Das Marketing von morgen

Das Internet der Dinge, die Automatisierung des Marketing, Crowdsourcing, Big Data und diverse Hardware-Innovationen werden die Marketinglandschaft in den nächsten 12 Monaten und darüber hinaus nachhaltig verändern.

Von Frank Puscher

Während er in Singapore aus dem Flugzeug steigt, würde Dr. John Barrett gerne wissen, wer sich im irischen Cork gerade auf seinem Bürostuhl breit macht. Nicht dass Barrett paranoid wäre. Das hat er nicht nötig, er ist Leiter des Nimbus-Instituts an der Universität von Cork und sitzt fest im beruflichen Sattel. Aber Barrett würde eben gerne seinen Bürostuhl an das Internet anschließen. Er würde ihm eine Identität geben, er würde ihn mit Sensoren ausstatten und er würde ihn drahtlos an ein Netzwerk anbinden. Der Stuhl selbst müsste nichts weiter tun, als die gemessenen Daten zum Beispiel über seine Position oder über die Person, die auf ihm sitzt, in das Internet zu übertragen und John Barrett könnte sie mit dem Smartphone abrufen. Willkommen im Internet der Dinge.

Das Internet von Morgen verbindet Gegenstände, Immobilien, natürliche Objekte, Tiere und Menschen miteinander. Genauer gesagt erfolgt die Verbindung zunächst mit dem Netzwerk als Knoten und die Verbindung zur anderen Gegenstelle entsteht adhoc, wenn der informationshungrige Nutzer sein Smartphone ebenfalls daran anschließt. Alternativ können die Dinge auch direkt miteinander Daten austauschen, ohne dass der Mensch überhaupt eingreift. Was sich wie Raketentechnik anhört kann mitunter recht banale Implikationen haben. So twittert der TacoTruck der gleichnamigen amerikanischen Fastfood-Kette seinen aktuellen Standort vollautomatisch an seine Twitter-Verfolger und an die Website. Hungrige Taco-Liebhaber wissen immer, wohin sie sich wenden müssen.

John Barrett erkennt sechs Grundmechanismen, die die Kommunikationslandschaft und mit ihr das Marketing in den nächsten Jahren fundamental ändern werden.

1. Information: Jedes Objekt, jedes Monument, jeder Mensch kann um ein digitales Profil ergänzt werden, das der Nutzer mit seinem Smartphone abrufen kann. Ein Klavier kann sich merken, wer auf ihm spielte und welche Melodie. Der nachfolgende Pianist könnte sich davon inspirieren lassen.

2. Messung: Nike hat sich mit dem FuelBand dieses Themas bereits angenommen. Das Band misst die tägliche Menge an Bewegung und meldet sie an eine Smartphone-App. Bewegt sich der Nutzer genug, leuchtet das Band in Grün. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Versicherungen die tägliche Bewegungsmenge zur Grundlage für Prämienrabatte machen.

3. Suche: Barrett würde Google endlich mal sinnvolle Dinge fragen. Etwa: Wo sind meine Autoschlüssel?

4. Organisation: Wer die Parameter der Dinge kennt, kann diese auch manipulieren und somit die Dinge organisieren. Barrett sieht diese Möglichkeit für grundlegend wichtig, um die schnell wachsenden Großstädte effizienter managen zu können.

5. Kontrolle: Nicht mehr das Individuum steuert den individuellen Gegenstand, sondern das System. Barrett nennt als Beispiel die intelligente Waschmaschine, die Energie aus dem Netzwerk anfordert. Das Netzwerk entscheidet, wann die Energie geliefert wird und wacht so über die Effizienz des Gesamtsystems.

6. Spiel: Jedes Objekt der realen Welt kann Teil eines digitalen Spiels werden. Während Augmented Reality Games heute nur mit Abbildern von realen Szenen arbeiten, die von den Kameras eingefangen werden, können in Zukunft auch die Menschen und Objekte in derartigen Szenen in Spielen eine Rolle spielen.

Natürlich ist das Smarthome eine der aktuell prominentesten Ausprägungsformen des Internets der Dinge. Das Ablesen von Statusmeldungen, die die Haustechnik absetzt via Internet kann durchaus praktischen Nutzen und Relevanz haben. Ob die Deutschen auf Dauer Kühlschränke wollen, die Milch automatisch im Supermarkt nachbestellen, wenn sie zur Neige geht, muss sich erst noch beweisen.

Der Kofferhersteller Rimowa, Airbus und T-Systems haben gemeinsam eine Idee ähnlicher Art fast zur Serienreife entwickelt. Bag2Go ist ein intelligenter Koffer, der mittels Sensoren sein eigenes Gewicht prüfen kann sowie die Zugehörigkeit zu einem Flug prüft und seine aktuelle Position einer Smartphone-App mitteilt. Während T-Systems und Rimowa den Ansatz recht schnell unterstützten, gab es bei Airbus Vorbehalte, weil der intelligente Koffer nicht direkt mit dem Kerngeschäft des Konzerns, dem Verkaufen von Flugzeugen zu tun hat.

Das änderte sich, als Airbus-Mann Jan Reh folgenden Zusammenhang herstellte: Wenn es gelingt, Transport und Übergabe von Gepäck für die Passagiere zu beschleunigen, dann werden weniger Fluggäste ihre Koffer mit in die Kabine nehmen. Das wiederum ermöglicht Airbus in künftigen Fliegern auf die Gepäckablagen über den Köpfen der Passagiere zu verzichten. Das wiederum berührt direkt den Kern der Wettbewerbsfähigkeit von Airbus. Man denkt sogar darüber nach, gläserne Dächer in die Flugzeuge einzubauen.

Mitunter verlangt das Internet der Dinge ein Umdenken von den Beteiligten, bevor der Nutzwert eines Ansatzes deutlich wird.

Marketing-Automation

Einfacher funktioniert es, wenn Datenquellen entstehen, auf die der Markt längst wartet. Schon seit geraumer Zeit beobachtet Google, dass die Werbekampagnen, die im Rahmen von Google Adwords geschaltet werden, immer öfter von Ereignissen in der nicht-digitalen Welt beeinflusst und mitunter extrem kurzfristig gebucht werden. Dem zugrunde liegt freilich die Beobachtung, dass die Nutzer bei Google das suchen, was sie auch im realen Leben bewegt. Das können politische Nachrichten, sportliche Ereignisse oder Klatsch und Tratsch über Prominente sein.

Einen sehr naheliegenden Ansatz fand der Dessous- und Bademodenanbieter Bravissimo. Er stellte fest, dass Nutzer keine erotische Unterwäsche oder Bikinis kaufen, wenn draußen das Wetter schlecht ist. Freilich ist das Wetter an unterschiedlichen Standorten verschieden, so dass eine sehr kleinteilige Steuerung der Kampagnen entsteht, wenn man sie vom Wetter abhängig macht. Das gelingt freilich nur über einen hohen Grad an Automatisierung. WeatherFit heißt die Software, die die lokalen Wetterdaten als Grundlage für die Aussteuerung der Anzeigen verwendet und mit deren Hilfe Bravissimo sein Werbebudget effizienter einsetzen konnte. Regenschirmhersteller und Museumsbetreiber aufgepaßt.

Neal Perkin, der Gründer der britischen Agentur Only Dead Fish stellt fest, dass der Trend zu Echtzeit-Marketing gleichzeitig bedeuten muss, dass die Marketing-Abteilungen schneller und agiler werden. Die Anbindung von Kampagnen an Live-Ereignisse oder an das aktuelle Wetter verlangt Agilität ebenso, wie die höhere Antwortgeschwindigkeit, die von den Kunden im Zeitalter von Social Media erwartet wird.

Technologie

Neben der Kampagnenautomatisierung und dem Internet der Dinge gibt es laufend technische Innovationen, die dem Marketing der Zukunft neue Perspektiven geben. Die spannendste technische Entwicklung ist natürlich BigData. Wenn es gelingt, die relevanten von den irrelevanten Datensätzen zu trennen und die Datenschätze aus Social Media zu heben, dann kann das Marketing eine neue Stufe der Personalisierung und somit Relevanz erreichen. Einer Umfrage von Adobe und Econsultancy zufolge setzen sechs Prozent der Marketer heute bereits Daten aus dem Social Graph für die Personalisierung ein und satte 88 Prozent glauben daran, dass diese Taktik eine starke Marken- oder Absatzwirkung hat.

Die Reisebranche nimmt sich diesem Thema bereits in vielen Bereichen recht sorgfältig an. Sie verfügt freilich zum Zeitpunkt der Buchung auch über einen wertvollen Datenschatz. Virgin America bietet Fluggästen seit Anfang des Jahres ein neues InFlight-Unterhaltungssystem, dass vollständig personalisiert ist und den Fliegenden zum Beispiel erlaubt, mit anderen Passagieren via Bildschirm zu chatten.

Nicht ganz ernst gemeint, aber eine nette Utopie zeigt KLM mit den Travel Predictions. Aus den persönlichen Facebook-Inhalten wird das Reiseprofil für den nächsten Urlaub zusammengestellt und auch eine Wahrscheinlichkeit berechnet, ob diese Reise angetreten wird. Interessant: KLM schlägt andere Frauen als Reisepartner vor als die eigene Lebenspartnerin. Was weiß KLM, was der User nicht weiß?

Und natürlich hat auch die Hardware Innovationspotential zu bieten, die das Marketing 2014 verändern. Wearables wie Google Glass oder das IFA-Highlight Samsung SmartWatch geben dem System Augmented Reality neue Nahrung. Tara de Marco, Social Strategist bei Bazaarvoice sieht das Thema Gestensteuerung als hochgradig spannend. Sie wünscht sich eine interaktive Ikeamöbel-Aufbauhilfe, die durch 3D-Kameras wie Microsofts Kinnect erkennt, an welchem Punkt der Aufbauanleitung der Nutzer gerade ins Stocken gerät. Interaktive Schminkberatung oder die virtuelle Shop-Garderobe im Wohnzimmer stehen bereits kurz vor Serienreife. Google arbeitet dem Vernehmen nach an einem Portal, bei dem sich Experten mit Kunden via Videokonferenz vernetzen. Das passt.

Und auch das Thema Konvergenz von klassischen und digitalen Medien erhält neue Nahrung. Gleich eine Handvoll Betriebe forschen an der Bedruckung von Papier mit preiswerten Schaltkreisen. Novalia zeigt bereits nahezu marktreife Ideen, etwa ein Plakat mit Konzertankündigungen. Tippt der Passant eines der Künstlerbilder an, so spielt sein Smartphone ein passendes Musikbeispiel ab.

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