Das verantwortungsvolle Unternehmen als Sinngeber

Unternehmen aller Größenordungen setzen vermehrt auf soziales und ökologisches Engagement. Denn wer heute seine Produkte und Dienstleistungen verkaufen will, muss sich in der Regel auch als aktiver Bestandteil der Gesellschaft positionieren – und sei es nur, um Goodwill und Akzeptanz am Standort zu erzeugen.

Die Bedeutungszunahme image- und identitätsorientierter Kommunikation ist zu einem Megatrend geworden, der im privaten Bereich als Reflex auf der Suche nach Sinnfindung und Selbstverwirklichung zu deuten ist. Unternehmen bewegen sich inzwischen nicht mehr nur auf dem Niveau von Produkten, Preisen und Werbung. Sie verstehen sich heute als Marke, die nach einer starken und überzeugenden Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung trachten. Die Koordination von Leistung („Für was steht die Marke?“), Erscheinungsbild („Wie präsentiert sich die Marke visuell?“) und Verhalten („Wie agiert die Marke im Markt?“) zu einer konsistenten Corporate Identity vereint in diesem Zusammenhang Traditionen, strategische Ziele und das spezifische kulturelle Selbstverständnis eines Unternehmens zu Vorstellungsbildern. Diese sollen im Idealfall nach außen Geschlossenheit und Profil demonstrieren und nach innen Motivation und Identifikation ermöglichen.

Leistung plus ethische Grundhaltung
Zunehmend werden aus der Erkenntnis großer Herausforderungen in Gesellschaft und Umwelt auch Unternehmen zu bewusstem Handeln und zum Engagement aufgefordert. Insbesondere die Verhaltensdimension einer Corporate Identity erfährt in diesem Zusammenhang eine Aufwertung: Leistung wird zunehmend auch danach bemessen, inwieweit es gelingt, in sozialer, ökologischer und ethischer Hinsicht korrekt und glaubwürdig zu agieren.
Ein wichtiger Aspekt ist hier die Tatsache, dass in vielen Unternehmen die Führung der (Gründer-) Familie einem Management von außen gewichen ist. Während oftmals Unternehmensgründer bzw. deren Familien als moralische Instanzen galten, ist nicht selten ein „Werte-Vakuum“ entstanden, das gefüllt werden musste.

Weltweite Unternehmen setzten während des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg vermehrt auf Umweltschutz und soziale Verantwortung. Internationale Konzerne traten auf dem Weltgipfel offensiv wie nie zuvor auf. BMW beispielsweise präsentierte in Johannesburg eine aufgeblasene Erdhalbkugel und sich selbst als ein Unternehmen, für das Nachhaltigkeit „keine ferne Vision“ ist. Dass Umwelt und soziale Entwicklung genauso zusammengehören wie Ökologie und Ökonomie, haben die deutschen Autokonzerne übrigens in ihren Fabriken in Südafrika gelernt. Daimler-Chrysler wurde in diesem Zusammenhang für sein umfassendes Aids-Betreuungsprogramm für die eigene Belegschaft ausgezeichnet. Der Konzern fördert auch mit der Deutschen Umwelthilfe den Schutz von Feuchtgebieten am Kap.

Und auch in Deutschland geschieht einiges: Nach der Flutkatastrophe gewährten viele Unternehmen den Betroffenen zusätzlich zu ihren Spenden Rabatte und zinslose Darlehen. Der Erfolg von Naomi Kleins Buch „No Logo“ zeigt in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung der Marken- und Unternehmensidentität auf: Indem die Autorin schlechte Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten der Unternehmen in den Entwicklungsländern anprangert, zeichnet sie den Trend auf. Die Öffentlichkeit überwacht zunehmend das Tun der Unternehmen und Marken. Damit steigt das Risiko eines Imageverlusts. Und Boykotte gegen Shell und McDonald`s zeigen nur, dass auch starke Brands angreifbar sind.

Wirtschaft im Sog der Skandale
In Deutschlands Medien prägen auch moralische Verurteilungen und Appelle in diesem Zusammenhang zur Zeit die öffentliche Kommunikation. Besonders fällt auf, dass sich die aktuelle Welle der Skandalisierung wie noch nie zuvor in der Geschichte der Moderne nicht nur auf das politische System bezieht, sondern immer mehr die Wirtschaft betrifft. Das hat mehrere Gründe, wie

  1. Personalisierung der Wirtschaft
    Im Kontext der Personalisierung auch der Wirtschaftsberichterstattung wurde die unpersönliche Form der Darstellung von Unternehmen durch eine personalisierte Kommunikation abgelößt: Das Image der Unternehmen wird immer stärker auf die Glaubwürdigkeit ihrer Führungspersonen reduziert.
  2. Polarisierung zwischen gut und böse
    Die Ressortgrenzen zwischen Politik und Wirtschaft verwischen zusehends. Nicht der Staatsbürger wird von den Medien angesprochen, sondern der Medienkonsument. Das heißt, es geht um Aufmerksamkeitsmaximierung. Diese teilt die Wirklichkeit in gut und böse ein und gibt nicht die Verhältnisse wieder, welche die Menschen und ihre Taten erst erklären.
  3. Zerfall gemeinsamer Standards
    Durch die Einkommensschere zwischen Führungskräften und Arbeitern wurden gemeinsame moralische Standards, wie Pflichterfüllung oder Arbeitsethos in ihrer Glaubwürdigkeit konterkariert. Heute verdient ein US-Top-Manager in der Regel etwa das 400-fache eines Arbeiters, in den achtziger Jahren war sein Verdienst gerade mal 70 mal so hoch. Die Wirtschaftselite verlor in der Folge sie Sensibilität für sozialmoralische Grenzen.

Die laufende Skandalisierungswelle begünstigt derzeit die moralische Aufladung des Konsums. Immer mehr Konsumenten und Einkäufer denken beim Kaufentscheid auch moralisch. Als Konsequenz der operieren immer mehr Unternehmen mit moralischen Bekenntnissen; sie implementieren Unternehmensethiken, die auch in der Außenkommunikation verwendet werden, sie erklären sich zu „Good Corporate Citizen“, zu werteorientierten Gesellschaftsakteuren. Sie lassen sich ihre Sozialverträglichkeit zertifizieren, bekennen sich zur Toleranz und zu einem sensiblen Umgang mit der Umwelt. Das Ergebniss sind neue Formen moralischer Selbstverpflichtung, deren Einhaltung insbesondere von den Medien beobachtet wird. Während in den 80` er und 90` er Jahren des 20. Jahrhunderts insbesondere Hersteller ethisch bedenklicher Güter als Förderer der Umwelt auftraten – die ersten Ökobilanzen entstanden – sehen sich heute alle Unternehmen zu gesellschaftlichem oder kulturellem Engagement gezwungen.

Wenn beispielsweise ein Lieferant der skandinavischen Einzelhandelskette „H&M“ günstige Kleidungsstücke von Kindern in der Türkei nähen lässt, dann wird das in Europa zu einem Imageproblem für die Marke. H&M sah sich aus Sicht der Marke und ihres Bildes in der Öffentlichkeit gezwungen, auch von seinen Lieferanten die Einhaltung der Leitlinie gegen Kinderarbeit einzufordern. Auch das Shell-Boykott nach dem Brent-Spar-Deasaster ist ein Beispiel dafür, dass Konsumente Marken durchaus auch unter moralischen Gesichtspunkten bewerten. Derzeit stehen Beweise der „political correctness“, des ethisch und moralisch einwandfreien Verhaltens ganz oben auf der Kommunikations-Agenda. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass der Einzelne, der Verbraucher, seine Konsumentscheidungen nicht nur von Preis und Qualität, sondern auch von moralischen Kriterien abhängig macht. Verhalten, Leistungen und Erscheinungsbild müssen koordiniert und glaubwürdig sein.

Aufnahme von gesamtgesellschaftlicher Verantwortung in Unternehmens-Leitlinien
The Body Shop ist in diesem Zusammenhang ein Beispiel für ein Unternehmen, das aus der Kombination von Handel und gesellschaftspolitischem Engagement Synergien zwischen der externen und internen Kommunikation nutzt. Im Rahmen des Konzeptes der „Caring Cosmetic“ („Pflege mit sozialer Verantwortung“) führt The Body Shop Initiativen mit Greenpeace, Friends of the Earth und Amnesty International durch. Die strikte Ablehnung von Tierversuchen, das ausgeprägte Umweltbewusstsein und faire Handelsbeziehungen mit Ländern der Dritten Welt gehen einher mit der ständigen Aufforderung an alle Mitarbeiter, sich für gesellschaftliche Themen zu engagieren.

Mit Blick auf gesellschafts- und umweltpolitischem Engagement ist es im Sinne einer kongruenten Unternehmens- und Markenidentität wichtig, Ziele für das Sozio- und Umweltengagement zu formulieren. Corporate Identity ist die strategische und damit inhaltliche Basis für diese Zielformulierung. So können Unternehmen und Marken Verantwortung zeigen, die Kompetenzanspruch, Leistung, Verhalten und das Erscheinungsbild in Einklang bringen. Die folgenden Aspekte sind dabei zu berücksichtigen.

  • Verantwortungsbezug: Dokumentation gesellschaftspolitischer Verantwortung in den Unternehmensleitlinien: Dieses übergeordnete Ziel trägt dazu bei, dass durch ein verstärktes Sozio- und Umweltsponsoring Akzeptanz und Vertrauen gegenüber dem Unternehmen bei ihren Zielgruppen ausgebaut werden.
  • Regionalbezug: Der Förderbereich sollte im Sinne des Corporate Citzen-Ansatz spezifische regionale oder lokale Problemstellungen in Angriff nehmen, die sich mit dem Einzugsbereich der Unternehmensstandorte decken. Dadurch wird die besondere regionale Verantwortung des Unternehmens dokumentiert.
  • Produktbezug: Aus der direkten oder indirekten Betroffenheit des Unternehmens mit sozialen und ökologischen Fragen aufgrund seines Leistungsprogramms sollte eine Verbindung zur Förderart vorliegen, wie der Schutz der Natur für Naturprodukte.
  • Zielgruppenbezug: Die intendierte Zielgruppe der Sponsoring-Aktivitäten leitet sich aus dem Bedarf eines Unternehmens nach einer intensiveren Kommunikation und einem direkten Dialog mit Kunden, (potenziellen) Mitarbeitern, Investoren der Öffentlichkeit ab.
  • Know-how-Bezug: Ein Förderbereich kann sich dadurch anbieten, dass das Unternehmen über spezielles Know-how verfügt, z.B. Produkte, das in besonderem Maße zur Lösung sozialer und ökologischer Aufgaben geeignet ist.

Zusammenfassung und Fazit
In einer veränderten Welt mit komplexen sozialen und ökologischen Herausforderungen sind Initiativen gefragt, die über das eigentliche betriebswirtschaftliche Handeln von Unternehmen hinaus gehen. Die Positionierung eines Unternehmens als Corporate Citizen erlaubt konstruktive Initiativen in einem erweiterten Rahmen, mit dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung als bewusst bestimmten Elementen eines sozialen und wirtschaftlichen Austauschprozesses. Doch dem „Sagen“ muss auch das „Tun“ folgen. Im Sinne einer erfolgreichen Corporate Identity gehören Bekenntnisse und Absichtserklärungen als Inhalte und Äußerungen einer Positionierung sowie ein entsprechend konsistentes Verhalten und ein stimmiges Erscheinungsbild zusammen. Tatsache ist: In einem Umfeld sozialer, politischer und wirtschaftlicher Turbulenzen kann die strategische Integration eines sozialen und ökologischen Wertesystems und deren gezielte kommunikative Umsetzung durch demonstratives gesellschaftliches und ökologisches Engagement wesentliche Impulse für eine auf Authentizität setzende Corporate Identity geben.


Autor: Christof Meixner leitet seit 1. Juli 2002 die Keysselitz GmbH, München. Das Beratungsunternehmen hat Marken wie Audi, Caritas, Deutsche Bahn, Diakonie und Webasto bei ihrer Profilierung begleitet.

eingstellt am 09. September 2002