Office-Kultur: die Maslowsche Bürobedürfnis-Pyramide

Twitter-Mitarbeiter dürfen jetzt für immer von zu Hause arbeiten. Facebook und Google verlegen die Arbeit bis Ende 2020 ins Home-Office. Erste Start-ups werden gegründet, um das Home-Office optimal auszustatten. Ist das Büro, wie es vor Covid-19 war, am Ende? Warum es egal sein sollte, wo wir arbeiten, und warum es trotzdem gute Gründe für die Arbeit im Büro gibt, schreibt Tobias Spörer in seiner Kolumne.
Office
Isolation im Home-Office?! Das Büro wandelt sich vom Raum, der exklusiv für die Arbeit bestimmt ist, zu einem Ort der Begegnung. Für die Sozialisierung mit den Kollegen, face to face. (© Imago)

Bis weit in die 90er-Jahre war das Büro schlicht ein Raum zur Ausführung der Arbeit. Während die Blaumänner an den Werkbänken der Republik beschäftigt waren, gingen die Weißhemden im drögen Büro ihrem Tagwerk nach. So verbrachten unsere Eltern und Großeltern einen Großteil ihres Lebens auf Maloche. Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir übrigens, das wird Ihnen jeder Matratzenverkäufer erzählen, in unserem Bett. Wer also aus aktuellem Anlass auch gerne von dort aus arbeitet, hat hoffentlich gut investiert.

The Temple

Dem öden Arbeitsdasein im Büro sollte spätestens mit der New Economy Anfang der 2000er ein Ende gesetzt werden. Diese Entwicklung wurde mit dem Platzen der Dotcom-Blase nur kurz pausiert. Büros wanderten von den Außenbezirken in die hippen Stadtteile, Meetingräume wichen Collab Spaces, das Essen (oftmals ein an Körperverletzung grenzender Kantinen-Klumpatsch) wurde gesund, frisch und oftmals sogar lecker. Wer noch mehr auf sich hielt, legte Kickertisch, Dartscheibe, Yogakurse, Dienstfahrräder, Filmabende, BBQ auf der Dachterrasse, eigenes Fitnessstudio und Schlafräume obendrauf. Spätestens mit dem Bier ab vier sollte der Arbeitsplatz zum Wohlfühlort werden.

In vielen Branchen wurde das Arbeitsumfeld zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil im Ringen um die besten Talente: Wir bieten dir einen Arbeitsplatz, den du nie mehr verlassen möchtest und schon gar nicht musst. Außer vielleicht an Weihnachten oder Mamas rundem Geburtstag – natürlich nur, wenn du willst.

Im Bett mit den Kollegen, allein.

Mit Covid-19 wurden diese Faktoren von heute auf morgen völlig irrelevant. Das hippste Office, die beste Kantine, die geilste Dachterrasse – unbedeutend. Im Home-Office zählen plötzlich wieder die unteren Stufen der Maslowschen Bürobedürfnis-Pyramide. Die Anforderungen beschränken sich wieder auf das Wesentliche: einen guten Stuhl, ein wenig Ruhe und schnelles Internet.

Zugegeben, wir haben gut reden. Die Digital Economy hat das große Glück, dass wir unsere Prozesse on- wie offline komplett abbilden können und somit Home-Office für uns schon lange funktioniert. Arbeiten ist hier zwar anders und vielleicht auch stellenweise umständlicher, weil nichts schnell über den Tisch gerufen werden kann, aber oft effizienter, weil Konzentrationsphasen – vorausgesetzt, die Kinder sind in der Schule und Kita – ohne Störung besser umzusetzen sind. Was dabei fehlt, ist das Zwischenmenschliche. Die Inspiration und neuen Impulse, die aus Zufällen und Spontanem hervorgehen. Die Dynamik eines realen Meetings, die langen Tage im Workshop, die gemeinsam durchgearbeitete Nacht vor dem Pitch, der Plausch an der Kaffeemaschine oder das gemeinsame Feierabendbier. Corona macht uns unser Bedürfnis nach realer zwischenmenschlicher Nähe schmerzlich bewusst. Ein virtuelles Gegenüber kann unser Bedürfnis nach sozialer Nähe ein wenig befriedigen – aber wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass es eben doch nicht das Gleiche ist, erst recht nicht langfristig.

Genauso verhält es sich mit dem Büro als Raum. Es prägt das Bild eines Unternehmens wesentlich, für Kunden wie auch für die Angestellten. Kann die Identität eines Unternehmens für die Beschäftigten komplett online gestaltet, erhalten oder sogar neu geschaffen werden? Kann eine Unternehmenskultur, die bisher sehr stark im real existierenden Raum geprägt wurde, bestehen bleiben, wenn alle remote arbeiten? Brauchen wir dazu nicht den „Tempel“, um die Kultur zu leben, das Image zu pflegen, um zu meeten, zu feiern? Der zwischenmenschliche Faktor, man denke alleine ans Onboarding neuer Kollegen, wird durch das Fehlen eines gemeinsamen Büros erheblich beeinflusst.

Ein Unternehmen ganz ohne Büroräume ist nur schwer vorstellbar, denn niemand will das Büro als einen prägenden Faktor für das Leben im Unternehmen verlieren. Dennoch haben wir durch derartige Krisen die Chance, uns zu fragen, welche erzwungenen Veränderungen vielleicht auch durchaus positiven Einfluss auf unser Arbeiten haben und welche davon es wert wären, sie post-Corona mit in ein „New Normal“ zu nehmen.

Mehr Zeit, veränderte Kostenstruktur

Die Zeitersparnis kann immens sein. Auch wenn wir uns das Gegenteil noch so oft einreden wollen, der Podcast-gespickte Weg zum Büro und zurück stresst. Er verbraucht Zeit und Nerven. Hingegen ist der Weg vom Bett über das Badezimmer und die Küche ins Home-Office sehr entspannt. Kein Stau, kein Regen, kein schlechtes mobiles Internet, keine unerträgliche Hitze beim Warten auf die Bahn, die nicht kommt. Ganz im Gegenteil: Zeit für ein Frühstück mit den Liebsten, Feierabend, der direkt nach der Arbeit beginnt.

Ein weiterer Aspekt sind sinkende Kosten für Büroflächen. Schon vor Corona war Shared Desk ein heißes Thema. 50 Prozent des Office-Platzes bei gleicher Firmengröße sparen – da bekommt nicht nur der Controller leuchtende Augen. Ein Office, das vom festen Arbeitsplatz zum gelegentlichen Treffpunkt wird, hat dieses Einsparpotenzial sicher. Dem jetzt Beifall klatschenden CFO sei aber auch gesagt, dass der Arbeitgeber dann auch in der Verantwortung steht, für ein funktionierendes Home-Office-Setup zu sorgen. Für manche Unternehmen auch heute noch ein weiter Weg mit hohem Invest.

Mehr Wohnraum, grünere Umwelt

Ginge der Bedarf an benötigtem Büroraum zurück, könnte dort Wohnraum entstehen, wo er durch gewerblich vermietete Immobilien verdrängt wurde. Auch Parkplätze, die bisher von Pendlern genutzt wurden, könnten dann wieder den Bewohnern der Stadt zur Verfügung gestellt werden oder sinnvoll umfunktioniert werden.

Weniger Pendler, weniger Stau, weniger Schadstoffausstoß. Pendeln bedeutet Rohstoffverbrauch, egal ob fossil oder erneuerbar. Fossile Energien könnten schlicht und einfach gespart und unbeanspruchte Öko-Energie in andere Kanäle geleitet werden.

Die Hoffnung, dass etwas bleibt

Wo und wie Sie Ihren Arbeitsalltag nach der Krise verbringen werden, kann nicht einmal der beste Matratzenverkäufer vorhersagen. Auch ich kann nicht in die Glaskugel blicken, hoffe aber, dass wir Positives mitnehmen. Wir alle wissen, dass Krisen normalerweise nicht zu großen Veränderungen führen, wenn sie erst mal vorbei sind. Chernobyl hat die Atomkraft nicht beendet, sinnloses Kriegstreiben nie für Weltfrieden gesorgt, die Finanzkrise Auswüchse an den Finanzmärkten nicht beendet.

Bei der Büroarbeit ist die Situation meines Erachtens eine andere. Das nährt die Hoffnung, dass sich nun auch außerhalb der Digital-/Agentur-Bubble etwas ändert: Das Büro wandelt sich vom Raum, der exklusiv für die Arbeit bestimmt ist, zu einem Ort der Begegnung. Für die Sozialisierung mit den Kollegen, face to face. Für das Bier ab vier. Für all die Dinge, die die Videokonferenz einfach nicht hergibt. Für Aufgaben, die man am besten im Team vor Ort erledigt. Ein Raum, der sich smart, flexibel und effizient anpasst und damit für die zu erledigende Aufgabe die beste Umgebung schafft. Gleichzeitig sollte die Entwicklung hin zum „Arbeiten, wo ich will“ noch beschleunigt werden. Das mobile Office sollte nicht mehr das Besondere, sondern die Normalität sein. Und das nicht nur, wie vor Corona, in unserer Digital-Szene.

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