Die Macht der Düfte

Für uns Menschen war der Geruchssinn lange Zeit der vielleicht wichtigste Sinn überhaupt. Er warnte uns vor verdorbenem Essen, vor Feuer und hatte großen Einfluss bei der Partnerwahl. Inzwischen orientieren wir uns hauptsächlich mit Augen und Ohren. Statt an Lebensmitteln zu riechen, schauen wir lieber auf das Haltbarkeitsdatum; noch bevor wir Feuer mit der Nase wahr nehmen, warnt uns der Rauchmelder mit einem grellen Piepsen; und einen potenziellen Partner lernen wir durch Geruch nur noch dann kennen, wenn er uns in einer Douglas-Filiale über den Weg läuft.

Bei Hunden ist das ganz anders. Die orientieren sich nach wie vor mithilfe ihrer Nase. Treffen zwei Hunde aufeinander, beschnüffeln sie sich erst mal ausgiebig. An buchstäblich allen Körperstellen. Nicht auszudenken, das wäre bei uns Menschen noch genauso. „Hallo Herr Müller, wie fanden Sie den ersten Akt? Übrigens, darf ich Ihnen meinen Mann vorstellen …?“

Heute ist ein guter Geruchssinn für die meisten Menschen reines Hobby. Man besucht Kurse in Aromatherapie oder hält seine Nase stundenlang in einen hundert Euro teuren Bordeaux hinein. Wirklich üble und gefährliche Gerüche findet man in der heutigen Zeit praktisch nicht mehr. Außer in den Massenunterkünften im Schul-Skikurs natürlich. Trotzdem ist der Geruchssinn immer noch der unmittelbarste der menschlichen Sinne. Während Seh-, Hör- und Tastsinn über die vernunftgesteuerte Großhirnrinde laufen, wirken Düfte direkt auf das limbische System, das emotionale Zentrum unse res Gehirns. Deswegen verbinden wir Gerüche so intensiv mit Emotionen.

Wenn wir einen Geruch zum ersten Mal in der Nase haben, speichert unser Gehirn automatisch die Stimmung, in der wir uns gerade bef inden, zusätzlich ab. Nehmen wir Jahre später den gleichen Geruch wieder wahr, so wird auch die dazugehörende Stimmung mit aufgerufen. Genau deswegen riecht Nivea-Creme nach Samstagabenden bei „Wetten, dass..?“ im Bademantel auf der Familiencouch.

Der „Proust-Effekt“

Ein Geruch kann uns also tatsächlich in eine lange zurückliegende und längst vergessene Situation zurückversetzen. Die Wissenschaft bezeichnet dieses Phänomen als „Proust-Effekt“, benannt nach dem französischen Autor Marcel Proust. In seinem Werk „Auf der Suche
nach der verlorenen Zeit“ beschreibt er einen Mann, der ein Stück Gebäck in seinen Tee tunkt, worauf hin eine Fülle an Erinnerungen an seine Kindheit wachgerufen wird, die tief in seinem Unterbewusstsein verschüttet waren.

Auch die Werbeindustrie hat die Macht der Düfte erkannt. Autohersteller parfümieren den Innenraum der Fahrzeuge mit exklusivem Neuwagenduft, Kunststoffschuhe werden mit Lederspray auf teuer und hochwertig getrimmt. Am perfidesten agiert der Modehersteller Abercrombie & Fitch: Er versprüht in seinen Läden ein penetrant riechendes Parfüm der eigenen Marke, worauf viele Jugendliche absur
derweise total abfahren. In höhlenartigen, stockdunklen Verkaufsräumen schwirren halbnackte Verkäuferinnen herum und starren bei wummernden Bässen teilnahmslos in die Leere. Als ich einmal zufällig in die Hamburger Filiale schlenderte und plötzlich den süßlichen Abercrombie-&-Fitch-Duft in der Nase hatte, bekam ich auf der Stelle Beklemmungen. Dann fühlte ich mich zurückversetzt in eine dunkle,
rituelle Zeremonie aus der Jungsteinzeit. Menschenopfer eingeschlossen.

Bisher ist es der Industrie noch nicht gelungen, Geruchsstoffe zu digitalisieren. Aus genau diesem Grund tut man sich wohl auch mit der Entwicklung des Geruchsfernsehens so schwer. Wobei es toll wäre, wenn wir bei einem spannenden Naturf ilm über die Alpen auch
gleichzeitig den frischen Duft einer Blumenwiese in der Nase hätten. Auch bei den vielen Kochshows wäre da noch Luft nach oben. Und bei „Bauer sucht Frau“ könnte man die Geruchsfunktion dann ja ausschalten …

Über den Autoren: Vince Ebert ist Physiker und Kabarettist und mit seinem Bühnenprogramm „Freiheit ist alles“ deutschlandweit auf Tournee. Er ist auch Kolumnist der absatzwirtschaft. Tourdaten unter www.vince-ebert.de.