Die Digitalisierung der Ladenfläche

Mit zunehmender Digitalisierung versuchen vor allem die Flagshipstores der großen Marken die Kunden in die Innenstädte zu locken. Eine direkte Verbindung zwischen Laden, Onlineshop und Social Media bildet das Rückgrat der Verkaufsstrategie der Zukunft.
Mobile phone in the hand isolated on white background

Von Frank Puscher

Es gibt vermutlich wenige Plätze in Europa, die den Zeitenwandel besser symbolisieren können, als Regent Street 121 im Herzen von London. Von außen sieht alles so aus, wie bisher. In einem trutzigen Eckhaus, gebaut zur Wende des vorletzten Jahrhunderts, verkleiden schmiedeeiserne, schwarze Gitter die Fenster, akzentuiert mit vergoldeten Brüstungen. Im Erdgeschoss werden die Schaufenster von schweren, dunklen Holzrahmen gehalten. Beiderseits des Eingangs flackern Kerzen in eiserenen Laternen.

Wer den Flagship-Store von Burberry betritt, merkt schnell, dass die Fassade täuschen kann. Zwar bleibt auch das Interieur des Ladens klassisch, doch wird es gebrochen von jeder Menge Bildschirmen. Bildschirme, die als digitale Spiegel fungieren. Tritt der Kunde mit der ausgewählten Reisetasche vor den „Spiegel“, so wandelt sich das digitale Spiegelbild zum Produktvideo, in dem die aufwändige Herstellung und Verarbeitung der Burberry-Tasche erläutert wird. Kehrt der Kunde dem Bildschirm den Rücken, verschwindet das Motiv. Tatsächlich besitzen die Burberry-Produkte inzwischen Labels mit integriertem NFC-Code (Near Field Communication), so dass die Bildschirme sie automatisch erkennen.

Das Beispiel mit dem digitalen Spiegel ist auch nicht ganz neu. Vor drei Jahren experimentierte Jeans-Hersteller Diesel mit der DieselCam. Das war ebenfalls ein digitaler Ankleidespiegel der darüber hinaus noch die Option bot, die anprobierten Kleidungsstücke live mit Freunden auf Facebook zu diskutieren. Heute bieten alle Wachsfigurenkabinette von Madame Tussaud ähnliche Maschinen an, in denen man sich mit Wachspromis fotografieren lassen kann und das Foto per eMail oder Social Media verteilt. Und den gleichen Ansatz fährt auch TopShop. Dort soll man die digitalen Postkarten aber über Pinterest weiterleiten.

POS-Aufrüstung

Die Digitalisierung der Ladenfläche ist in vollem Gang. Fast jeder der großen Flagshipstores verbaut immer mehr Technik. Adidas und Nike präsentieren beispielsweise ihre Produkte im Einsatz bei Großveranstaltungen oder offerieren personalisierte Produktvarianten. Neben dem Zugang zu Videos und Zusatzinformationen, wie das zum Beispiel auch Karl Lagerfeld in seinem brandneuen Laden in Berlin zelebriert, versuchen zahlreiche Händler das Thema Social Media zu instrumentalisieren.

In Brasilien experimentierte C&A mit Kleiderbügeln, die im Ladengeschäft anzeigen, wie viele Likes ein Produkt im Onlineshop eingesammelt hat. Wem das digitale Display fehlt, der druckt Onlinebewertungen schon mal auf das Produktschild am Regal.

Die elegantere Variante aber hat Perchinteractive im Angebot. Nimmt der geneigte Kunde ein Produkt in die Hand, wird per Beamer eine Anwendungsauswahl eingeblendet, mit der der Nutzer auf Zusatzinformationen zugreifen kann. Das können Produktinformationen sein aber auch Kommentare und Bewertungen. Und eigene Likes verteilen kann die Anwendung auch. Übrigens wird die Software berührungsfrei mit Gesten gesteuert.

Die Kombination aus Gestensteuerung und Augmented Reality probierte Tissot bereits 2010. Vor dem Kaufhaus Selfridges in der Londoner Oxford Street verteilten Hostessen kleine Papierarmbändchen. Hielt der Passant ein solches Armband vor eine Kamera, so ersetzte eine Software das Armband durch eine Tissot-Uhr. Der Nutzer und potentielle Kunde konnte durch den Onlineshop bummeln und verschiedene Modelle virtuell anprobieren.

Gesichtserkennung und WLan-Tracking

Da der POS natürlich nicht nur der Laden ist, sondern auch der Automat oder das Kiosksystem, ist es wenig verwunderlich, dass auch hier die Digitalisierung mit Meilenstiefeln voran schreitet. Eines der amüsanteren Beispiele kommt von Kaffeeröster Douwe Egberts. Der Automat, installiert auf einem südafrikanischen Flughafen, schaute den Passanten in die Gesichter und sobald sich ein inbrünstiges Gähnen auf den Gesichtszügen abzeichnete, spendierte der Automat einen starken Kaffee. Auch diese Idee ist übrigens kopiert: Vor zwei Jahren verschenkte ein Unilever-Automat namens „Share Happy“ Eis an Menschen, die in die Kamera lächelten und zustimmten, das Bild auf Facebook zu veröffentlichen.

Personalisierung ist das entscheidende Stichwort, wenn es um Gesichtserkennung geht. So bietet das britisch-japanische Joint Venture NEC IT Solutions zum Beispiel eine Gesichtserkennung für Hotels an. Die Software erkennt einerseits Prominente und bereitet die Mitarbeiter am Empfang auf den gebührenden Umgang mit ihnen vor. Oder die Datenbank spuckt zahlungskräftige Stammkunden und deren Vorlieben aus. Das kann der Concierge für Empfehlungen nutzen.

Was im Hotel funktioniert könnte auch im Einzelhandel Anwendung finden. Soeben haben sowohl Kraft als auch Adidas bekannt, mit derartigen Techniken zu experimentieren. Die Unterscheidung von Geschlechtern oder spezielle Angebote für Kinder liegen bereits jetzt im Bereich das vorstellbaren. Und natürlich könnte ein Kosmetik-Unternehmen wie Douglas mit Ideen und digitalen Simulationen für ein neues MakeUp auf Kundenfang gehen. Der italienische Anbieter Almax führt eine Schaufensterpuppe im Programm, die Gesichter erkennen kann.

Nicht immer resultiert die Digitalisierung in Anwendungen, die dem Endkunden unmittelbaren Nutzen stiften. Der Brillenhändler Warby Parker stattete seinen ersten realen Store in New York mit allerhand Digitaltechnik aus, um das Verhalten der Kunden zu beobachten und zu messen. Wo halten sich die Kunden auf, welche Produkte betrachten sie ausführlicher. „Vom Start weg haben wir die Messung der Daten mit unserer Webanalyse verheiratet und hoffen, mehr über die echte Customer Journey heraus zu finden“, freut sich Gründer Neill Blumenthal.

Dass Digitaltechnik auch für unsichtbares Datensammeln – vulgo Tracking – eingesetzt werden kann, liegt auf der Hand. Der Modehändler Nordstrom experimentierte Anfang des Jahres mit WLan-Scannern, die die Bewegung der Smartphones der Kunden im Laden aufzeichneten. Man wollte Erkenntnisse sammeln über Bewegungsrichtungen und Verweildauern, also eben das, was die eCommerce-Anbieter mit großer Selbstverständlichkeit messen.

Im realen Leben scheinen aber andere Gesetze zu gelten. Nordstrom erntete von Medien und Kunden harsche Kritik. Die New York Times mutmaßt, dass das selbst den liberalen Amerikanern zu weit geht.

Doch Nordstrom ist beileibe nicht allein. Gleich eine Handvoll unterschiedlicher Trackingtechniken und –einsatzbereiche zeigt die New York Times in einem lesenswerten Artikel. RetailNext aus San Jose nutzt Kameras, um die Bewegungspfade zu lesen. Brickstream versucht zu messen, ob der Kundenandrang so groß ist, dass man eine zusätzliche Kasse öffnen sollte. Synquera aus St. Petersburg erkennt auch gleich die Stimmung, in der sich der Kunde befindet. Nomi aus NewYork kombiniert das Wlan-Tracking mit der Erkennung des Handies des Kunden. Das System kann dem Verkäufer vor Ort einen Datensatz über die Präferenzen des Kunden zur Verfügung stellen.

Eines der hoch-gehandelten Startups in diesem Segment stammt übrigens aus Berlin. 42Reports erfasst die Mac-Adressen der Smartphones solange bei denen die WLan-Funktion eingeschaltet ist. Noch auf dem Server werden die Daten anonymisiert. 42Reports will Fragen beantworten wie: „Schaffe ich es, die Konvertierungsrate von Passanten zu Kunden zu steigern?

Ob sich die Unternehmen in Deutschland für derartige Messungen die Erlaubnis von Nutzern holen oder sie wie beim Online-Tracking anonymisieren, bleibt abzuwarten. Zweifellos elegant ist eine Lösung von Placed, einer Firma aus Seattle. Sie fragt ihre App-Nutzer explizit, ob man deren Bewegungsverhalten messen darf. Als Gegenleistung bekommen die Nutzer persönliche Einkaufsgutscheine. Je nach Gutscheinhöhe dürfte das Datenschutzbedürfnis der Nutzer irgendwann an eine natürliche Grenze stoßen.

Die NewYork Times über Tracking-Methoden am POS: www.nytimes.com/2013/07/15/business/attention-shopper-stores-are-tracking-your-cell

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