Die Renaissance des Regionalen

Verbraucher präferieren zunehmend einheimische Anbieter und Produkte, nicht zuletzt weil Vertrauen und Vertrautheit bei Kaufentscheidungen in den Vordergrund rücken. Das hat auch spürbare Folgen für nationale Marken – und stärkt den Trend zum Local Branding.

von Roland Karle

Auf dem Bierdeckel prangt ein heißer Spruch: „Meine größte Flamme ist die Feuerwehr“. Darunter abgebildet sind die Logos der Freiwilligen Feuerwehr Limbach und der Badischen Versicherungen (BVG), dazu ein Foto von Kundenbetreuer Dominic Müller, zitiert mit der Aussage: „Privat und in der Gemeinde gilt: Wer sich optimal abgesichert weiß, kann die besten Feste feiern.“ Müller und die BVG setzen sich rund um das Feuerwehrfest in der Odenwald-Gemeinde prominent in Szene, etwa auf dem großen Werbebanner („Willkommen zu unserem Feuerwehrfest“), auf DIN-A2-Postern, in gedruckten Anzeigen und auf originell gestalteten T-Shirts („Profis am Brandherd“).

Wo früher zum Jubiläum meist Werbung von der Stange – etwa eine standardisierte Anzeige für die Festschrift – gemacht wurde, zeigen Marken im lokalen und regionalen Umfeld heute zunehmend professionelle, personalisierte Facetten. „Local Branding ist der neue Marketing-Trend“, betont Jürgen Ruckdeschel, Geschäftsführer der Eberner Marketing-Agentur Marcapo, die sich konsequenterweise im Untertitel „The Local Branding Group“ nennt. Die Idee hinter dem Konzept: Absatzmittler und Vertriebspartner, also zum Beispiel Shop-Betreiber, Versicherungsvertreter, Apotheker und Handwerker, sollen zielgerichtet in die Vertriebskommunikation der Absenderfirma integriert und als lokale Marke gestärkt werden. „Local Branding macht diese Menschen als Markenbotschafter vor Ort erfolgreich“, ist Ruckdeschel überzeugt, „denn der persönliche Kontakt zum Endkunden gewinnt immer mehr an Bedeutung“. Zentral steuern, lokal handeln – so lautet, kurz gesagt, die Formel.

Ein Trend, der sich verfestigt, wie Andreas Haderlein weiß. „Dezentrale Kundengewinnungsstrategien lösen das schwerfällige Handelsmarketing von oben ab“, so die Beobachtung des Spezialisten aus dem Kelkheimer Zukunftsinstitut. In seiner Studie „Sales Design“ beschreibt er unter anderem, dass einheimische Produkte bei Verbrauchern eine wachsende Nachfrage auslösen. „Der Trend zur Regionalisierung und Lokalisierung kennt keine Grenzen.“ Der hat mit dem Revival der Dorf bäckerei und des Bio-Ladens von nebenan begonnen, wurde aber längst auch von anderen Branchen übernommen. Inzwischen gibt es sogar „Original-Regional“-Zertifikate für Baumärkte, Handwerksbetriebe und weitere Dienstleister.
Sogar beim Kauf von Tiefkühlkost ist laut einer Infratest-Umfrage mehr als 40 Prozent der Befragten die regionale Herkunft der Ware wichtig. Die Marke Iglo folgt dem Trend, indem sie mit regionalen Landwirten zusammenarbeitet. Dem Käufer wird versprochen, dass sein Gemüse spätestens fünf Stunden nach dem Ernten vom Feld in die Verpackung kommt. „Die Renaissance der Region ist eine Reaktion auf die Übersättigung der Märkte. Die Ladenkonzepte von morgen müssen Vertrauen und Vertrautheit erzeugen“, so Haderleins Fazit.

Was heißt das für die Kommunikation vor Ort? Die Nürnberger Marketingexperten von Icon Added Value haben sich diesbezüglich eingehend mit der Entwicklung in der Versicherungsbranche beschäftigt. Die Ausgangsposition: Seit Jahren verharrt die spontane Werbeerinnerung von Versicherungsmarken bei durchschnittlich zwei pro Befragtem. Und: Die gefühlte Loyalität gegenüber Allianz & Co ist von 2003 bis 2009 um durchschnittlich 13 Prozent gefallen. Daraus leitet Jürgen Breitinger, Managing Director bei Icon Added Value, zwei Stoßrichtungen für die Anbieter ab: Noch mehr Druck mit relevanten Botschaften ausüben und die Bedeutung eines Dritten als Türoffner nutzen, das heißt vor allem die Vermittler vor Ort zu stärken.
Es geht also darum, Marke und Vertrieb enger zu verzahnen. Wer sich für den Abschluss einer Versicherung entscheidet, ist zuvor meist auf mehreren Informationspfaden unterwegs. Er kontaktiert seinen bisherigen Anbieter, recherchiert im Internet, wendet sich an seinen Berater, fragt Bekannte, liest Fachzeitschriften. „Hier müssen Marken zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein“, so Breitinger. Hinzu kommt, dass die Bedarfssituation des Kunden höchst unterschiedlich ist: Der eine zum Beispiel erwägt ernsthaft einen Wechsel seiner Versicherung, der andere ist mit dem Status quo zufrieden, der nächste beschäftigt sich das erste Mal mit dem Thema. „Je nach persönlichem Kontext hat der Verbraucher höchst unterschiedliche Präferenzen“, so Breitinger.

Marketing-Manager überschätzen bisweilen die Wirkkraft der eigenen Marke – und unterschätzen, wie wichtig die persönliche Präsenz vor Ort ist. Neben dem Vermitteln des konkreten Nutzens müsse der Multiplikatoreffekt des Vertriebs ausgeschöpft werden, betont Breitinger. „Es ist ein Privileg einer Marke, wenn sie im Alltag des Einzelnen berücksichtigt wird.“ Eine Erfahrung, die Thomas Ötinger aus der täglichen Praxis nur zu gut kennt. Speziell im Versicherungsgeschäft, so der Marcapo-Geschäftsführer, „spielt der Wohlfühlfaktor des Kunden für einen Vertragsabschluss eine große Rolle“. Hier kommt Dominic Müller und sein praktiziertes Feuerwehr-Marketing wieder ins Spiel. Der Vertriebsmann profitiert vom Local-Branding-Konzept der Badischen Versicherungen, die ihren Vermittlern über das Portal „Mein BGV-Marketing“ Zugriff auf ein breites Angebot an Werbemodulen ermöglicht.

Von der klassischen Anzeige, Zeitungsbeilagen und Bandenwerbung über Fahrzeugbeschriftung, Trikotwerbung und Großplakate bis hin zu Mailings, Streumitteln und Direktverteilung – das Kommunikationsbuffet ist groß. Und vor allem: Die Werbemaßnahmen lassen sich einfach per Klick individualisieren. Das Ziel der BGV, die Bekanntheit rasch zu erhöhen bei schonendem Budgeteinsatz, geht offensichtlich auf. Wenige Monate nach dem Start des Werbeportals greifen bereits drei Viertel aller Vermittler darauf zu – mit allenfalls halb so vielen hatte man gerechnet. Für Ötinger ein klarer Beleg für den erfolgreichen Ansatz, „Marken lokal relevant, authentisch und persönlich zu machen“.

Weil gerade im regionalen Markt die Werbebudgets selten üppig ausfallen, leidet darunter leicht die Kommunikationsvielfalt. Doch im lokalen Marketing funktioniere eine Monostrategie analog zu nationalen Kampagnen kaum mehr, erklärt Axel Ahlbrecht, Unit-Direktor Local plus bei der Düsseldorfer Agentur Crossmedia. „Reine Abverkaufswerbung durch Prospekte und Anzeigen reicht nicht aus.“ In der Mediaplanung nimmt das Internet zunehmend mehr Raum ein. „IP-Targeting, lokale Selektion über Themenportale und dergleichen haben ihren Platz bereits gefunden, aber auch eine Verlagerung der klassischen Beilage in Online zeigt sich, siehe Portale wie Kaufda.de oder Allesnebenan. de“, so Ahlbrecht. Zugleich warnt er, blind jedem Trend hinterher zu hecheln. Entscheidend sei die Messung und das Zusammenspiel von Off line und Online. „Die grundlegenden Faktoren der lokalen Mediaplanung wie Streuverluste, Aussteuerbarkeit, Verfügbarkeit und Zielgruppeneignung, werden durch die crossmediale Verzahnung um den Punkt ,Zusammenspiel’ ergänzt.“

In der regionalen Marketing-Planung hat nach wie die Außenwerbung einen festen Platz. So sind Outlets ab 1500 Quadratmeter Verkaufsf läche mit Plakatwerbung direkt im Umfeld oder auf den Zufahrtswegen erreichbar. Filialen überregionaler Anbieter können von einer nationalen Markenkampagne besonders profitieren, indem sie spezielle Informationen zu Sonderaktionen oder ihre Händleradresse einklinken. „Im Grunde kann jede Form von Plakatwerbung regional genutzt werden – angefangen von Großf lächen, Litfasssäulen und City-Light-Postern über Werbung auf Uhren, Fahrradständern bis hin zur Verkehrsmittelwerbung auf Bussen und Straßenbahnen“, sagt Alexander Stotz, Geschäftsführer von Ströer Deutsche Städte Medien.

Out-of-home-Medien können auch im buchstäblichen Sinne wegweisend sein, etwa als Mastwerbung, Uhrenwerbung, Fahrradständer oder Firmenwegweiser. Möglich ist zudem, klassische Medien wie Großf lächen, Mega-Lights, Säulen oder City-Light- Poster zu Hinweismedien umzufunktionieren. „Aus einem 2b-Standort, der fernab der Hauptverkehrsstraßen oder Fußgängerzonen liegt, kann dadurch ohne großen Aufwand ein 1a-Standort gemacht werden, wie er sonst nur in Stadtzentren mit Lauf kundschaft zu finden ist. Das spart hohe Raummieten“, so Stotz. Ein Prinzip, das zum Beispiel McDonalds für seine Filialen in der Peripherie der großen Städte mit Erfolg praktiziert.