Der emotionale Abschied von Technologien

Der letzte japanische Pager-Anbieter hat seinen Dienst eingestellt. Das Ende ist für viele Japaner höchst emotional. Denn kein anderes Land ist einerseits technologisch führend, aber kann nur schwer von veralteten Gewohnheiten lassen. Der Abschied von Technologien kann durchaus traurig sein.
Pager
Zu Grabe getragen: Bestattungsfirma aus Tokio baute in der Nähe eines Bahnhofs ein Zelt auf, damit die Leute dem Pager Respekt zollen können.

Japans letzter Pager hat seinen letzten Piepton abgegeben. Tokyo Telemessage, der einzige verbliebene Pager-Anbieter des Landes, hat diesen Herbst nach einem Jahrzehnt schwindender Abonnenten seine Funksignale abgeschaltet. Zuletzt bleiben ihm weniger als 1.500 Abonnenten, die meisten davon stammen aus dem Gesundheitswesen. Pager wurden zum ersten Mal in den 1960er Jahren in Japan in den Handel gebracht und hießen Pokeberu (Taschenglocken). Sie waren lange die beliebteste Art, jemanden von unterwegs aus zu kontaktieren. Anrufer konnten eine kurze Nachricht senden, indem sie eine Pager-Nummer aus dem Festnetz wählten.

Pager wurde ursprünglich verwendet, um Verkäufer zu erreichen, die unterwegs waren, wurde aber später zu einem Statussymbol, das an Gürteln befestigt wurde, um Fleiß zu demonstrieren. Bis Ende der 1980er Jahre gab es weltweit 60 Millionen Pager-Nutzer. In den neunziger Jahren trieben weibliche Schüler den Pager-Boom weiter voran, als sie clevere Kombinationen für den Austausch von Nachrichten entwickelten. Die Zahl der Pager-Nutzer lag 1996 noch bei über zehn Millionen. Ab dieser Zeit sanken die Zahlen der Kunden und Anbieter jedoch, da die ersten Smartphones auf den Markt kamen. Nun sind sie Geschichte, obwohl sie sich ständig weiterentwickelt haben. In Großbritannien sind 86 Prozent der Kinder über sechs Jahre in Großbritannien nicht in der Lage, einen Pager zu identifizieren.

In Großbritannien werden Pager in Krankenhäusern verwendet

Der letzte private Abonnent, so japanische Medien, soll Ken Fujikura gewesen sein, der seinen Pager behalten hatte, weil es die bevorzugte Art seiner 80-jährigen Mutter war, ihn zu kontaktieren. In Großbritannien verwendet der Nationale Gesundheitsdienst – hauptsächlich dank des zuverlässigen Empfangs in Krankenhäusern – immer noch 130.000 Pager, die jedoch bis 2021 eingestellt werden sollen. Wie emotional das Ende der Pager-Zeit ist, zeigt die letzte Marketingmaßnahme des Unternehmens: Eine Tokioter Bestattungsfirma baute in der Nähe eines Bahnhofs ein Zelt auf, damit die Leute Blumen legen und dem Ende des Pokeberu ihren Respekt zollen konnten.

Ein Foto eines Pagers zeigte die Meldung „1141064“, japanischer Pager-Code für „Wir lieben dich“. In kaum einem Land ist Technologie dank der Großkonzernen Nintendo, Panasonic oder Sony so präsent wie in Japan. Dennoch kommen veraltete technologische Gewohnheiten gerade in Japan nicht vollständig zum Erliegen. Im Jahr 2015 berichtete die BBC, dass Faxe und Kassetten immer noch verbreitet waren.  Ein Regierungsminister gab erst im vergangenen Jahr zu, dass er noch nie einen Computer benutzt hatte. Der fragliche Politiker, Yoshitaka Sakurada, war zu dieser Zeit Cybersicherheitsminister.

Generation Smartphones: Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen kennt heute weder Teletext noch Diskette. (Quelle: Statista)

Die junge Generation kann die Emotionalität, die viele ältere mit Technologie verbinden kaum nachvollziehen. Dabei waren Pager die erste Form der mobilen Kommunikation. Heutige Innovationen sind strenggenommen Weiterentwicklungen, der Pager war eine wirklich bahnbrechende Kommunikationsform. Dies belegen auch die Beispiele drei weiterer Technologien, die mittlerweile überholt sind:

Die Diskette

Für die meisten Menschen, die vor den 90er Jahren geboren wurden, war eine „3 1/2 Zoll Diskette“ einst ein entscheidender Bestandteil ihres technologischen Lebens. Sie bot Sicherung und Transport wichtiger Dateien und Daten. Mitte der neunziger Jahre wurden weltweit jährlich mehr als fünf Milliarden Disketten verkauft. Disketten, die erstmals in den 1970er Jahren von IBM hergestellt wurden, waren der Schlüssel zum Wachstum der Softwareindustrie. Natürlich ist der Speicherplatz von 1,44 MB heutzutage alles andere als ausreichend und keine neuen Computer sind mit einem geeigneten Laufwerk für die Festplatten ausgestattet. Kein Wunder also, dass die Mehrheit der Kinder heutzutage keine Ahnung hat, was eine Diskette ist. Ironischerweise nutzen allgegenwärtige Softwareprogramme wie Word und Excel immer noch ein Diskettensymbol für ihre „Speichern“-Schaltflächen.

Der tragbare Kassettenrekorder

Der Sony Walkman revolutionierte die Musik, als er 1979 eingeführt wurde. Statt eines großen Tonbandgeräts konnten die Menschen Kopfhörer anschließen, eine Kassette einlegen und unterwegs ihre Lieblingsmusik hören. Bis 1992 hatte Sony 100 Millionen Einheiten verkauft. Als Zeichen seines kulturellen Einflusses wurde das Wort „Walkman“ in das Oxford English Dictionary aufgenommen. Die ursprüngliche Maschine wog knapp ein halbes Kilogramm und kam später in solarbetriebenen und wasserbeständigen Modellen. Seine klobige Form ist weit entfernt von den handlichen, leichten Geräten, die Jugendliche heute gewohnt sind. Dennoch, Walkmans waren aufgrund ihrer Beliebtheit der Ausgangspunkt, von dem Innovationen wie der iPod und das Smartphone entwickelt wurden.

Der Videorecorder

Dank Mediatheken muss keiner mehr seine Lieblingssendungen aufzeichnen. Aber das ist genau das, was die Leute mit Videorecordern (VCRs) gemacht haben. Durch eine Kombination aus handlichen Magnetbändern und einfacher Programmierung, musste niemand eine Episode verpassen. Die letzten Videorecorder sind 2016 vom Band gelaufen und haben nicht nur die Sehgewohnheiten, sondern auch die Zukunft von Filmverleihketten wie Blockbuster verändert. Videokassetten wurden durch DVDs abgelöst, Online-Verleiher rückten in den Vordergrund und Streaming-Dienste verwandelten die Branche für immer. In den neunziger Jahren gab es weltweit 9000 Blockbuster-Läden. Heute gibt es nur einen in der US-amerikanischen Stadt Bend, Oregon, in dem nostalgische Gäste weiterhin Filme auf altmodische Weise sehen können.

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