Corona-Analysen: Digitale Chancen und Gefahren

Auch abseits der Statistiken zu den Infizierten, Genesenen oder Verstorbenen in der Corona-Krise gab es in den letzten Tagen eine Reihe von interessanten Zahlen und Untersuchungen zum Coronavirus und seinen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Die wichtigsten Ergebnisse für die Marketingbranche im Überblick.
Corona wirkt als Beschleuniger für die Digitalisierung der Wirtschaft. (© Freestocks / Unsplash)

Angst vor Cyberbedrohungen im Homeoffice

Die Pandemie stellt die IT-Strukturen und Digitalisierungserfolge in vielen Unternehmen auf eine harte Probe. Doch CIOs sehen sich überwiegend gut gewappnet, wie eine internationale Umfrage von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, zeigt: 84 Prozent der 150 Befragten bewerten ihre IT-Performance im Kontext von Corona als gut oder sehr gut, obwohl die Krise das Geschäft bei der Mehrheit spürbar trifft (70 Prozent). Die Umstellung auf das kollektive Homeoffice gelang 72 Prozent der CIOs in weniger als drei Tagen.

Während der laufende Betrieb somit rasch sichergestellt war, beschäftigen die IT-Leiter neue Herausforderungen abseits des Tagesgeschäfts. 63 Prozent befürchten neue Cyberbedrohungen, die etwa durch die Nutzung privater Netzwerke entstehen könnten. 38 Prozent sorgen sich, ob Bandbreite und Netzwerkkapazitäten an den Arbeitsplätzen zu Hause langfristig ausreichen, und ebenfalls 38 Prozent berichten von einer erhöhten Belastung der IT-Infrastruktur, die sie abfedern müssen. Trotz der krisenbedingten wirtschaftlichen Unsicherheit plant im Schnitt nur weniger als die Hälfte der Befragten (41 Prozent), die IT-Kosten noch im laufenden Jahr zu reduzieren. Höhere Quoten verzeichnen vor allem besonders betroffene Sparten wie die Konsumgüterbranche oder der Auto- und Industriesektor, wo 47 Prozent beziehungsweise 56 Prozent der CIOs Kosten einsparen möchten.

Krise sorgt für digitalen Weiterbildungsschub

Rund ein Drittel der deutschen Unternehmen setzten seit Beginn der Corona-Krise geplante Präsenzseminare teilweise oder sogar vollständig in digitaler Form fort. Entsprechend ist die Nutzung digitaler Lernmethoden im Rahmen der Weiterbildungsaktivitäten in 36 Prozent aller Unternehmen gestiegen. Trotz Krise weiteten zwölf Prozent der Befragten ihr Angebot sogar aus. Rund 26 Prozent der Unternehmen mussten ihre Weiterbildungsaktivitäten dagegen einschränken. Dies zeigt eine Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zum Stand der Weiterbildung während der Pandemie.

„Corona hat der Nutzung digitaler Lernangebote einen deutlichen Schub gegeben. Ihnen wird sicherlich auch nach Lockerung der Kontaktbeschränkungen ein höherer Stellenwert im Rahmen der Weiterbildung zukommen als noch vor der Pandemie. Die Krise trägt somit zur Beschleunigung der Digitalisierung im Rahmen der Weiterbildung bei“, sagt Regina Flake, Senior Economist am KOFA und Mitautorin der Studie.

Die Umfrage zeigt zudem, dass auch viele Unternehmen, deren Mitarbeitende sich in Kurzarbeit befinden, Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen haben. So gaben rund 15,7 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie die Zeit der Kurzarbeit für die Weiterbildung ihrer Teams nutzen, weitere 13,5 Prozent haben dies geplant.

Selbst verschuldete Digitalisierungsdefizite

Die Coronakrise hat mit einem Schlag Digitalisierungsdefizite öffentlich gemacht: überlastete Netze, Schulen ohne Homeschooling-Konzepte sowie Unternehmen und Behörden, die auf virtuelle Prozesse nicht vorbereitet waren. meinestadt.de hat erstmals Fachkräfte mit Berufsausbildung zur Digitalisierung der Arbeitswelt befragt. Es zeigt sich: Die Digitalisierungsdefizite deutscher Unternehmen und Behörden sind größtenteils selbst verschuldet. Knapp 60 Prozent der Arbeitgeber bieten keine Weiterbildungsmaßnahmen zu Digital-Kompetenzen an. Für die Studie hat das Marktforschungsinstitut respondi 2.020 Fachkräfte mit Berufsausbildung im Alter von 18 bis 64 Jahren befragt.

Fachkräfte sehen sich zwar insgesamt den Veränderungen gewachsen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Dennoch schätzen sie ihre persönlichen Kompetenzen, bei den immer digitaler werdenden Prozessen mithalten zu können, überwiegend als eher gering ein: 56,5 Prozent der Befragten ordnen sich auf einer Skala von 1 (sehr niedrig) bis 5 (sehr hoch) nur bei den Werten 1 bis 3 ein. Im Hinblick auf konkrete digitale Fähigkeiten fühlen sich Fachkräfte bei alltäglichen Tätigkeiten wie dem Umgang mit dem Smartphone oder den sozialen Medien noch fit oder sehr fit. Bei jobnahen Fähigkeiten wie virtueller Kommunikation oder dem Umgang mit großen Datenmengen fühlt sich die Mehrheit der Fachkräfte schon deutlich unsicherer.

Die Unternehmen sind am Qualifizierungsdefizit ihrer Fachkräfte nicht unbeteiligt. Auf die Frage, wie gut sich Fachkräfte von ihrem Arbeitgeber bei den Veränderungen durch die Digitalisierung unterstützt fühlen, antwortet nur knapp ein Drittel mit gut oder sehr gut. Rund ein Drittel fühlt sich mittelmäßig unterstützt und ein weiteres Drittel gar nicht gut. Nur 4,2 Prozent der Fachkräfte schreiben ihrem Betrieb eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung zu. 43,9 Prozent sind der Auffassung, ihr Betrieb tue „genug“, um auf dem neuesten Stand der Technik zu sein und 33,7 Prozent sehen in ihrem Unternehmen einen „Nachholbedarf bei der Digitalisierung“. Als Grund für den Nachholbedarf gibt die Mehrheit der Fachkräfte das mangelnde Engagement der Unternehmensleitung an (58,4 Prozent). Weitere Gründe sind Personalmangel, begrenzte finanzielle Möglichkeiten sowie Veränderungsresistenz in der Belegschaft und mangelndes Know-how im Betrieb.

Visual Search als Alternative zu Voice-Commerce

Die dritte Neuauflage der internationalen OMD-Studie „The Retail Revolution“ über die Verbreitung, Nutzung und Akzeptanz aufkommender AI-Technologien belegt die fortschreitende Nutzung visueller Suche in Deutschland. 81 Prozent der Befragten sind gegenüber Visual Search offen, 67 Prozent haben es bereits genutzt. Damit folgt Deutschland dem internationalen Trend. Auch wenn die Text-Suche weiterhin am häufigsten Anwendung findet, wächst die Suche mit Hilfe von Bildern dynamisch und bietet damit ein bislang unbeachtetes Marketing-Potenzial.

Der Mehrwert erschließt sich bei dieser technologischen Neuentwicklung für den User intuitiv – die Nutzung erfolgt ganz einfach über das Smartphone. So entwickelt sich Visual Search zur Alternative zu Voice-Commerce: Die grundsätzliche Offenheit der Deutschen für einen Einkauf mittels visueller Suche liegt mit 41 Prozent sogar deutlich über der Bereitschaft zum Shopping mit Hilfe von Sprachassistenten.

Nutzungsszenarien, die den Kaufprozess vereinfachen, kommen besonders gut an: So können sich 35 Prozent der Deutschen vorstellen, ein Kleidungsstück zu fotografieren, um ein ähnliches Produkt zu kaufen. Den Einsatz von Visual Search im Food-Bereich, um beispielsweise Lebensmittel mit der Kamerafunktion auf der Einkaufsliste zu ergänzen, würden etwa ein Drittel der Befragten in Deutschland nutzen. Darüber hinaus bietet Visual Search auch Möglichkeiten, um Kundenbeziehungen zu vertiefen: Services wie Reiseempfehlungen, Einrichtungsinspirationen oder vertiefende Anleitungen und Informationen via Visual Search zu erhalten, können sich über die Hälfte der Befragten vorstellen.

Defizite bei der Customer Experience

Der Online-Handel hat während der Krise deutlich an Schwung gewonnen. Kunden beurteilen das Einkaufserlebnis jedoch häufig als nicht zufriedenstellend. Das zeigt eine Studie von Forrester Consulting und Bloomreach. Dafür wurden weltweit Entscheider aus B2C- und B2B-Unternehmen einerseits sowie Konsumenten andererseits befragt, was ihnen vor der Pandemie wichtig war und was jetzt wichtig geworden ist.

Die Studienergebnisse zeigen, dass die Beschränkungen während der Corona-Pandemie das Kaufverhalten erheblich verändert haben:

  • 50 Prozent der Kunden haben Produkte im Internet bestellt, die sie noch nie online gekauft hatten. Das betrifft am häufigsten Lebensmittel, Haushaltswaren und Spielzeug
  • 70 Prozent haben insgesamt mehr als gewöhnlich eingekauft
  • Mehr als 90 Prozent gaben an, stationäre Geschäfte zu meiden, nicht notwendige Käufe zu vertagen und möglichst viel – oder sogar ausschließlich – online einzukaufen

Diese Beobachtungen spiegeln sich auf Seiten der Unternehmen wider, die schnell auf die veränderten Bedingungen reagieren mussten:

  • Bei 46 Prozent der Marken ist das digitale Geschäft gewachsen
  • 38 Prozent der befragten E-Commerce-Entscheider verzeichnen ein erhöhtes Suchvolumen auf ihren Online-Kanälen, 36 Prozent einen höheren Online-Traffic und 34 Prozent sehen mehr Online-Bestellungen
  • Zudem setzen 32 Prozent verstärkt auf Marktplätze wie Amazon, um ihre Online-Umsätze schnell zu steigern
  • Ebenfalls 32 Prozent betrachten die digitalen Kanäle als überlebenskritisch für ihr Geschäft

Die Einschätzungen deutscher B2C- und B2B-Kunden im Rahmen der Umfrage zeigen zudem, dass das digitale Einkaufserlebnis oft zu wünschen übrig lässt:

  • 72 Prozent der deutschen Kunden hatten Schwierigkeiten, als sie Waren online recherchieren und bestellen wollten: von unbefriedigenden Suchergebnissen über fehlende Informationen – wie etwa Produktbilder, Produktdaten, Bewertungen oder Lieferdetails – bis hin zu nicht vorrätiger Ware
  • Bei weniger als 20 Prozent war die letzte Online-Erfahrung vollständig personalisiert
  • Während der Einkauf auf einem Online-Marktplatz 47 Prozent aller Kunden zufriedengestellt hat, gilt dies bei Marken-Websites nur für 30 Prozent der Kunden und bei Mobile-Apps von Marken nur für 24 Prozent

Die unzulängliche Customer Experience resultiert unter anderem daraus, dass Unternehmen auf andere Aspekte Wert legen als die Kunden:

  • 82 Prozent der Konsumenten im B2C-Bereich wünschen sich Suchergebnisse, die ihnen die passenden Produkte anzeigen. Aber nur 45 Prozent der Unternehmen bieten die Möglichkeit, die Suchergebnisse nach Kategorien wie Preis, Marke, Stil etc. zu filtern
  • 80 Prozent der Kunden erwarten detaillierte Produktinformationen, doch gerade einmal 24 Prozent der Händler haben diesen Punkt auf ihrer Agenda
  • Eine einfache Navigation im Webshop ist für 76 Prozent der Kunden ein wichtiges Kriterium, während sich nur 46 Prozent der Händler darum bemühen

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Er hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.