Die Lidl-Erfolgsgeschichte: Vom uncoolen Discounter zum innovativen Handelsriesen mit Blick auf die USA

Deutschlands Discountriese vollzieht einen radikalen Imagewechsel: Plötzlich sind exklusivere Produkte im Programm, die Läden werden schicker, das Angebot soll im Internet bestellbar und in der Filiale abholbar sein, während das Wachstum insbesondere in den USA gesucht wird. Wie sich Lidl als Marke neu erfindet – und dem Erzrivalen Aldi davonzieht.
Neue Filialgeneration. Lidl lässt sein Energiemanagement für alle Filialen in Deutschland zertifizieren (© obs/LIDL)

Von Nils Jacobsen

Der Anblick überrascht: Ein 300- Gramm-Stück Lachs zu 4,69 Euro, eine Familienkollektion Sushi zu 5,98 Euro oder eine Flasche Rotwein Adega de Borba Alentejo aus Portugal zu 9,99 Euro – das findet man nicht etwa bei Supermarkt-Primus Edeka, sondern inzwischen auch beim zweitgrößten Discounter Deutschlands, der in den vergangenen Jahrzehnten vor allem mit Billigartikeln von sich reden gemacht hat, Lidl.

Es sah nicht immer so aus bei Deutschlands Discountriesen. Tatsächlich hat Lidl einen langen Weg zurückgelegt, der bis tief ins 19. Jahrhundert zur Vorläufergesellschaft Specerei- und Südfrüchten-Handlung (en gros & en détail) von A. Lidl & Cie reicht, die bereits seit 1858 existiert. 1930 stieß der Heilbronner Unternehmer Josef Schwarz als persönlich haftender Gesellschafter zur Südfrüchte Großhandlung Lidl & Co, die wenig später zur Lidl & Schwarz KG umfirmierte. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg entwickelte Schwarz den Fruchthändler Lidl & Schwarz in den 60er-Jahren mit der Eröffnung des ersten Supermarkts „Handelshof“ im schwäbischen Backnang zur Lebensmittelgroßhandlung weiter. Ein Jahr, nachdem die Konzernzentrale 1972 von Heilbronn ins schwäbische Neckarsulm verlegt wurde, schlug die eigentliche Geburtsstunde von Lidl, wie wir es heute kennen. Josef Schwarz’ Sohn Dieter machte es dem heimlichen Vorbild Aldi nach und eröffnete 1973 in Ludwigshafen den ersten Discountermarkt. Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte.

70 Milliarden Euro Umsatz angepeilt: Lidl überholt erstmals Aldi

Und was für eine Erfolgsgeschichte! In 27 Ländern der Welt ist Lidl heute mit über 10 000 Märkten präsent – mehr als 3 300 Filialen sind es allein in Deutschland, gefolgt von Frankreich (1 500), Großbritannien (750), Spanien (600), Polen (600) und Italien (550). Mehr als 215 000 Mitarbeiter beschäftigt Lidl per Ende vergangenen Jahres.

Noch beeindruckender ist die wirtschaftliche Entwicklung in Euro und Cent: Aus Umsätzen von wenigen Millionen Euro im Gründungsjahr 1973 sind 44 Jahre später Erlöse von mutmaßlich mehr als 70 Milliarden Euro geworden. Nach Schätzungen des „Manager Magazins“ dürfte Lidl im laufenden Geschäftsjahr, das im Februar zu Ende geht, nach Umsätzen gar erstmals den Erzrivalen Aldi überholen.

Im Verbund des Schwarz-Imperiums, zu dem auch die Kaufland-Gruppe gehört, sind Erlöse im Fiskaljahr 2016/17 aller Voraussicht nach bereits auf 94 Milliarden Euro angewachsen – die 100-Milliarden-Euro-Marke könnte bereits im nächsten Geschäftsjahr fallen. Die Schwarz Beteiligungs GmbH, die heute mehr als 375 000 Mitarbeiter beschäftigt, ist damit Europas größter Handelskonzern – und Eigentümer Dieter Schwarz mit einem geschätzten Vermögen von 19 Milliarden Euro einer der reichsten Deutschen.

Lidl-Urgestein Klaus Gehrig ist der Vater des Erfolgs

Unentwirrbar verbunden ist der anhaltende Erfolg mit einem Manager, der den wenigsten Deutschen ein Begriff sein dürfte, obwohl die halbe Republik bei ihm einkauft – Klaus Gehrig. Der 67-Jährige, der bereits 1976 als Vertriebsleiter zu Lidl stieß, gilt neben Firmenpatron Dieter Schwarz als Vater des jüngeren Erfolgs, der gleichzeitig der größte in der Konzerngeschichte ist. Seit 2004 führt Gehrig die Geschicke der gesamten Schwarz-Gruppe als persönlich haftender Gesellschafter (Komplementär).

In den vergangenen zwölf Jahren hat der Sohn einer Bauernfamilie mit Deutschlands vermeintlich ewig zweitgrößtem Discounter nicht nur zum Erzrivalen Aldi aufgeschlossen, sondern nun auch damit begonnen, nachhaltig das Image des angestaubten Discounters aufzubessern. Denn zahlreiche Skandale in den Nullerjahren taten dem Image von Lidl nicht gut. Ende 2004 platzte die Bombe: Die Gewerkschaft Verdi veröffentlichte das „Schwarzbuch Lidl“, das den vielsagenden Namen „Lidl in Deutschland – der ganz normale Wahnsinn“ trug.

Verdis Schwarzbuch zwingt Lidl zum Neustart

Darin prangert Deutschlands größte Gewerkschaft die unhaltbaren Arbeitszustände in der Schwarz-Gruppe, vor allem aber bei Lidl an – von ständigem Druck (40 Scan-Vorgänge pro Minute), Angst vor Kündigungen und Gängelungen ist die Rede. Die PR-Wirkung war verheerend.

Dreieinhalb Jahre später holte Lidl der nächste Skandal ein: Nicht nur eigens installierte Kameras in den Märkten, sondern gar Detektive spionierten Mitarbeiter aus. Lidl braucht den totalen Neustart, um zu überleben – nicht wirtschaftlich, sondern als Marke. Dafür positionierten die „Freunde des Hauses“, die eigens als maßgeschneiderte Agentur für Lidl gegründet wurden, den Handelsriesen 2008 mit der TV-Werbung in der Konzerngeschichte komplett neu. Der Slogan, der in 90-sekündigen Werbespots zur besten Sendezeit in Deutschlands Wohnzimmer flimmerte, hat bis heute Bestand: „Lidl lohnt sich.“