„Der richtige Ansatz im richtigen Moment“

Peter Braun ist seit Januar 2014 CEO und Country Manager bei Ipsos Deutschland. Im Interview für absatzwirtschaft.de spricht er über aktuelle Herausforderungen in der Marktforschung.

Herr Braun, immer mehr Insights über Verhalten und Einstellung der Konsumenten immer schneller auf den Tisch, das wünschen sich Marketingchefs und CEOs. Kein Wunder, sollen diese doch auch immer schneller auf Kundenwünsche reagieren können. Ist das die neue Marktforschungswelt?

Grundsätzlich besteht der Trend, dass viele unserer Kunden mehr Ergebnisse immer schneller wollen. Das liegt zum einen daran, dass die Geschwindigkeit in allen Aspekten unseres Schaffens zugenommen hat, wie zum Beispiel kürzere Produktentwicklungszyklen, schnellere Verfügbarkeit von Daten etc. Zum anderen liegt es daran, dass die Budgets unserer Kunden weiter unter Druck sind, der Informationsbedarf an sich aber eher steigt. Die Anzahl der von unseren Kunden angebotenen Produkte und Dienstleistungen hat in den letzten zehn Jahren signifikant zugenommen durch geographische Expansion oder immer neue Nischen und Zielgruppen. Somit reicht es heute nicht mehr, nur ein paar Hauptprodukte oder Kaufeinstellungen großer Zielgruppen durch Basisstudien abzusichern. Und schließlich werden Konsumenten heute viel spezifischer und auch jenseits der reinen Durchschnittswerte erforscht und analysiert. Aus diesen Gründen differenzieren unsere Kunden heute und sicher auch zukünftig noch besser, wann sie welchen Forschungsansatz wählen. Nach wie vor haben die großen und klassischen Ansätze in vielen Marktforschungsbereichen ihre Existenzberechtigung und sie können auch (noch) nicht mit einfachen und schnellen Verfahren ersetzt werden. Dies gilt zum Beispiel für sehr anspruchsvolle Zielgruppen, komplexe Studiendesigns oder lange Fragebögen in der Media- oder Sozialforschung. Daneben entwickelt sich aber ein immer größerer Markt für schnelle kostengünstige Lösungen, die für einfachere Fragestellungen und bei hohem zeitlichem Druck durchaus sinnvolle Ergebnisse und Handlungsempfehlungen liefern können. Entscheidend ist, dass man die richtigen Ansätze für die richtige Problemstellung nutzt. Hierbei können wir unsere Kunden optimal unterstützen und begleiten, und zwar am besten so früh wie möglich im Prozess.

Die Marktforschung wird also schneller, Budgets werden enger oder in neue Forschungsfelder verschoben. Wie reagiert Ipsos darauf?

Ich denke, wir haben bei Ipsos schon oft bewiesen, dass wir uns diesen neuen Anforderungen unserer Kunden gerne stellen und kreative Lösungen finden. Sonst wären wir in den letzten Jahren auch nicht schneller als der Markt gewachsen. Ein paar Beispiele: Im Bereich der Kundenzufriedenheitsforschung setzen Kunden in verschiedenen Branchen verstärkt auf Realtime-Feedbacksysteme. Hier haben wir global schon Systeme mit sehr unterschiedlichen Anforderungen verwirklicht. Social Media ist ja auch immer ein gern genommenes Beispiel, wenn es um die Verschiebung von Mafo-Budgets geht. Hier sind wir mit einer speziellen Unit weltweit und auch in Deutschland gut aufgestellt, beispielsweise mit Social Listening oder den Social Communities, die wir für unsere Kunden gestalten. Die rasante Wachstumskurve bei Smartphones und Tablets ermöglicht neue Befragungs-, aber auch Reportingmöglichkeiten, die wir unseren Kunden mit Ipsos Mobile anbieten können. Und nicht zu vergessen unsere globale Better, Quicker, Cheaper Initiative, einem globalen Ansatz des Verbesserungsmanagements, mit dem wir weltweit Prozesse optimieren und kreative Lösungen für unsere Kunden entwickeln. Teilweise sind das sehr innovative Ansätze, manchmal aber auch eine logische Weiterentwicklung bestehender Methoden. Und natürlich kommen wir dem schon eingangs erwähnten Bedürfnis unserer Kunden nach schnellen und kostengünstigen Lösungen entgegen. So können wir inzwischen einen Konzept-Test mit InnoQuest*Ideas Overnight in 18 Stunden durchführen oder mit ASI Check eine Werbung innerhalb von 72 Stunden testen. Dadurch, dass wir so breit aufgestellt sind, können wir insgesamt recht flexibel auf neue Anforderungen reagieren.

Dass auch bei manchen Marketern die Erkenntnis wächst, dass schnelle, nackte Zahlen nicht alles sind, zeigt die Popularität von tiefenpsychologischen Ansätzen oder das Interesse an Hirnforschung. Inwieweit sind diese Ansätze mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes praktikabel?

Heute wie früher ist es wichtig zu verstehen, warum Konsumenten welche Entscheidungen treffen und welche Motivationen dahinter liegen. Für unsere Kunden machen wir bei ihren Konsumenten das Unbewusste erlebbar und generieren so wirkliche Insights. Dafür gibt es eine Reihe von Ansätzen, die auf psychologischen Erkenntnissen beruhen, wie etwa Censydiam, und die nach wie vor mit großem Erfolg zum Einsatz kommen. Daneben gibt es neuere Methoden in Form von verschiedenen Messungen: Hirnströme, Hautschweiß, Augenbewegungen etc. So kann man natürlich zusätzliche Informationen erhalten, also beispielsweise wann genau bei einem Werbespot welche Emotionen erzeugt werden. Hier halte ich jedoch implizite Messverfahren wie beispielsweise Facial Coding (siehe Glossar) für die sinnvollsten und auch praktikabelsten, da diese kostengünstig und ohne einen infrastrukturellen und damit gegebenfalls verzerrenden Eingriff in die Befragungssituation erfolgen können. Durch die globale Kooperation mit Realeyes, dem führenden Anbieter für Facial Coding und physiologische Messungen, sind wir in diesem Bereich sehr gut aufgestellt. Komplexeren Verfahren wie Messung von Gehirnströmen etc. setzen sich meiner Meinung nach deshalb weniger gut durch, da dies keine unbeeinflusste natürliche Befragungssituation zulässt. Da gehen Kunden dann oftmals gleich ganz andere Wege und suchen andere Ansätze.

Spätestens beim Enterprise Feedback Management (siehe Glossar) und bei der raschen Analyse großer und womöglich unstrukturierter Textmengen zum Beispiel aus den sozialen Medien stellt sich die Frage, ob Marktforscher für den Umgang mit Big Data gerüstet sind …

Das glaube ich schon. Wir sind sicher nicht immer die größten Experten auf der technischen Seite. Wenn nötig suchen wir uns dafür Kooperationspartner. Wo wir als Marktforscher jedoch einen erheblichen Beitrag leisten können, ist durch das Einbringen unserer Analysefähigkeiten, unseres fachlichen Knowhows und fundierter Marktkenntnis. Denn nur durch die Kombination dieser Faktoren kommt am Ende ein Mehrwert für unsere Kunden heraus. Es hat sich beispielsweise als durchaus sinnvoll herausgestellt, Big Data mit gezielten kurzen Befragungen anzureichen, die vor allem über das „Warum“ Aufschluss geben, ein Aspekt den man aus Big Data in der Regel nicht ziehen kann. Hier sollten wir als Branche also durchaus etwas mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen.

Nie haben Konsumenten so viel freiwillig von sich preisgegeben – doch auf der anderen Seite steigt der Unwille, sich von telefonischen Umfragen nerven zu lassen, und die Befürchtung, die eigenen Daten würden missbraucht. Das macht die Arbeit von Marktforschern nicht leichter, oder?

Das ist leider wahr. Neben den „anständigen“ Marktforschungsunternehmen gibt es weiterhin einige schwarze Schafe, die über getarnte telefonische Befragungen Vertriebsmodelle fahren, die uns dann durch eine rückgängige Befragungsbereitschaft das Leben schwer machen. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, gut geschulte Interviewer zu haben, die möglichen Bedenken seitens der Befragten professionell begegnen können. Hier investieren wir schon seit Jahren sehr gezielt. Als Mitglied der großen Mafo-Verbände bauen wir außerdem auf deren Lobbyarbeit, zum Beispiel als es 2009 um die Verschärfung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) ging und die Strafen für unerlaubte Werbeanrufe deutlich verschärft wurden. Gerade sind wir offizielles Fördermitglied der ebenfalls von den Verbänden getragenen Initiative für Markt- und Sozialforschung geworden, in der wir bereits seit Jahren aktiv mitarbeiten. Hier geht es um die gezielte Aufklärung der Bevölkerung über die Arbeit von uns Marktforschern.

Und es ist ja nicht so, dass 100 Prozent unseres Geschäfts aus telefonischen Konsumentenbefragungen besteht. Wir forschen auch im B-to-B-Bereich, wir führen Online-Befragungen durch, Social Listening, Beobachtungen, Gruppendiskussionen, ethnografische Forschung, Mystery Research oder laden in spezielle Communities ein.

Apropos Arbeit von Marktforschern: Wie wird sich das Berufsbild des Marktforschers Ihrer Ansicht nach verändern?

Ich glaube, es hat sich schon verändert. Früher konnte man noch fast allein durch methodische Kompetenz und eine gute Datenqualität überzeugen und Projekte gewinnen. Das ist heute anders. Datenqualität sehen unsere Kunden heute als Hygienefaktor, methodische Kompetenz als „normales“ Handwerkszeug. Für Markforscher von heute ist es wichtig, weitere Fähigkeiten und Kenntnisse für unsere Kunden nutzenstiftend einzubringen. Hier geht es um technologisches Knowhow, Kenntnisse rund um die digitalen und sozialen Medien, ein Grund, warum bei uns immer mehr „Digital Natives“ arbeiten. Neben Innovationsstärke und Kreativität brauchen wir heute eine immer bessere Beratungsqualität, Branchenexpertise und mehr Mut zu klaren Handlungsempfehlungen jenseits der reinen Daten. Neben diesen Profilanforderungen achten wir bei Ipsos aber auch ganz stark auf die weichen Faktoren wie Auftreten, Begeisterungsfähigkeit, Kommunikation, Empathie und Authentizität. Denn am Ende machen Menschen den Unterschied aus und nicht irgendwelche Daten.

Glossar

Enterprise Feedback Management

Sammeln, was zum Kunden gehört – Unternehmen setzen Enterprise Feedback Management (EFM)-Systeme ein, um möglichst alle relevanten Informationen über ihre Kunden zu bündeln und systematisch auszuwerten. Ob sie nun aus der externen oder internen Marktforschung kommen, ob es sich um Daten aus den eigenen Callcentern oder der Reaktion auf den Webauftritt oder die Facebook-Präsenz handelt. Ob es Verkaufsdaten sind oder Befragungsergebnisse. Zentrales Element ist dabei, jeden Mitarbeiter mit Kundenkontakt mit den Informationen aus der Analyse auszustatten, die er braucht. Sei es, dass er damit schneller auf Beschwerden reagieren kann, sei es, dass er schneller weiß, was wirklich beim Kunden ankommt.

Hier lesen Sie, wie EFM und Marktforschung zusammenarbeiten können: EFM: „Ist es noch Marktforschung oder ist es schon Marketing?“

Facial Coding

Du verrätst mehr als du sagst: Beim Facial Coding untersucht man Mimik und Kopfbewegungen von Probanden, um herauszubekommen, welche Emotionen das von den Testpersonen Beobachtete auslöst – dabei geht man davon aus, dass die Mimik kaum unter bewusste Kontrolle gebracht werden kann, die Resultate daher unverfälschter sind als bei Befragungen. Die Technik, die Forscher in der Verhaltenspsychologie nach festen Standards manuell einsetzen, gibt es inzwischen auch – in etwas abgespeckter Fassung – als automatisches Verfahren: Dazu sitzen die Testpersonen lediglich vor der Webcam ihres Rechners oder Tablets, Softwareanbieter wie Real Eyes analysieren die Reaktionen dann über ihre Rechner.

Mehr zum Verfahren und zum Einsatz in der Werbewirkungsforschung finden Sie hier: „The more people feel, the more they remember“