Die Geschichte hinter dem Markennamen Vox 

An den früheren Namen des TV-Senders dürften sich nur die wenigsten Menschen erinnern. Er verschwand in der Versenkung, weil ihn Befragte wahlweise für eine Eisenbahn- oder eine Binnenschifffahrts-Gesellschaft hielten.
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Die lateinische Vokabel vox (vocis) steht für „die Stimme“, „der Ton“ und „der Akzent“. (© Vox, Montage: Olaf Heß)

Diese Kolumne ist noch eine Spur authentischer als andere, weil ich als Autor noch unmittelbarer als bei anderen Marken daran beteiligt war. Als ein Konsortium rund um den Initiator Bertelsmann nach SAT.1, RTL und ProSieben den vierten großen TV-Privatsender in Deutschland starten wollte, benannte das Unternehmen diesen einfach nach der Sendelizenz. Die basierte auf dem sogenannten Westschienen-Staatsvertrag, und so hieß das Unternehmen zunächst Westschienenkanal. 

Zu den Gesellschaftern zählten neben dem Gütersloher Medienkonzern damals die WestLB, der Süddeutsche Verlag, die Holtzbrinck Gruppe sowie kleinere Anteilseigner wie die japanische Werbeagentur Dentsū und eine Tochter regionaler Sparkassen. Geplant war zunächst ein TV-Programm mit dem Schwerpunkt Information und Nachrichten. 

Die enge Verbindung des Bertelsmann-Medienvorstandes Manfred Lahnstein, ehemaliger Finanzminister im Kabinett von Helmut Schmidt, zum NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau, der wiederum die Lizenzvergabe maßgeblich beeinflusste, ließ vermuten, dass mit dem Sender eine politische Einflussnahme in Richtung der Partei von Rau beabsichtigt war. 

Erste Umpositionierung schon vor dem Sendestart 

Noch bevor die Namensfrage in den Fokus rückte, änderten sich allerdings die Rahmenbedingungen. Zum einen wurden die Westschienler vom Start des Nachrichtensenders N-TV kalt erwischt und zum anderen gab es Ärger mit der Luxemburger CLT, mit der Bertelsmann zusammen den TV-Sender RTL betrieb. Diese Zusammenarbeit beinhaltete auch eine Zustimmungspflicht für den Fall, dass sich einer der Partner an einem anderen TV-Projekt beteiligen wollte. Diese Zustimmung verweigerte die CLT für das Projekt Westschiene beziehungsweise setzte sie diese als Druckmittel ein, zumal man einem weiteren deutschsprachigen Nachrichtenkanal neben N-TV und Euronews keine großen wirtschaftlichen Chancen einräumte. 

So musste sich der noch nicht in Betrieb gegangene Sender umpositionieren, und zwar vom Nachrichtenkanal hin zum „informationsorientierten Ereignisfernsehen“, wie man dieses neue und bewusst vage formulierte Senderformat jetzt nannte. So unklar das Programmschema war, umso klarer musste der Markenname des Programms sein. Denn inzwischen war allen Verantwortlichen klar, dass man mit dem Namen Westschienenkanal nicht an den Markt gehen sollte. Die ersten Reaktionen Dritter auf den Namen schwankten zwischen einer Einordnung als Eisenbahn- und Binnenschifffahrts-Gesellschaft. 

Ich war damals Kommunikationsdirektor des Senders und beauftragte drei Agenturen mit der Entwicklung eines neuen Namens und einer neuen Markenidentität. Die von den Agenturen jeweils präferierten Vorschläge lauteten: Apriori, Topic und Net beziehungsweise Net10. Keiner dieser Namen gefiel, weder mir noch den übrigen Mitgliedern der Geschäftsleitung. Dazu sollte man wissen, dass Apriori auch eine Bekleidungsmarke – damals besonders für „die reifere Dame von Welt“ – war, dass es viele Firmen gab, die Topic hießen und dass (obwohl das Internet noch der großen Öffentlichkeit bevorstand) net(t) auch schon damals als die kleine Schwester eines unschöneren Ausdrucks bezeichnet wurde. Abgesehen vom Gefallen waren sämtliche Vorschläge zudem markenrechtlich problematisch. 

Sendername Vox noch in der Schublade 

Da erinnerte ich mich daran, dass ich einige Jahre zuvor als Agenturgeschäftsführer schon einmal an der Benennung eines TV-Senders beteiligt war und aus dieser Zeit noch einen Namen „in der Schublade“ hatte. 1988 kaufte Leo Kirch einen kleinen Kabelsender namens Eureka in München. Der junge Geschäftsführer Georg Kofler, den ich aus gemeinsamen Zeiten an der Universität Trier kannte, beauftragte meine Agentur mit der Entwicklung eines neuen Namens für den Sender. Einer meiner Vorschläge lautete Vox. Der Name gefiel „im Prinzip“, aber Georg Kofler favorisierte zumindest als Zusatz die Zahl Sieben. Das machte vor dem Hintergrund einer einfachen Positionierung – nicht zuletzt auf den Fernbedienungen der Zuschauer – durchaus Sinn.  

Die Zahlen Eins bis Drei waren traditionell von den öffentlich-rechtlichen Sendern belegt, Vier und Fünf von RTL (damals noch RTL plus) und SAT.1. Die Sechs erinnerte zu sehr an Sex und damit bot sich die Sieben, auch bekannt als „magische Zahl“, wirklich an. Allerdings sprach sich „Vox 7“ durch die Kombination von x und s nicht gut. Im Laufe der Besprechung in kleiner Runde sagte Kofler: „Ich bin aber für die Sieben.“ Das Ergebnis der Diskussion ist bekannt, und jetzt weiß auch eine größere Öffentlichkeit, wie der Sendername ProSieben entstanden ist. 

Hörfunkgeschichte im Vox-Haus in Berlin geschrieben 

Vox passte eigentlich ohnehin besser zu einem informationsorientierten Programm, steht die lateinische Vokabel vox (vocis f.)  doch für „die Stimme“, „der Ton“ und „der Akzent“. Nach einer erneuten markenrechtlichen Recherche schlug ich den Gesellschaftern des Westschienenkanals den Namen Vox vor, der einhellig akzeptiert und befürwortet wurde. Es gab auch einen historischen Kontext. Aus dem Vox-Haus in Berlin kamen 1923 die ersten offiziellen Hörfunksendungen in Deutschland. 

Zur rechtlichen Situation ist anzumerken, dass zu diesem Zeitpunkt der amerikanische Sender Fox noch nicht aktiv und die Fox’s Tönende Wochenschau in Deutschland bereits eingestellt war. Zudem gab es noch kein Internet, anderenfalls hätte es aufgrund der phonetischen Identität Probleme gegeben. Zwar gab es ein paar kleinere Firmen mit dem Namensbestandteil Vox, wie zum Beispiel eine Vox-Synchron GmbH, mit diesen konnte man sich aber schnell einigen. 

Die semantische Bedeutung des lateinischen Wortes vox ist aber gar nicht so wichtig, zumal wahrscheinlich über 90 Prozent der Vox-Zuschauer diese nicht kennen. Das ist sogar ein Vorteil, konnte doch so eine Umpositionierung vom Info- zum Unterhaltungssender problemlos unter gleichem Namen erfolgen. 

Vox wird zum Trendsetter in der TV-Landschaft 

Das Revolutionäre des Namens war nicht seine Bedeutung, sondern dass es der erste größere Sender mit einem richtigen Namen statt einer Abkürzung war. Mit Ausnahme ganz kleiner Spartensender (wie eben Eureka oder Super Channel) gab es bis dato nur Abkürzungen als Sendermarken, darunter ARD, ZDF, WDR, MTV, N-TV, RTL und viele mehr. Vox setzte damit einen neuen Trend in der Branche; es folgten dann Namen wie Viva, Arte oder Phoenix. 

Vox startete im Januar 1993 mit seinem Programm. Bereits ein Jahr nach Sendestart wurde der Kanal zunächst an die Mediengruppe des Australiers Rupert Murdoch verkauft, um später wieder – wie auch die luxemburgische CLT und auch der Nachrichtensender N-TV – unter der Führung von Bertelsmann in der RTL Group aufzugehen. Heute bestimmen Formate wie “Die Höhle der Löwen”, zahlreiche Kochshows und Auswander-Dokus das moderne Gesicht des Senders. 

Dr. Bernd M. Samland ist Gründungsgeschäftsführer von Endmark und verantwortet seit 30 Jahren die Entwicklung von mehr als 2000 Markennamen. Er ist Fachbuchautor sowie Lehrbeauftragter und Gastdozent an mehreren deutschen und österreichischen Hochschulen. Sein Buch zur Kolumne titelt „Warum heißt die Marke so“ und ist mit einhundert der besten Storys zu bekannten Markennamen bei Heel / dfv erschienen.