Die virtuelle Verführung kennt keine Grenzen

Die analoge Welt ist schon lange nicht mehr genug: Her mit Augmented Reality. Was die Branche als nächsten großen Hype handelt, birgt tatsächlich riesige Potenziale – für Unternehmen und Nutzer gleichermaßen.

Bereits seit einigen Jahren wird Augmented Reality (AR) als nächster großer Hype der Werbebranche gehandelt. Dahinter verbirgt sich die Möglichkeit, Produkte computergestützt anzureichern mit Informationen oder interaktiven Anwendungen. Benötigt wird eine Kamera, die den Gegenstand, der erweitert werden soll, erkennt. Mithilfe einer Tracking- und einer Anwendungssoftware wird dann das gewünschte Programm auf einem stationären oder mobilen Endgerät gestartet.

Beim Lesen einer Zeitschrift kann so beispielweise mit einem Klick eine 3D-Tour durch die im Text beschriebenen historischen Orte gestartet werden. Wer das Cover einer CD unter einer Webcam platziert, hält plötzlich eine 3D-Bühne mit der Band in der Hand und kann bei einem Live-Auftritt zuhören.

Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Marketingexperten sehen vor allem in Smartphones und Tablet-PCs die Chance, AR in den Verbraucheralltag zu integrieren. „Ich würde behaupten: Das Thema hat es gerade erst wirklich auf die Agenda geschafft, die Potenziale sind riesig und noch nicht ansatzweise ausgeschöpft“, sagt Christopher Bouveret, Geschäftsführer von „buena la vista interactive“, einer Agentur für interaktives Marketing. Die AR-Nachfrage habe sich für seine Agentur in den vergangenen zwei Jahren nahezu verdoppelt.

Location Based Services

Da die Nutzung der Services intuitiv ist und den Anwendungsmöglichkeiten kaum Grenzen gesetzt sind, erscheine AR auch für mittelständische Unternehmen interessant, so Prof. Thomas Urban von der FH Schmalkalden, der im Bereich AR-Marketing forscht: „Entscheidend ist, ob AR zur Kommunikationsstrategie, dem Produkt oder der Dienstleistung und der Nachfragergruppe passt.“

Vor allem in der Verbindung von Smartphones und Location Based Services (Ortserkennung) eröffnen sich auch für lokal agierende Unternehmer interessante Einsatzgebiete. Mit Blick auf die Finanzierbarkeit für mittelständische Unternehmen gibt Christopher Bouveret zu bedenken: „Es muss eingehend geprüft werden, ob gegebenenfalls Lizenzkosten für proprietäre Software anfallen, um das Projekt umzusetzen. Bei einfachen AR-Anwendungen, zum Beispiel in einem mobilen AR-Browser wie Junaio, Layar oder Wikitude, entfällt dies allerdings.“

Virtuelle Motorsägen

Für Nutzer sind die Smartphone-Apps, die AR einsetzen, von hohem Nutzen. Sie können sich auf diese Weise schnell einen Überblick etwa über Restaurants in ihrer Nähe verschaffen und schon vorab vom Smartphone aus auf Speisekarten zugreifen. Mobile Marketingplattformen zeigen im Display Geschäfte in der unmittelbaren Umgebung, die an Rabattaktionen teilnehmen und den Nutzer damit zum Besuch animieren.

Der Rasen- und Gartenbedarfhersteller Husqvarna setzte bei der Agritechnica schon 2011 auf AR in einer stationären Variante: Auf dem Messegelände konnten Besucher virtuelle Motorsägen ausprobieren. Sie steuerten das Gerät, indem sie eine Platte mit Griffen hielten, wie sie bei einer Motorsäge typisch sind, und diese vor einem Monitor bewegten, auf dem Baumstämme zu sehen waren. Je nach Geschicklichkeit konnten die Besucher sich über ihre Erfolge beim Baumstämme zerkleinern freuen.

„Da wir in der Messehalle nicht mit Benzinmotorsägen arbeiten können, unseren Besuchern aber das Erlebnis einer Motorsäge präsentieren wollten, war AR das Mittel der Wahl“, berichtet Heribert Wettels, Public Relations Manager von Husqvarna Deutschland. Das Unternehmen schließt etwaige Wiederholungen nicht aus: „Die Aktion auf der Messe war wirklich ein Erfolg. Wir haben sehr viele Teilnehmer gehabt. Die Möglichkeiten von AR sind nahezu unerschöpflich. Das heißt, man muss die eigene Kreativität walten lassen. Da fällt uns sicher noch viel ein.“

Wer sich für die moderne und interaktive Werbeform entscheidet, muss investieren. Denn AR ist zwar eine innovative Marketingform, aber in der Regel keine günstige. Zwar gibt es Varianten für kleinere Budgets, wenn über AR nur Texte oder Bilder hinterlegt werden, doch dann hält sich auch der Nutzwert für den Kunden in Grenzen. Werden eigene Inhalte, zum Beispiel Videos, produziert, ist der Kostenaufwand schnell deutlich höher.

Finanzieller Aufwand

„Eine einfache Anwendung kostet ungefähr 5.000 Euro aufwärts“, berichtet Christopher Bouveret. „Je nachdem für welches Medium, ob für das Internet, mobile oder stationäre Anwendungen an einem Terminal konzipiert, liegen die Kosten eher zwischen 20.000 bis 30.000 Euro. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt sind, da insbesondere im Bereich Echtzeit-3D-Modeling, Animation und Spielmechanismen schnell ein relativ hoher Aufwand entstehen kann.“

Umso interessanter wäre es für Unternehmen, auf verlässliche Zahlen zum Interesse der Verbraucher an AR zugreifen zu können. Doch bisher ist die Forschung erst in den Anfängen. Prof. Dr. Heike Simmet von der Hochschule Bremerhaven führt zurzeit gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Urban eine empirische Studie zum Verbraucherinteresse durch.

Simmet ist vom Nutzen der AR jedoch schon jetzt überzeugt: Denn der Verbraucher erhalte dadurch einen subjektiven oder objektiven Mehrwert zum Produkt. „Doch es geht um mehr als nur um Information“, betont Simmet. AR-Features könnten schon aufgrund ihrer Innovationsträchtigkeit auf eine starke Nachfrage treffen: „Alleine aus dem Interesse an der AR-Anwendung entsteht seitens des Kunden eine erhöhte Bereitschaft zum Konsum und zum Verbreiten einer gewünschten Botschaft.“
„Es werden sich spezielle Anwendungsfelder herauskristallisieren“, zeigt sich Urban überzeugt. Ein Problem sieht er weniger beim Nutzerinteresse als beim Datenschutz: „Die Frage ist, inwieweit Einschränkungen des Datenschutzes, zum Beispiel bei der Verwendung von Gesichtserkennung, Einsatzfelder für AR ausschließen.“ Die Technik befinde sich zudem weiter in der Entwicklung.

Als nächste Entwicklungsstufe sieht Christopher Bouveret den Einsatz von Seethrough-AR-Brillen. Google plant, eine Brille noch in diesem Jahr auf den Markt zu bringen. Der Markt ist in Bewegung. Dass AR an Bedeutung verlieren wird, ist nicht zu erwarten.

von Paul Henkel Quelle: Creditreform-Magazin