreter in Brüssel haben das Thema verstanden und sehen es als guten Kompromiss. Jetzt müssen wir aber warten, bis sich der Nebel der großen Koalition lichtet.

Muss man Cookies von Drittanbietern anders behandeln als die vom Publisher selbst?

EHRLICH: Da muss man sehr genau trennen. Grundsätzlich ist eine Privilegierung der 1st-Party-Cookies nachvollziehbar. Aber bei den 3rd-Parties muss man unterschieden. Es gibt in allen Branchen Beauftragungsszenarien, wo der eigentliche Vertragspartner des Endkunden einen Teil seiner Dienstleistung durch Dritte erfüllen lässt. Trotzdem bleibt er Vertragspartner. Und das ist im Internet nicht anders. Unzählige kleine spezialisierte Websites haben doch gar keine anderen Refinanzierungsmöglichkeiten als 3rd-Party-Dienste wie Affiliate-Angebote. Und große Netzwerke wie Zanox oder Affilinet werden sehr sorgfältig geprüft. Hier muss der Publisher eine Möglichkeit haben, sie als seine Dienstleister zu kennzeichnen und für sie pauschal ein Optin einzuholen.

Insellösungen von Apple, Google oder Facebook machen die Welt aber noch viel komplizierter für Publisher, Werber und Politik.

EHRLICH: Ich bin sehr erstaunt, wie schnell und holzschnittartig die Politik bei vermeintlichen Datenskandalen mit dem Finger auf die Industrie zeigt, um dort radikale Lösungen zu fordern. Gleichzeitig reagiert die Politik kaum auf PRISM, um diesen Angriff abzuwehren, und kapituliert nicht nur vor einem mächtigen Staat, sondern auch vor einzelnen Industrieunternehmen. Der Staat muss in der Lage sein, seine Rechte und die seiner Bürger durchzusetzen. Und das, was Apple macht, und was ein Mozilla tun würde, ist zu entscheiden, wer gut oder böse ist. Das darf nicht sein. Wer Infrastrukturbedeutung hat, wie die Browseranbieter, darf nicht selbst entscheiden, was erlaubt ist, und was nicht, sondern er muss das den lokalen Regeln überlassen.
Wir reden bereits mit Mozilla und haben sie darauf hingewiesen, dass sie vor allem auch kleine und mittelständische Unternehmen schädigen würden. Option wäre auch, das über eine neutrale Zertifizierung zu lösen. Genauso wenig darf und soll Apple über mein Nutzerleben entscheiden. Es ist nicht deren Aufgabe, mit einem vermeintlichen Gutmenschenansatz Richter zu spielen über Gut und Böse. Das war bei Microsoft und Windows nicht richtig und ist es hier auch nicht.

Wo sehen Sie aktuellen Handlungsbedarf, was würden Sie der großen Koalition auf den Weg geben?

EHRLICH: Sie sollen das, was wir in Deutschland bereits gemeinsam entwickelt haben, in Brüssel vehement vertreten. Auch im laufenden Verfahren können wir Anpassungen vornehmen, so dass wir nicht bei einem absoluten Optin landen. Außerdem wäre es schön, wenn die Bundesregierung ein Konzept einer strategischen Datenpolitik erarbeitet. Datenschutz ist nur ein Teil davon. Es geht um Daten als Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Wir Deutschen sind mit Schuld daran, dass die Angst um den Datenschutz größer ist als die Freude über die Chancen der Datennutzung. Das gilt es zu ändern.

Das Gespräch führte Frank Puscher.

Lesen Sie mehr über „Die Angst vor Cookies“ in der aktuellen Ausgabe 1/2-2014 der absatzwirtschaft: www.absatzwirtschaft-shop.de.