Der Podcast-Boom bleibt, Werbung kommt

Das Interesse an Podcasts ist riesig, die Reichweite und die Zahl der Angebote steigen weiter. Ein überwiegend junges Publikum und spezielle Vermarktungsformate machen das Medium als Werbeträger attraktiv.
Frau hört Musik am Strand
Spotify hat die Zahl seiner Podcasts innerhalb eines Jahres um 500.000 auf über 1,9 Millionen vervierfacht. (© Spotify)

Vor etwa drei Jahren lernten sich Sonny Loops und Adorable Caro auf Instagram kennen. Die beiden Influencerinnen fanden einander schnell sympathisch, inzwischen sind sie beste Freundinnen und haben sich viel zu erzählen. Die Medienprofis tun das gerne öffentlich: In ihrem Podcast „Pussytalk“ tauschen sie sich über alle möglichen Lebensfragen und -lagen aus. Die wöchentlichen Folgen, ausgestrahlt auf der zur RTL-Gruppe gehörenden Plattform Audio Now, kommen so gut bei ihrem Publikum an, dass „Pussytalk“ nun einen Schritt weiter geht – auf Tournee. Ab April werden Sonny und Adorable unter anderem in Berlin, Frankfurt, Hamburg und München live auf der Bühne zu erleben sein.

Es ist nicht die einzige Zweierkombi, die hoch im Kurs steht: Podcasts wie „Apokalypse & Filterkaffee“, „Dick & Doof“, „Lanz & Precht“, „Fest & Flauschig“ oder „Offline+Ehrlich“ zählen zu den beliebtesten Audioformaten in Deutschland. Überhaupt haben sich Podcasts zu einer großen Erfolgsgeschichte entwickelt. Spotify bietet aktuell 3,6 Millionen Podcasts. Die Anzahl der deutschsprachigen Formate beläuft sich auf rund 70.000. 

Fast vier von zehn Menschen in Deutschland (38 Prozent) hörten sie laut Bitkom 2021 „zumindest selten“, zwei Jahre zuvor waren es erst 26 Prozent. Zehn Prozent schalten sogar täglich und sieben Prozent wöchentlich ein. Die repräsentative Erhebung des Digitalverbands – er befragte über 1000 Personen ab 16 Jahren – bestätigt, dass Podcasts vor allem ein „junges Medium“ sind: Unter den 16- bis 29-Jährigen werden sie von mehr als der Hälfte (53 Prozent) gehört, jeder Fünfte von ihnen (19 Prozent) schaltet täglich ein.

Corona, News und Comedy am gefragtesten

Zu den meistgenannten Themen, die Podcastnutzer*innen interessieren, gehörten 2021 das Coronavirus (73 Prozent), Nachrichten (65 Prozent) und Comedy (49 Prozent). Selbst klassische Newsapps werden immer öfter gehört statt (nur) gelesen. So meldet das von Axel Springer redaktionell betreute und auf Samsung-Geräten vorinstallierte Nachrichtenportal Upday einen deutlichen Anstieg der Podcastzahlen. 2021 haben 44 Prozent mehr Nutzer*innen Podcasts innerhalb der App gehört als im Jahr zuvor, und das am häufigsten in den Vormittagsstunden zwischen 8 und 11 Uhr.

Zwar betreiben etliche Promis wie die TV-Größen Markus Lanz („Lanz & Precht“) und Klaas Heufer-Umlauf („Baywatch Berlin“) erfolgreiche Podcasts, doch für die Nutzer*innen spielt Berühmtheit eine untergeordnete Rolle, wie eine Quote von 19 Prozent in der „Podcast User Studie“ von Annalect (Omnicom Media Group) belegt. Deutlich mehr Wert legt das Publikum – neben dem Inhalt – auf eine angenehme Stimme der Podcast-Mitwirkenden (70 Prozent) und auf freie Zugänglichkeit (71 Prozent). Sprich: Leute wollen Podcasts hören, ohne sich anmelden oder bezahlen zu müssen.

Was für Publisher die Frage nach der Finanzierung aufwirft und für Marken nach spannenden Werbegelegenheiten. Das Medium Podcast und Werbung darin, das sind noch zarte Pflänzchen. Das Monheimer Institut ist im Auftrag des Audiovermark­ters RMS unter anderem der Frage nachgegangen, wie Nutzer*innen auf Werbung in einem Podcast reagieren. 41 Prozent von 5000 Befragten finden sie „akzeptabel“ oder „sehr akzeptabel“. Wenn durch Werbung ein Podcast kostenfrei angeboten werden kann, sagen 70 Prozent, dass sie „voll und ganz“ oder „eher“ zustimmen.

Werbeumsatz in zwei Jahren verdoppelt

Der Boom des jungen Hörmediums hat die Neugier der Werbetreibenden geweckt. „Podcasts werden bei unseren Vermarktungskunden immer beliebter“, sagt Michael Stützle von der Motor Presse Stuttgart und berichtet von einem binnen Jahresfrist um 30 Prozent gestiegenen Umsatz. Wirtschaftlich ist der Podcastmarkt noch ein Leichtgewicht. Für 2021 prognostizierte der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) für Online­audio einen Werbeumsatz von 78 Millionen Euro, 20 Millionen entfallen davon auf Podcasts. Das wäre gut doppelt so viel wie zwei Jahre zuvor, aber bliebe noch weit entfernt von den Dimensionen in den USA. Dort nähern sich die Ausgaben für Podcastwerbung laut Werbe- und Medienverband International Adver­tising Bureau (IAB) der ersten Dollarmilliarde.

Umso ambitionierter geben sich die Akteure hierzulande. „Der Markt ist für die Werbung hochinte­ressant. Denn mit dem Medium Podcast und seiner Kernzielgruppe der 20- bis 35-Jährigen liegen wir genau zwischen TV und YouTube“, sagt Katharina Frömsdorf, Geschäftsführerin der Sevenone Adfactory und Verantwortliche für Sevenone Audio, Teil der ProSiebenSat1-Media-Gruppe. Aus ihrer jüngsten Studie „Podcast: Nutzung und Werbewirkung“ ergäben sich drei zentrale Erkenntnisse. Erstens: Native Ads, also von den Hosts eingesprochene Werbebeiträge, funktionieren besser als Radio- oder (fremdeingesprochene) Audiowerbung. Zweitens: Native Podcastwerbung sei besonders wirkungsstark und aktiviere die Hörerschaft stärker. Drittens: Podcasts erreichen auch Menschen, die über lineares Fernsehen nicht mehr so leicht zu erreichen seien, und schaffen dadurch neue, zusätzliche Reichweite.

„Host-Read-Werbeformate“ punkten beim Publikum

Podcastwerbung folgt anderen Regeln als ein herkömmlicher UKW-Spot. Die hausgemachten Werbeformate, im Fachjargon „Host-Read-Formate“ genannt, weil sie vom Gastgeber des Podcasts eingesprochen werden, punkten durch Personalisierung und wirken gut. Der Nachteil: Es entsteht ein unverhältnismäßig hoher Abstimmungs- und Kostenaufwand für Werbetreibende, wenn sie sich mit den Publishern einzelner Podcasts auf ein konkretes Konzept einigen müssen. Darauf weist Katharina Zeschke hin. Vermarkter wie RMS, dessen Leiterin Business Development sie ist, setzen auf eine dynamische Ausstrahlung von Werbemitteln. RMS hat einen sogenannten „Spot Creator“ gelauncht. Durch diese webbasierte Self-Service-Plattform können Kund*innen „den kompletten Produktionsprozess einfach und transparent in wenigen Schritten durchlaufen. Die Kosten sind als Fixpreis in die Kampagnenkosten integriert“, so Zeschke.

Je flexibler in der Umsetzung, desto attraktiver wird Podcastwerbung für Un­ter­nehmen. „Mit unserem Ad Server können wir Native Ads dynamisch ausspielen, zum Beispiel auch in alten Folgen, und vergrößern damit signi­fikant unser Inventar“, sagt Alexander ­Krawczyk, SVP bei Sevenone Audio. Dadurch lassen sich auch Reichweiten garantieren und Schwan­kungen zwischen einzelnen Folgen ausgleichen. Native Werbung sei jetzt genau planbar und transparent, so Krawczyk, „und wird immer öfter Teil des Mediamix“.

Der Artikel erschien zuerst in der Januar/Februar-Printausgabe der absatzwirtschaft.

Roland Karle (rk, Jahrgang 1966) schreibt über Marken & Medien, Beruf & Sport. Hat BWL/Marketing an der Uni Mannheim studiert, bei einer Tageszeitung volontiert und arbeitet seit 1995 freiberuflich. Er porträtiert gerne Menschen in Zeilen und Märkte durch Zahlen. Hang zum Naschkater und Volltischler. Im früheren Leben ein fröhlicher Libero.