Die Gelben geben Gas

Die Post-Publikation „Einkauf aktuell“ wächst gegen den Trend und schmiedet neue Allianzen. Während dessen haben die klassischen Anzeigenblätter trotz leichter Umsatzeinbußen im Jahr 2009 ihren Marktanteil unter den Werbeträgern ausgebaut.

von Roland Karle

Gegen niedrigen Blutdruck brauchen Anzeigenblatt- und Zeitungsverleger keine Medikamente – in der Regel hilft schon „Einkauf aktuell“. Wenn sie das kostenlose Werbemedium der Deutschen Post sehen oder davon hören, steigt ihre Erregungskurve häufig steil in die Höhe. Die Verlegerverbände BVDA und BDZV sind schon mehrfach juristisch gegen „Einkauf aktuell“ vorgegangen, werfen dem gelben Riesen unter anderem Wettbewerbsverzerrung, Quersubventionierung aus dem Post-Briefgeschäft und nicht marktgerechte Preise vor. Lutz Glandt, für Presse Services verantwortliches Mitglied des Bereichsvorstands Brief bei der Deutschen Post, kontert kühl. „Wir sind ein gewinnorientiertes Unternehmen“, sagt der frühere Verlagsmanager mit Stationen bei Gruner + Jahr, Holtzbrinck, WAZ. „Und parallel zum steigenden Umsatz entwickelt sich auch die Rendite von ,Einkauf aktuell’ erfreulich.“

Vor dem Oberlandesgericht Hamburg ist ein Verfahren anhängig, das den ordnungspolitischen Rahmen klären soll. Nach Auffassung der Verleger darf die Post als Staatsunternehmen keine redaktionellen Inhalte verbreiten. Das schriftliche Urteil lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor, doch nach absatzwirtschaft-Informationen wurde die Klage der Verlegerverbände gegen „Einkauf aktuell“ abgewiesen. BVDAChef Heiner Urhausen kündigt bereits an, „den Sachverhalt gegebenenfalls höchstrichterlich klären zu lassen“. Davon unbeeindruckt wächst „Einkauf aktuell“ gegen den Trend. Durch ein Plus von 20 Prozent gegenüber 2008 ist der Umsatz auf geschätzte120 Millionen Euro gestiegen. Das macht Lust auf mehr: Gerade hat die Post verkündet, „Einkauf aktuell“ ab August auch in der Region Koblenz zu verteilen. Somit erreicht das Medium eine maximale Abdeckung von rund 18 Millionen Haushalten in Deutschland.

Zudem stellt sich „Einkauf aktuell“ inhaltlich breiter auf. In zweimonatlichem Rhythmus soll ab September ein zwölfseitiges Auto-Special erscheinen. Der Gedanke hinter dem thematischen Ausbau des 2003 gestarteten Post-Produkts: Nach dem Auslaufen der Abwrackprämie 2009 und durch die schwache Konjunktur steht die Automobilbranche unter Druck, sie wird vermehrt in Absatzwerbung investieren. Die redaktionelle Zulieferung übernimmt der ADAC Verlag, als Werbekunden sollen vor allem Herstellermarken, örtliche Autohändler und Serviceanbieter gewonnen werden. Während die Gelben also ordentlich Gas geben, mussten die klassischen Anzeigenblätter 2009 erstmals seit Jahren wieder einen Rückgang der Erlöse hinnehmen. Die 1384 Titel setzten laut BVDA 1,966 Milliarden Euro um, das sind 2,1 Prozent weniger als im Vorjahr.

Angesichts der sonstigen Sturmschäden im Werbemarkt ist dieses Minus erträglich – zumal der Marktanteil unter den Werbeträgern sogar von 10 auf 11 Prozent gestiegen ist. „Anzeigenblätter erreichen fast jeden und verkaufen direkt, ohne Umwege über die Redaktion zu wirtschaftlichen Konditionen“, fasst Anja Kastner die Vorzüge der Gattung zusammen. Mit einer Reichweite von nahezu 87 Prozent sei die Medialeistung akonstant uf, jedoch sinke die Zahl der Leser pro Ausgabe (LpA), so die Geschäftsführerin von Jäschke Operational Media (JOM). „Waren es 2000 noch 60,5 Prozent, liegt der Wert heute bei 51,3 Prozent mit weiter abnehmender Tendenz.“ Ein Großteil der Gratistitel sieht heute deutlich besser aus als noch vor Jahren. Die Verlage haben ihre Publikationen redaktionell und optisch aufgemöbelt, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So präsentieren sich zum Beispiel die fünf Wochenzeitungen aus dem Südkurier Medienhaus in Konstanz (verbreitete Auf lage: 368 000 Stück) seit diesem Frühjahr allesamt runderneuert. Zur stärkeren Leserbindung wurde der Ratgeber- und Freizeitteil ausgebaut, mit einem vielfältigen Angebot an Werbeformen will man bei den Anzeigenkunden punkten. „Wir machen die besten Anzeigenblätter, die je aus unserem Haus kamen“, verkündet Geschäftsführer Andreas Gruczek selbstbewusst.

Auch die Qualifikation der Mitarbeiter steht oben auf der Agenda. „Mit der vor drei Jahren ins Leben gerufenen BVDA Akademie setzen wir vor allem auf die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter in den Verlagen – vom Anzeigenverkäufer über den Redakteur bis hin zum Logistik-Manager“, betont Verbandschef Urhausen. Dass viele Verlage in den vergangenen Jahren in ihre Anzeigenblätter investiert haben, begrüßt Mediaexpertin Kastner. „In Gebieten, in denen die Tageszeitung an Reichweite eingebüßt hat, können die Anzeigenblätter das Komplementär-Medium sein.“ Allerdings wähnt Kastner die Gattung in einem „Dreifrontenkrieg“, markiert von Nachhaltigkeitsdebatte, Akzeptanzverlust und Effizienzpotenzial, und empfiehlt dagegen „hybrides Regionalmarketing, also die Kombination von Print und Online bis auf PLZ-Ebene heruntergebrochen“. Im Internet halten sich die Anzeigenblätter bislang zurück. Wenn beispielsweise die „Osnabrücker Nachrichten“ jetzt als E-Paper verfügbar sind und Twitter nutzt, ist das schon eine Pressemitteilung wert.

Das gilt auch für das Planungstool Advertizor des BVDA, das im Frühjahr erstmals mit eigener Website aufgetreten ist. Thomas Koch, Mitglied der Geschäftsführung der Düsseldorfer Agentur Crossmedia, mahnt mehr Tempo an und rät den Verlagen, „die Leistungen der Anzeigenblätter in Print durch eine Online-Komponente stärker zu ergänzen“. Was ja auch schon passiert. Etwa in Essen, wo die zur WAZ-Gruppe gehörenden WVW/ORA Anzeigenblätter mit Lokalkompass.de eine eigene Bürger-Community gestartet hat. Wer sich online als Bürgerreporter anmeldet, kann Texte und Bilder zu selbst gewählten Themen liefern. „Dadurch festigen unsere Anzeigenblätter ihre Marktposition als Medium mit lokaler und sublokaler Ausrichtung“, sagt WVW-Geschäftsführer Haldun Tuncay. Die lokale Online-Community sei ideal, um Kundenbeziehungen und Lesernähe zu intensivieren.

Hinzu kommt: „Wir können online mehr, schneller und interaktiv kommunizieren, zum Beispiel durch Bildergalerien, tagesaktuelle Berichte sowie Abstimmungen und Foren. Dadurch werden wir noch jüngere Zielgruppen erreichen“, erklärt Tuncay. Technischer Dienstleister von Lokakompass. de ist Gogol Medien, Initiator des regionalen Netzwerk-Portals Myheimat. Nach Firmenangaben sind dort inzwischen 30 000 Bürgerreporter aktiv. Die Gogol-Software Publishing Cloud ermöglicht, online gestellte Inhalte problemlos in gedruckte Ausgaben zu übernehmen. Das System nutzen bislang unter anderem die „Gießener Zeitung“, die sich „Hessens erste Mitmachzeitung“ nennt, der „Marktspiegel“ in Hannover und die österreichische „Die Woche“. Die Anzeigenblätter werden vom Internet profitieren, ist WVW-Manager Tuncay überzeugt. Er spricht von einer Lokomotivfunktion. „Aus sublokalen Themen, die im Netz gut laufen, können zusätzliche Print-Ableger entstehen. Hier sehe ich mittelfristig weitere Erlöspotenziale.“