Der unberechenbare Konsument?!

Der Wandel hat uns fest umarmt, kräftig-schnelle Technologiesprünge verändern unsere Gewohnheiten in kurzer Zeit. Da wird der Verbraucher – bei so viel Drehung und Dynamik – zum unberechenbaren Wesen. Hybrid sei sein Verhalten, multioptional, divergierend, mehrdimensional. Stimmt das wirklich?

Von Roland Karle

Sind die Menschen so unkalkulierbar, wie Trendforscher, Marktbetrachter und Nachbeter behaupten? Sind „ihre Interessen instabil, ihre Prioritäten volatil und ihre Entscheidungen erratisch, das Abwechslungsbedürfnis dominant?“ Fragen, die Renate Köcher, Chefin des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD), bei der Präsentation der aktuellen Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) stellte. Und auf die sie keine Antwort schuldig blieb.

„Viele Entscheidungen der Verbraucher“, so lautet ihre These, „sind in hohem Maße vorhersehbar.“ Das ist eine gute Nachricht für Marketingmenschen. Weil es offensichtlich doch noch Konstanten gibt, an denen sie ihr Tun ausrichten können. Allerdings: Der Wandel ist deshalb nicht abgesagt. Es geht vielmehr darum, was sich wie, wann und warum verändert. Daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist die Kunst.

Viele Verhaltensveränderungen, so Köcher, erfolgen entlang stabiler gesellschaftlicher Trends. Und starke Verhaltensveränderungen seien in der Regel „naheliegende Reaktionen auf veränderte Optionen“. Marketers können sich laut Köcher darauf einstellen, dass die Mehrheit der Verbraucher aus einem „Koordinatensystem stabiler Interessen, Präferenzen und Kosten-/Nutzenabwägungen“ handelt.

Medien als Impulsgeber

Laut AWA sagen mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre, dass sich ihre „Interessen nicht groß verändern“. Hingegen geben 30 Prozent an, dass sie „immer auf der Suche nach neuen Anregungen, neuen interessanten Themengebieten“ seien. Der Anteil jener, die angeben „Ich probiere immer wieder gerne Neues aus“ hat sich im Zeitverlauf seit 2003 bis heute kaum verändert. Der niedrigste Wert aus den Jahren 2012 und 2013 (47 Prozent) und der höchste Wert von 2007 (50 Prozent) liegen gerade mal drei Prozentpunkte auseinander. Von einer verstärkten Sehnsucht nach Wandel, einer Mentalität des Sich-Verändern-Wollens kann also nicht die Rede sein.

Eher im Gegenteil. Denn es erstaunt geradezu, dass in zurückliegenden Zehn-Jahres-Zeitraum für 2013 die wenigsten Befragten, nämlich 41 Prozent, „ein abwechslungsreiches Leben wünschen und immer neue Erfahrungen machen möchten“. Der höchste Wert in der betrachteten Dekade lag bei 48 Prozent und wurde im Jahr 2007 gemessen. Weniger überraschend ist dagegen die Erkenntnis, dass sich Interessensschwerpunkte mit zunehmendem Alter immer weniger verändern. Laut IfD-Studie bekennen sich nur 40 Prozent der 14- bis 19-Jährigen zu konstanten Interessen, während dieselbe Antwort 82 Prozent der über 60-Jährigen geben. Die Lust auf Neues nimmt, statistisch gesehen, merklich ab, wenn man über 30 ist. Oder wie es in der AWA heißt: Es tritt eine „rasche Stabilisierung von Interessen nach dem 30. Lebensjahr“ ein.

Im Leben von Otto und Ottilie Normalverbraucher, formuliert Köcher, gebe es viele Konstanten. Rund 80 Prozent sehen werktäglich mindestens zwei Stunden fern, 78 Prozent sind sehr familienorientiert und legen Wert auf enge Beziehungen zu anderen Menschen, 76 Prozent laufen Lebensmittel meist in denselben Geschäften und 71 Prozent haben einen weitgehend regelmäßigen Tagesablauf. Immerhin ein gutes Drittel (35 Prozent) gibt an, privat oft unterwegs zu sein und prinzipiell viel zu unternehmen.

Technik ändert Kundenverhalten

Was die aktuellen Ergebnisse der AWA aber auch belegen: Der technologische Fortschritt verändert in starkem Maße das Kommunikations- und Kaufverhalten. Die Zahl jener, die sich häufig von unterwegs aus dem Internet informieren, ist binnen eines Jahres um 45 Prozent auf 12,3 Millionen Personen gestiegen und gar 14,4 Millionen gehen via Smartphone online (plus 41 Prozent). Als „intensive Online-Käufer“ bezeichnen sich zwar erst 1,1 Millionen, das sind jedoch 31 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Ebenfalls um fast ein Drittel (plus 31 Prozent) auf 2,4 Millionen hat die Zahl der zumindest gelegentlichen Nutzer elektronischer Bücher zugenommen. Zu gelegentlichen Lesern von Zeitungs- und Zeitschriften-Apps zählen sich 3 Millionen Menschen, was einem Plus von 19 Prozent gegenüber 2012 entspricht.

Die Mediengewohnheiten ändern sich, ja, aber nicht so rasch und radikal wie vielfach angenommen. Die genannten Apps von Printmedien werden auf Smartphone und Tablet-PC vor allem von den 14- bis 29-Jährigen heruntergeladen. Mit einem Anteil von 8 Prozent (Vorjahr: 6,9 Prozent) ist die Nutzung hier höher als bei den 30- bis 44-Jährigen (6,5 Prozent). Der Abstand zu den 45- bis 59-Jährigen (3,5 Prozent) ist deutlich.

Leicht rückläufig ist der Fernsehkonsum, am ausgeprägtesten bei den 14- bis 19-Jährigen. 42 Prozent dieser Altersgruppe schaut pro Tag drei und mehr Stunden TV, im Jahr zuvor waren es noch 48 Prozent. Der Durchschnitt in der Gesamtbevölkerung liegt bei 53 Prozent (2012: 55 Prozent), wobei den Mittelwert ausschließlich die Älteren ab 60 Jahre übertreffen.

Die Reichweitenentwicklung bei den Printmedien verläuft negativ: Von den 240 Printtiteln und Belegungseinheiten, die in der AWA untersucht wurden, konnten 45 ihre Reichweite gegenüber dem Vorjahr steigern, 93 aber verloren Leser. Auf die drei Segmente mit den höchsten Einbußen – Programmpresse, Magazine zu den digitalen Technologien und wöchentliche Frauenzeitschriften – entfallen dabei 72 Prozent der bilanzierten Verluste.

Bei fast 43 Prozent aller Titel (102) gab es keine Veränderung. Insgesamt errechnete das Institut für Demoskopie Allensbach ein Minus von 1,7 Prozent für sämtliche Magazine und Zeitungen, während die 35 innerhalb der vergangenen zehn Jahre gegründeten Titel ihre Kontaktsumme gegenüber der AWA 2012 um 5,7 Prozent steigern konnten. Zeitschriften, auch das geht aus der Studie hervor, sind in der jungen Generation längst kein Auslaufmodell. Die 14- bis 29-Jährigen lesen insgesamt zwar etwas weniger Titel als die älteren Zielgruppen, doch fast zwei Drittel (63 Prozent) nutzen immerhin 7 und mehr Zeitschriften.