Die dunklen Muster des Onlinemarketings

Im knallharten Onlinehandel versuchen immer mehr Shopbetreiber mit fragwürdigen Methoden, die Warenkörbe immer voller zu bekommen oder Abos statt Einzelprodukte zu verkaufen. Auch im Onlinemarketing zeichnen sich immer häufiger düstere Muster ab. Zu Zeiten von Social Media ist das ein Ritt auf der Rasierklinge.

Von Frank Puscher

Früher war alles einfacher. Wer positives Feedback seiner Kunden bekam, fragte bei denen kurz nach, ob er dieses veröffentlichen dürfe und hatte in den meisten Fällen nach kurzer Zeit neuen, verkaufsfördernden Content für die eigene Website. Kritik hingegen nahm man zwar entgegen, behielt sie aber meist für sich und versuchte besten Falls, die internen Abläufe damit zu optimieren.

Früher, das war vor Social Media. Seit sich viele Onlinenutzer aber daran gewöhnt haben, alles und jeden zu kommentieren, sind gute Produkt- oder Händlerbewertungen zu einer Währung geworden. Einer Währung, die sich mit einem monetären Gegenwert messen lässt, der dadurch entsteht, dass man in Ranglisten weiter vorne landet oder einen Vertrauensvorschuss von den Kunden bekommt.

Weil das so ein einträgliches Geschäft ist, haben sich Dienstleister wie Ekomi entwickelt und darauf spezialisiert, Kundenmeinungen zu sammeln und in einem handlichen Fensterchen so darzustellen, dass der Websitebetreiber sie ganz einfach in die eigenen Seiten einbauen kann. Prinzipiell ist der Dienst eine feine Sache, doch jetzt ist Ekomi verurteilt worden. Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, dass es nicht statthaft sei, dass gute Bewertungen sofort, schlechte aber mit einer Verzögerung von fünf Tagen oder mehr angezeigt werden. Das verstößt gegen die berechtigte Nutzererwartung, dass Ekomi alle Bewertungen anzeigt und sich folglich neutral verhält. Und wenn ein Anbieter mit den Ekomi-Bewertungen wirbt, dann könnte das eine irreführende Werbung darstellen.

Nebelkerzen gegen Transparenz

Der aktuelle Fall, zu dem das OLG keine Revision zuließ, markiert eine spannende Wende im Umgang mit Online-Werbung und E-Commerce. Bislang hat sich die Rechtsprechung vor allem mit mehr oder minder eindeutig rechtswidrigen Fällen beschäftigt, Klingelton-Abzocke bei Kindern und Jugendlichen zum Beispiel. Seit Kurzem aber nehmen die Fälle zu, in denen sich die Gerichte mit Fällen aus der Grauzone abgeben. Für sich betrachtet, ist den angeprangerten Unternehmen rechtlich selten beizukommen. Irgendwo in den AGB steht schon eine Erklärung, die die Verantwortung des Handelns weitgehend auf den Nutzer abwälzt. Betrachtet man aber den Kontext eines Angebots, so entstehen spezifische Erwartungen auf Nutzerseite, die zu einer veränderten Wahrnehmung des Angebots führen können. Mit anderen Worten: Zehn Jahre lang haben die technischen Möglichkeiten des Internets wie zum Beispiel Preisvergleichsportale zu mehr Transparenz in den Märkten gesorgt. Nun versuchen immer mehr Unternehmen die Technik zum Gegenteil zu nutzen, nämlich um Kanäle gegeneinander abzugrenzen, Preise zu verschleiern oder Kunden in einer Sicherheit zu wiegen, die gar nicht existiert.

Beispiel Paypal. Ebays Bezahldienst warb bis Mitte März auf der zentralen Erklärseite auf Ebay damit, dass „alle Verkäufe“, die auf Ebay getätigt und per Paypal bezahlt werden, durch den Paypal-Käuferschutz abgesichert sind. Alle? In den AGB von Paypal gibt es klare Einschränkungen für Motorfahrzeuge, Gutscheine oder Nichtmaterielle Güter und Dienstleistungen. Reihenweise tappten Kunden in genau diese Falle und beschwerten sich bitterlich in Onlineforen über die Intransparenz in Paypals Gebaren. Erst als Verbraucherschutz.de um eine Stellungnahme bat, wurde der strittige Passus geändert.

Das Gehirn, der begrenzte Entscheidungsraum

Selber schuld, entgegnen viele den geprellten Kunden. Nicht ganz, meinen die Verhaltensforscher, denn „Durchklicken“ ist menschlich. Der frühere MIT-Professor Dan Ariely zitiert eine Reihe von Untersuchungen, die immer wieder das Gleiche nachweisen: Es kommt der Punkt, an dem der Nutzer aufhört, aktiv zu entscheiden. Er lässt sich von Standardvorgaben leiten und stimmt einfach zu.

Abbildung 1:Der vermeintliche Geburtstagsgruss von Web.de ist ein Trick, um Nutzer in ein Abo zu locken

Das Phänomen heißt Entscheidungsaversion und wird in der psychologischen Fachliteratur episch beschrieben. Auffällig ist, dass diese Aversion nicht nur bei banalen Entscheidungen eintritt, deren Ausgang dem Akteur „egal“ ist. Jonathan Levav analysierte das Verhalten israelischer Richter und fand heraus, dass die Richter morgens – vor allem vor dem Mittagessen – wesentlich differenziertere Urteile und Strafmaße vergaben als nachmittags. Da waren sie eher gewillt, den Anträgen der Staatsanwaltschaft oder Verteidigung 1:1 zu folgen. „Je länger der Tag wird, umso eher sind wir bereit, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen“, erläutert Ariely.

So werden scheinbar rationale Entscheidungen untergraben:

1. Eine starke Autorität „fordert“ Zustimmung.
2. Eine kleine Produktauswahl verkauft mehr als eine große.
3. Aufgeschobene Zahlungen verändern die Preiswahrnehmung.
4. Zeitdruck und Knappheit verkürzen „natürliche“ Entscheidungszyklen.
5. Der umgebende Kontext eines Produkts verändert dessen Wert.

Die meisten dieser Phänomene sind bekannt und werden zum Beispiel vom Einzelhandel seit Jahren inszeniert. Neu ist, dass die meisten davon auch im Netz funktionieren, wo doch eigentlich die Hürden zum Wechsel eines Anbieters und somit die Opportunitätskosten der Entscheidung minimal sind. Es macht einen Unterschied, ob die Versandkosten bei einer Amazonbestellung schon im Suchergebnis auftauchen oder doch erst im letzten Schritt der Bestellung auftauchen.

Abbildung 2: Wer nicht Gefällt mir klickt, darf beim Gewinnspiel nicht mitmachen, meint Amazon

Die dunklen Muster

Nimmt man die Irrationalität der Entscheidung als gegeben, dann ist der Schritt nicht weit, sich diese zunutze zu machen, um den Umsatz eines Onlineshops oder die Wirkkraft einer Kampagne zu steigern. Wer auf Booking.com ein Hotel buchen will, kann nicht übersehen, dass vom ausgewählten Zimmertyp manchmal nur noch ein oder zwei Stück verfügbar sind. Es gilt also schnell eine Entscheidung zu treffen, möglichst sofort.

Dieses Verfahren ist legitim, sofern es der Wahrheit entspricht. Bei Testbestellungen ließ sich zum Beispiel auf der Plattform Hotelreservierung.de das kostengünstige letzte freie Zimmer einer Kategorie mehrfach buchen. In die Grauzone aber stößt Booking mit dem Ansatz vor, gleichzeitig zu zeigen, dass nur noch drei Zimmer verfügbar sind, aber sich vier Nutzer derzeit das Hotel anschauen. Die beiden Zahlen treten in der Wahrnehmung des Nutzers miteinander in Beziehung und erhöhen den Kaufdruck. Tatsächlich wäre es aber ein sehr großer Zufall, wenn alle vier das gleiche Datum für die Zimmersuche verwenden würden.

Die „dunklen Muster“ des OnlineMarketings

WebDesigner Harry Brignull hat sich vor drei Jahren aufgemacht, das zwielichtige Verhalten der Shop-Betreiber und Marketer auf der Website Darkpatterns.org anzuprangern.

Hier die Vorgehensweisen der Shopbetreiber:

1. Ködern und Umleiten
Eines der gängigsten Muster: User klicken auf einen Button, und es passiert etwas völlig anderes, unerwartetes.
Der Modeshop JustFab zum Beispiel zeigt auf Facebook hübsche Anzeigen. Die führen aber nicht zum Shop, sondern zu einem Profilbildungssystem mit anschließender Zwangsregistrierung.

2. Verschleierte Anzeigen
Auf der populären Download-Seite Sourceforge konkurrieren mitunter gleich drei Download-Buttons um den Nutzer, zwei davon sind verkleidete Werbung.

3. Die versteckte Rechnung
Brignull prangert vor allem die Telkos an, die irgendwann von der postalischen auf die PDF-Rechnung umstellen. Tatsächlich ist das nicht nur von den Herstellungs- und Transportkosten her günstiger für die Unternehmen. Der User wird in eine Holschuld versetzt und es wird einige Nutzer geben, die vergessen, die Rechnung rechtzeitig zu prüfen.

4. Das Zwangsabo
In Deutschland handelt es sich hierbei tatsächlich um ein schwarzes, also illegales Muster. Die Anbieter müssen klar kennzeichnen, wenn aus einer Einmalzahlung eine regelmäßige Verpflichtung wird. Stiftung Warentest nennt sein Abo Test-Flatrate. Das ist die voreingestellte Option, wenn der User einen Artikel kaufen möchte. Der entsprechende Button ist optisch identisch mit denen zur Bezahlung des Einzelabrufs. Von einem Zwangsabo kann hier freilich nicht gesprochen werden, aber die Begrenzung auf einen Monat Flatrate ist nur durch nachträgliche Kündigung möglich.

5. Erzwungene Veröffentlichung
Brignull prangert Yahoo Hot Jobs an, wo Interessentenprofile automatisch für Headhunter sichtbar gemacht werden. Der User kann dem erst nachträglich in seinen Profileinstellungen widersprechen.

6. Freunde-Spam
Anwendungen wie Facebook schicken ungefragt Nachrichten über Userverhalten an Freunde. Viele Versandplattformen für digitale Grußkarten haben dieses Muster zum Geschäftsmodell gemacht.

7. Versteckte Kosten
Fahrradversender Rose möchte zur Bestellung selbst teurer Fahrräder nicht nur die Kosten für Versand- und Verpackung sondern auch noch „Kartonkosten“ erheben.

8. Umleitung
Focus.de blendet nur einen Teil des gesuchten Artikels ein und darüber ein riesiges Banner mit der Aufforderung doch Facebook-Freund zu werden. Es wird natürlich nicht deutlich gemacht, dass man den Artikel auch zu sehen kriegt, wenn man anklickt, nicht Fan werden zu wollen.

9. Preisvergleichsverhinderer
Die Methoden sind Legion: Hardwarehersteller vergeben unterschiedliche Produktbezeichnungen über die Kanäle hinweg. Händler bewerben bei Preisvergleichern die ungeliebte türkisfarbene Variante mit einem Kampfpreis, verlangen aber für die normalen Varianten mehr. Beim Händler All4Golf.de waren lange Zeit die meisten Preise nur nach zusätzlichem Mausklick zu entdecken. Inzwischen sind alle Hersteller bis auf einen davon abgerückt. Lohnt sich die Verschleierung etwa nicht?

10. Zuckering
Nach Mark Zuckerberg benannte Methode um Daten auszuschnüffeln, die mit der konkreten, aktuellen Verwendung nichts zu tun haben. Amazon möchte aktuell in einem Gewinnspiel auch die Erlaubnis bekommen, im User-Namen an Freunde Nachrichten zu verschicken.

11. Mausefalle
Man kommt leicht rein, aber nie wieder raus. Wird gerne im eMail-Marketing eingesetzt.

12. Straßensperre
Etwas stellt sich dem User in den Weg und hindert ihn daran, seine eigentliche Aufgabe zu Ende zu bringen.

13. In den Warenkorb schleichen
Pixmania „ergänzt“ die vom User getätigte Bestellung automatisch durch eine Vorteilskarte, die den Warenkorbwert um 20 Euro steigert. Auch Roses „Kartonkosten“ zählen zur gleichen Kategorie.

14. Trickfragen
Eines der berüchtigtsten Beispiele kommt von Ryan Air. Dort ist das OptOut zur Reiseversicherung in einer Länderliste versteckt. Das „sollte“ natürlich nur der User wählen, der über eine bestehende Versicherung verfügt, egal ob er meint eine solche zu brauchen oder nicht.

Die Schlechten ins Kröpfchen

Was in Brignulls Liste noch fehlt sind Methoden, die die Informationsbasis des Nutzers mit subtilen Tricks zu ändern versuchen. Die meisten solcher Ansätze setzen auf Vertrauensanker. Dazu gehören zum Beispiel die diversen populären Gütesiegel.

Der Onlineshop I´m walking zeigt rechts unten in der Serviceleiste ein großes Siegel der Stiftung Warentest. Blickt der Nutzer nur flüchtig darauf oder nimmt es nur periphär war, so könnte er dem Shop selbst zuschreiben. Tatsächlich aber gilt es nur dem Versanddienstleiter Hermes.

WebDesigner Harry Brignull fordert einen Code of conduct: “Es ist zwar wie Eulen nach Athen tragen, aber es gibt zumindest jungen Designern etwas in die Hand, was sie ihrem Chef antworten können, wenn er entsprechendes von ihnen verlangt“.

Gerichte können kaum so schnell reagieren, wie neue Muster entstehen. Der Fall des OLG Düsseldorf mutet an wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Immerhin steht das Thema Bewertungen inzwischen auf der Tagesordnung. Das Landgericht Hamburg verlangt vom Reisebewertungsportal Holidaycheck, dass man die Richtigkeit von Userbewertungen im Zweifelsfall beweisen kann. Die Hamburger stellen sich mit dieser Interpretation gegen andere Gerichte, die bereits anders entschieden haben. Das interessante an dem Urteil ist ein pikantes Detail: Da Holidaycheck selbst Buchungen vermittelt, könnte man den Bewertungsdienst auch als Wettbewerber der Hotels ansehen. Dann greift nicht die journalistische Informationsfreiheit sondern das schärfere Wettbewerbsrecht.

In allen anderen Fällen bleibt zu hoffen, dass transparente Prozesse und die Abwesenheit solcher Tricks als Qualitätskriterium wahrgenommen werden und einen Marktvorteil bedeuten. Schwarzen Schafen droht im Zeitalter von Social Media zu Recht der gefürchtete Shitstorm. Die einschlägigen Verbraucherforen sind voll davon.

Abbildung 3: Ryan Air versteckt die Abmeldung zur Reiseversicherung im Menü „Wohnsitzland“