Die lange Talfahrt der städtischen Tante Emma

Die Betriebsform Warenhaus befindet sich seit 30 Jahren auf Talfahrt. In dieser Zeit verfolgten die Konzernchefs zahlreiche Strategien. In einer empirisch-historischen Betrachtung versucht Friedrich Köhler die Entwicklung zu analysieren und qualitative Aspekte des Sanierungsplans der Karstadt-Warenhäuser zu erörtern.

Als 1975 die Warenhäuser erstmals in der Nachkriegsgeschichte hinter dem Wachstum des Einzelhandels zurückbleiben, scheint den Warenhauslenkern die Lösung in Form einer Expansionsstrategie greifbar: Sie gehen Standortkompromisse ein, verzichten auf 1a City-Lagen mit hoher Kundenfrequenz und nehmen mit kleineren Flächen vorlieb. Mit diesem Schritt aber legen die Konzernmanager den Grundstein für Probleme, die weitere Strategien, und mit diesen weitere Probleme nach sich ziehen. Bei ihren Konzepten vernachlässigen Sie die Erfolgsdeterminanten der Häuser: Sie befinden sich nicht mehr in Top-Lagen und sie erfüllen nicht mehr die Erwartungen der Kunden.

Warenhaus versus Einzelhandel: 0:1
Schon bald sinken die Marktanteile und mit ihnen auch die Erträge. Die Manager reagieren Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre mit Modifikationsstrategien, deren Ziel es ist, die Kosten zu senken. Mit diesem Trading down versuchen die Warenhäuser den mittlerweile etablierten Verbrauchermärkten und SB-Warenhäusern auf der grünen Wiese Paroli zu bieten. Sie reduzieren das Verkaufspersonal drastisch und ersetzen Bedienung und Beratung durch Intensivvorwahl und Selbstbedienung. Organisatorisch schließen sie kleinere und mittlere Filialen („Anhängefilialen“) an größere Filialen („Kopffilialen“) an. Was für die Administration richtig ist, erweist sich für das Marketing als fatal. Sie ziehen zu den vielen Hierarchieebenen, die einer ganzen Armee zur Ehre gereicht hätten, eine weitere ein, da sie die Anhängefilialen der Kopffiliale und deren Geschäftleitung und nicht mehr unmittelbar der Verkaufsdirektion unterstellen. Die ganze Aufbauorganisation gleicht einem Strukturvertrieb, bei dem die Unteren die Abschlüsse tätigen und die Oberen kassieren.

Die Leitungen der Abteilungen in den kleinen Häusern obliegt nunmehr dem jeweiligen Abteilungsleiter der Kopffiliale, die Abteilungsleitungen der kleinen Häuser werden wegrationalisiert, mit der Folge, dass die Abteilungen keinen „Chef vor Ort“ haben, der das Marketing steuert, Personal motiviert und sich um die Kunden kümmert. Darüber hinaus versetzen sie, da hierarchisch höher angesiedelt, gutes Personal in die Kopffiliale. In den Anhängefilialen installieren sie an Stelle der Abteilungsleiter mit ihrem branchenspezifischen Wissen einen sogenannten Leiter Verkauf, der für eine Etage mit mehreren Abteilungen zuständig ist. Dieser verantwortet allerdings nur die Personaleinsatzplanung, nicht das Marketing, nicht die Motivation und den Bedarf der Kunden.

Diese Position besetzen sie in der Regel mit Leuten, denen sie einen weiteren Karrieresprung nicht zutrauen oder die kurz vor der Pensionierung stehen. Meistens sind es die ehemaligen Abteilungsleiter der kleinen Filialen, die sich ohnehin degradiert und für den Einzelhandel originärer Aufgabenbereiche beraubt fühlen. All dies wirkt sich langfristig ungünstig auf die Ertragsstruktur der kleinen und mittleren Häuser aus. Die notwendigen Korrekturmaßnahmen werden erst in den 1990er Jahren vorgenommen, als die Konzerne in diesen Häusern wieder Abteilungsleitungen einsetzten. Gänzlich fehl schlägt der Versuch von Karstadt mit einer eigenen SB-Schiene zu operieren.

Warenhaus versus Verbrauchermarkt: 0:1
Mit dem Trading down verlieren auch die großen Warenhäuser an Bedeutung, da die Kunden mangelhafte Bedienung und Beratung und dabei Preise wie im Fachhandel nicht akzeptieren. Viele Berichterstatter sprechen bereits vor 1980 von einem nicht zu gewinnenden Zwei-Fronten-Krieg der Warenhäuser gegen die preisaggressiven Betriebsformen zum einen und gegen den Fachhandel zum anderen. Ihre Prognosen werden Realität. Bereits im Zeitraum von 1977 bis 1980 schließt Hertie Warenhäuser in Berlin, Dortmund, Essen, und Geesthacht. Horten verzichtet bis 1980 auf vierzehn unrentable Filialen.

Mit diesem Marktrückzug beginnt der Erosionsprozess der Warenhäuser, die auch die Absatzwirtschaft kritisch begleitet. Die Zeitschrift für Marketing zeigt 1983 die Perspektivlosigkeit („Warenhäuser: Vertriebsweg ohne Perspektive“) auf, sie nimmt 1984 die Bilanzkosmetik („Warenhäuser: Protzen mit betriebsfremden Erträgen“) unter die Lupe und thematisiert 1985 den Substanzverzehr („Warenhäuser: Leben von Alimenten“) und 1989 das erfolglose Krisenmanagement („Warenhäuser: Erneut in der Bredouille“). Karstadt gilt zu diesem Zeitpunkt noch als Warenhausprimus, der von einem hohen Ross herab die schwächelnde Konkurrenz übermütig beobachtet.

 

 

Mittlerweile erkennen die Manager, dass sie die Preisführerschaft und die günstigere Kostenstruktur der SB-Warenhäuser nicht erreichen und besinnen sich wieder der Ursprungsidee „Viele Fachgeschäfte unter einem Dach“. Mit Trading up Strategien sollen die Warenhäuser wieder attraktiver werden. Doch die Investitionen in die Attraktivität der Häuser gehen nicht konform mit den Investitionen in die human ressources. Sie streben zwar mehr Bedienung und Beratung an, erreichen jedoch nicht die Kompetenz des Fachhandels. Auch die Einführung höherwertiger Sortimente mit mehr Markenartikeln kann die Ertragslage nicht verbessern, zurückzuführen auf geringere Handelsspannen, eine langsamere Umschlaggeschwindigkeit, längere Kapitalbindung und höhere Preisabschriften. Darüber hinaus verschiebt sich die Sortimentsstruktur. Der wesentlich besser kalkulierte Textilanteil geht zu Gunsten der mit geringeren Handelsspannen operierenden Hartwaren zurück. Dadurch sinkt insgesamt der Warenrohertrag, der geplante Return on Investment wirdenicht realisiert. Das hat einen weiteren Rückgang der Umsatzrendite der Warenhäuser zur Folge und zieht weitere Filialschließungen nach sich.

Warenhaus versus Fachhandel: 0:1
Mitte der 1980er Jahre verschärft sich der Wettbewerb weiter. Mit dem Markteintritt der Fachmärkte, die in allen warenhausrelevanten Branchen mit hoher Sortimentskompetenz bei gleichzeitig günstigen Preisen reüssieren, verlieren die Warenhäuser weitere Marktanteile. Um an dem Boom, den diese Betriebsform (IKEA, Hennes und Mauritz, Media Markt, Obi etc.) auslöst zu partizipieren, versuchen die Warenhäuser ihr Heil in Diversifikationsstrategien. Zum einen entwickeln sie eigene Projekte außerhalb der Warenhäuser, zum anderen kaufen sie Fachmarkt- aber auch Versandhandelsunternehmen. Die erfahrungen von Karstadt und anderen Warenhausunternehmen sind auch in dieser Phase schmerzlich. Karstadt steht mit dem bereits 1977 gekauften Versender Neckermann gerade eine 10jährige Verlustphase durch, in der der Konzern eine Milliarde DM Kapital vernichtet.

Wenig Fortune zeigt Karstadt bei der Entwicklung eigener Fachmärkte. Drei von vier Projekten verschwinden wieder sang- und klanglos vom Markt: „Joy“ (Junge Mode), „Papetic“ (Papierwaren und Geschenkartikel), „Pico Bello“ (Kinderbekleidung). Lediglich „Runner’s Point“ (Laufbekleidung) wird multipliziert. Während Karstadt auf Grund seiner guten Eigenkapitalquote die Flops noch verkraftet, gerät Hertie und Horten ins Trudeln. Gleichwohl kommt auch Karstadt nicht umhin von 1987 bis 1989 sechs unrentable Häuser zu schließen. Hertie verzichtet 1986 auf dreizehn Warenhäuser. So beschleunigt sich die Talfahrt der Warenhäuser weiter, der Kuchen für das Überleben der vier Konzerne Karstadt, Kaufhof, Hertie und Horten wird kleiner.

Warenhaus versus Fachmarkt-/Fachdiscounter: 0:1
Es kommt wie es kommen muss. Die Größeren (Karstadt und Kaufhof) und vermeintlich Besseren fressen die Kleineren (Hertie und Horten). Karstadt hat allerdings mit Hertie erhebliche Verdauungsprobleme, da betriebswirtschaftliche Erkenntnisse, strategischer Planung und die Funktionsweise von Marktstrukturen und Marktwirkungen offensichtlich bei der Investitionsentscheidung außer Acht bleiben. Dies veranschaulichen vier wesentliche Kritikpunkte am Beispiel Kaufhof/Horten:

  1. Bei einer Portfolio-Analyse (kein hinreichendes, allein ausschlaggebendes, aber ein notwendiges Entscheidungskriterium) mit den vier Quadranten Stars, Cash Cows, Question Marks und Poor Dogs ist der Betriebstyp Warenhaus in dem Quadrant „Poor Dogs“ positioniert, gekennzeichnet durch gegen Null ten-dierende Ertragsfähigkeit (interne Variable) und schrumpfende Markanteile (externe Variable). Als Normstrategie empfiehlt sich hier die Desinvestition nicht der Zukauf einer schrumpfenden und nicht renditeträchtigen Betriebs-form. Anders ist die strategische Ausgangslage der von Kaufhof übernommen Horten-Filialen. Sie sind mit ihrem Galeria -Konzept keine Poor Dogs.
  2. Hertie ist durch eine jahrelange Verlustphase ein mit dem Rücken an der Wand stehendes Unternehmen, dem nachhaltige Erfolgspotentiale fehlen. In-sofern sind weitere Verlustjahre vorprogrammiert. Aus dem Kauf des ma-roden Versenders Neckermann mit einer 10-jährigen Verlustphase zieht Karstadt offensichtlich keine Lehren. Kaufhof hat die besseren Karten, da Horten bereits 1993 seine unrentablen Filialen veräußert.
  3. Karstadt selbst hat keine ertragsfähigen Warenhauskonzepte insbesondere für kleine und mittlere Häuser. Mit welchen Maßnahmen will Karstadt die Hertie-Häuser wieder erfolgreich geführen? Im Gegensatz zum Konkurrenten Kaufhof, der vom kleineren Partner Horten das Galeria-Konzept mit der Integ-ration kompetenter Einzelhandelsunternehmen als Mieter übernimmt, kündigt Karstadt großspurig den Mietern in den Hertie-Filialen.
  4. Karstadt hat kein Integrationskonzept für das Marketing und die Aufbauorganisation. Die Strategiewechsel in weniger als zwei Jahren sind beredtes Zeugnis dafür:
    • März 1994: Hertie wird als eigenständige Marke und Tochterunterneh-men von Karstadt geführt
    • März 1995: Hertie ist kein Tochterunternehmen mehr, sondern operiert als 5. Karstadt-Division
    • Oktober 1995: Hertie-Zentrale wird von Frankfurt nach Oberursel verlegt
    • November 1995: Hertie wird als 5. Division zweigeteilt in Divisions- und Projektfilialen (Problemfilialen)
    • Dezember 1995: Karstadt führt in der Hertie-Zentrale die neue Hierarchiestufe des Abteilungsdirektors ein, obwohl die Zentrale von 1200 auf 250 Mitarbeiter/innen abgespeckt war. Es wurden vier neue „Ober-Häuptlinge“ für weniger „Indianer“ benötigt.
    • Januar 1996: 14 Projektfilialen werden in Karstadt integriert, 17 bleiben bei Hertie
    • Juli 1996: Hertie gibt bekannt, dass die Zentrale 1997 geschlossen wird
    • November 1996: Hertie wird als 5. Division aufgelöst und in die Karstadt-Divisionen 1 bis 4 integriert

Diese Strategierotation wirbelt auch die mittleren Führungskräfte und die Verkäuferinnen und Verkäufer kräftig durcheinander. Das wiederum geht an den aktuellen und potentiellen Kunden nicht spurlos vorüber und beeinflusst die Umsatz- und Ertragsentwicklung negativ. Kaufhof geht nicht nach dem Trial-and-error-Prinzip vor, sondern integriert die Horten-Filialen sofort. Das schafft Klarheit und keine Verunsicherung für Führungskräfte, Mitarbeiter und Kunden. Zudem löst die Kaufhof-Übernahme des Galeria-Konzepts von dem kleineren Partner Horten bei diesem einen zusätzlichen Motivationsschub aus.

Trotz dieser zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung vorliegenden Erkenntnisse der externen und internen Rahmendaten, investieren die Entscheider in eine schrumpfende Betriebsform und in ein durch Verluste gebeuteltes Unternehmen. Nicht nur der Kaufpreis von 1,6 Milliarden DM, sondern auch die operativen aufgelaufenen Verluste der Folgejahre und der zu bedienende Zinsaufwand mindern die die Kapitalreserven.

Karstadt/Hertie versus Kaufhof/Horten: 0:1
Die Schlussphase selbstständiger Warenhausunternehmen beginnt 1996, als Metro und Kaufhof fusionieren. Bereits 1981 beteiligt sich die Metro mit 24 Prozent an Kaufhof. Die Metro stockt diesen Anteil 1989 auf knapp über 50 Prozent auf, so dass der endgültigen Fusion eine 15jährige „Verlobungszeit“ vorausgeht. Somit kennen die Partner ihre jeweiligen Stärken und Schwächen (zum Beispiel Einkaufskonditionen). Eine völlig andere Situation liegt vor, als die Schickedanz-Quelle-Gruppe 1999 die Mehrheit der Karstadt-Aktien übernimmt. Das richtige kennen lernen und das Finden der Leichen beginnt erst nach der Fusion.

Und wieder hinkte Karstadt mit seinem Partner Quelle der Entwicklung hinterher, da mittlerweile auch das Versandgeschäft unter der verhaltenen Binnennachfrage leidet, während Metro/Kaufhof mit den Cash und Carry Märkten in ihrem Portfolio einen Star mit hoher Ertragskraft und sehr guten Wachstumschancen findet. Zudem bastelte Karstadt weiterhin an einem zukunftsfähigen Warenhauskonzept, das Metro/Kaufhof mit dem Galeria-Konzept schon lange verfolgt. Darüber hinaus ist Metro international aufgestellt und hat das diesbezügliche Know how (erfolgreicher Betriebstyp und Multiplikationserfahrung in 28 Länder), die Wachstumspotentiale in der EU und in Asien auszuschöpfen. Damit bringt die Fusion KarstadtQuelle gegenüber dem Wettbewerb und dem Hauptkonkurrenten im Warenhaus-Bereich nicht die erhoffte Wirkung.

KarstadtQuelle versus Metro/Kaufhof: 0:1
Nach nunmehr sechs vernichtenden Niederlagen gegen andere Betriebsformen und die Warenhauskonkurrenz, fällt 2004 auch der einstige Primus von seinem hohen Ross. Vor dem oben dargestellten Hintergrund gilt es, auf einige qualitative Aspekte des Sanierungsplans für die Karstadt-Filialen näher zu achten.

Das Konzept für die Warenhäuser sieht eine Zweiteilung des Filialnetzes vor. 77 Problemfilialen (Arbeitstitel: Kompaktfilialen) werden veräußert, 89 Warenhäuser werden schrittweise umstrukturiert. Offenbar erkennt jetzt auch Karstadt, dass die Kunden zunehmend andere Betriebsformen dem traditionellen Warenhaus vor- und an der städtischen Tante Emma vorbeiziehen.

Die Entscheidung 77 Problemfilialen zu verkaufen beruht auf den bitteren Erfahrungen der vergangenen Jahre. Die Darstellung der Entwicklungsphasen (siehe Abbildung) veranschaulicht die vergeblichen Versuche, kleine und mittlere Häuser zu positionieren und umzustrukturieren. Alle Haustypen scheiterten kläglich. Die Ausgliederung und der geplante Verkauf der sogenannten Kompaktfilialen gleicht einem unheilbar kranken Patienten, bei dessen Pflege die Mutter (Karstadt-Vorstand) überfordert ist und die Ärzte (Karstadt-Aufsichtsrat) aufgeben.

 

 

Der zweite Sanierungsblock befasst sich mit den 89 bei Karstadt verbleibenden Warenhäusern. Er sieht die Fokussierung auf Schwerpunkte des bisherigen Warenhaussortiments (zum Beispiel: Sport) und hierbei die Herausstellung von Highlights (zum Beispiel: Laufen) vor. Darüber hinaus will Karstadt weitere Verkaufsflächen an Einzelhandels- und Dienstleistungsunternehmen (zum Beispiel: Lebensmittelabteilung an Rewe) vermieten und zusätzliche Kompetenzen ins Haus holen.

Dies bedeutet eine Abkehr vom klassischen Warenhaus („Alles unter einem Dach“) und tendiert zu dem Galeria-Konzept von Metro/Kaufhof und dem Betriebsformen-Verbund eines Shopping-Centers, die mittlerweile wie Pilze aus dem Boden schießen und in einem harten Wettbewerb um die Differenzierungsführerschaft an ihrem jeweiligen Standort stehen. Damit wird der Konzern wie in den letzten 30 Jahren mit einer Nachahmungsstrategie operieren. Er schränkt den Profilierungsspielraum für zukünftige Erfolgsmöglichkeiten ein und verzichtet darauf, Innovationsrenditen abzuschöpfen, die kürzere Pay-back-Perioden ermöglichen.

In Hinblick auf die Rückkopplungswirkungen der veräußerten zu den verbleibenden Warenhäusern und zu den Overheadkosten müssten die Alarmglocken schrillen. Bei allen vom Markt verschwundenen Warenhausunternehmen fand vorher eine Aufteilung des Filialnetzes – analog des aktuellen Sanierungsplans von Karstadt – statt. Kernproblem war nur bedingt die Hausgröße. Sorge machte vielmehr die Profillosigkeit der Warenhäuser und der dadurch bedingte Erosionsprozess dieser Betriebsform, der lediglich bei den kleinen und mittleren Filialen schneller verlief. Insofern blieb durch die Aufteilung und Ausgliederungen der Problemfilialen bei Kaufring, Horten, Hertie und Kaufhof den jeweils verbleibenden Warenhäusern der nachhaltige Erfolg versagt. Den verbleibenden Warenhäuser und der Zentrale drohen Gefahren.

Zunächst entstehen Marktaustrittskosten (Abwicklungskosten, Preisabschriften, Sozialplankosten), welche die konkurrierenden Betriebsformen in diesem Ausmaß nicht haben. Ferner befindet sich Karstadt bei den zu erzielenden Preisen für Grundstücke und Gebäude in der Defensive. Der Konzern hat eine konkrete Ver-kaufsabsicht verkündet, der Druck liegt nicht bei den potentiellen Käufern. Zudem geben die Immobilienpreise im Allgemeinen und für Warenhäuser in Nebenzentren im Besonderen spürbar nach.

Bei einem Blick auf die Rückkopplungswirkungen auf die verbleibenden Warenhäuser sowie die Zentral- und Logistikkosten entstehen zunächst negative Synergieeffekte. Die Einkaufsvolumina veräußerter Filialen entfallen, so dass sich die Verhandlungsbasis gegenüber den Lieferanten verschlechtert. Bisherige Kostendegressionseffekte werden in Progressionseffekte umgekehrt, da es weiterhin eine Fülle von Zentralfunktionen mit Fixkostencharakter (zum Beispiel Einkauf, Werbung, Logistik) geben wird, die jetzt weniger Filialen tragen. Peronalkosteneinsparungen in der Zentrale sind erst für 2007 vorgesehen. Vor diesem Hintergrund ist die Infrastruktur Warenhaus-Zentrale in Verbund mit der Quelle- und der Neckermann-Zentrale umzustrukturieren. Ob das überhängige Personal des administrativen Bereichs – wie in Erwägung gezogen – für den Verkauf geeignet ist, bleibt fraglich.

Eine nachhaltige Konsolidierung gelingt nur über das Sichern und Aufbauen von Ertragspotentialen. Dies erfordert kreative Marketing-Ideen und deren Umsetzung, einhergehend mit dem Bereitstellen von Finanzmitteln, damit Marketeers überhaupt Erfolgschancen herausarbeiten können. Der Prozess für den Aufbau zukünftiger Erfolgsmöglichkeiten und deren Ausschöpfung nimmt Zeit in Anspruch. Manager müssen neue Konzepte erstens planen und zweitens realisieren und drittens müssen Konsumenten diese auch wahrnehmen. Nur so können (viertens) Motiv- und Einstellungsänderungen bei den Kunden wirken, die sich dann (fünftens) in ihrem Kaufverhalten für Karstadt entscheiden. Sollte die Binnennachfrage weiterhin lahmen, kann der Konzern nicht die Ertragssteigerungen realisieren, die er benötigt, um dem Verdrängungswettbewerb standzuhalten.

In diesem Zusammenhang sind die Filialen und Branchen sowie deren Heterogenität marktstrategisch zu steuern. Sowohl die Bildung von Strategischen Geschäftseinheiten mit eigenständiger Führung der Filialen nach Hausgrößenklassen 1994 (Divisionen 1 bis 4) mit den Branchenmanagern als „Befehlsempfängern“, als auch das Branchenmanagement ab 1996 mit den Filialen als „Befehlsempfängern“ konnte den Niedergang nicht stoppen. Ebenfalls war der Marketingsteuerung nach branchenübergreifenden „Lebensbereichen“ kein Erfolg beschieden. Angesichts dieser praktischen Erfahrung und der theoretischen Erkenntnisse kann nur die Harmonisierung der vier Konzept-Ebenen (siehe Abbildung) den zentralen Notwendigkeiten und lokalen Erfordernissen Rechnung tragen.

 

 

Diese bedingen sich gegenseitig, da die jeweiligen Entscheidungen in einem Feld Rahmenbedingungen für die drei anderen Felder bedeuten. Umgekehrt sind bei Entscheidungen in einem Feld die drei jeweiligen anderen Konzept-Ebenen zu berücksichtigen. Da es sich hierbei um ein engmaschiges Beziehungsgeflecht handelt, ist eine iterative Vorgehensweise unabdingbar. Dies stellt sich allerdings im geschäftlichen Alltag komplexer dar als auf dem gedul-digen Papier, weil interne Machtkämpfe um Entscheidungskompetenzen, Verkaufsflächen, Finanzmittel und Personalzuteilungen spürbare Reibungsverluste verursachen werden.

Abschließend scheint es notwendig, noch eine oftmals spielentscheidende Erfolgsdeterminante anzumerken. Es geht um die psychologisch-kommunikativen Fähigkeiten eines Trainers, ein erfolgreiches Team zu formen und Veränderungen nach innen und nach außen durchzusetzen. Für diese Aufgabe benötigt das Karstadt Top-Management neben angenommener Leistungsbereitschaft und -fähigkeit mehr denn je ein „glückliches Händchen“, damit aus Opfern wieder Initiatoren des Wandels im Handel werden.

Autor: Friedrich W. Köhler ist Marketingcontrolling-Experte und war viele Jahre Hauptabteilungsleiter für Unternehmensplanung und Controlling in Großbetrieben des Handels. Seine Buchveröffentlichung: Zur Geschichte der Warenhäuser, Frankfurt a. M. 1997; Köhler schrieb darüberhinaus zahlreiche Beiträge für Jahrbücher und Fachzeitschriften zum Thema strategisches und operatives Handelsmarketing.