Kettler – Comeback einer Kultmarke

Kettler ist tot, es lebe Kettler. Während das Traditionsunternehmen mehrfach in die Insolvenz rutschte und schließlich zerschlagen wurde, ist die Marke am Leben geblieben. Die einzelnen Sparten wanderten nach und nach unter das Dach neuer Eigentümer. Eine kleine Schweizer Firma hat sich die Rechte an Kettler Sport & Fitness gesichert und damit in turbulenten Zeiten den Neustart gewagt.
Melanie Lauer, CEO bei Trisport, kennt sich mit Transformationsprozessen bestens aus. (© Trisport)

Corona hat die Gesundheit gefördert. So absurd dieser Satz zunächst klingen mag, so hat die Pandemie doch für eines gesorgt: Viele Menschen sind an die frische Luft gegangen, sie haben sich bewegt und nach ihren Möglichkeiten sportlich betätigt – drinnen wie draußen. Weil die Fitnessstudios über Monate hinweg geschlossen bleiben mussten, haben sich Freizeit- und Hobbysportler im eigenen Haushalt mit Sportgeräten ausgestattet. Das hat den Herstellern von Fitnessgeräten eine Sonderkonjunktur beschert. „Mit mehr Produktionskapazitäten hätten wir den vier- bis fünffachen Umsatz machen können“, sagt Melanie Lauer.

Die 40-Jährige ist Vorstandschefin des Unternehmens Trisport, das bis vor knapp zwei Jahren höchstens Insidern des Schweizer Fitnessgerätemarktes ein Begriff gewesen sein dürfte. Die 1980 gegründete Firma aus Hünenberg am Zugersee war bis dahin Generalimporteur und Distributor für eine Handvoll Sportgerätemarken, die sie ausschließlich an Sportfachhändler in der Schweiz vertrieben hat – darunter auch die deutsche Traditionsmarke Kettler.

Das Aus kommt nach sieben Jahrzehnten

Rückblende: 2019 gehen – nach der dritten Insolvenz innerhalb von vier Jahren – endgültig die Lichter beim traditionsreichen Freizeitgerätehersteller aus dem Sauerland aus. 70 Jahre nach der Kettler-Gründung endet damit auch ein einstmals glorreiches Kapitel bundesdeutscher Wirtschaftsgeschichte. Das Kindertretauto Kettcar und das Alu-Rad dürften den meisten Menschen über 30 ein Begriff sein. Die Zerschlagung der Marke hatte schon 2015 während der ersten Insolvenz begonnen, als die Kettler-Fahrradsparte an den Zweirad-Fachhandelsverband ZEG verkauft wurde und sich in der Folge als unabhängige Kettler Alu-Rad GmbH auf Expansionskurs begab.

Nun stehen Ende 2019 auch die Lizenzrechte an den übrigen vier Produktsparten Home & Garden, Kind & Spiel, Tischtennis sowie Sport & Fitness zum Verkauf. Trisport greift bei Letzterem zu und sichert sich damit die Rechte und Patente an den Produkten Heimtrainer, Crosstrainer, Laufbänder, Rudergeräte und Kraftstationen.

Mit dem Erwerb der europaweiten Markenrechte von Kettler Sport beginnt für das kleine Schweizer Unternehmen eine neue Zeitrechnung: Die Firma, die bis dato rund ein Dutzend Beschäftigte hat, steht vor einem gewaltigen Umbruch. Um diesen zu managen, wird Melanie Lauer geholt, die sich neben Marketing, Vertrieb und Produktmanagement auch mit Transformationsprozessen bestens auskennt. Ähnliches hat sie zuvor beim Elektronikhändler Conrad Electronic begleitet, wo sie das internationale B-to-B-Marketing verantwortete. Dennoch sei die neue Aufgabe noch mal eine Nummer größer, sagt die Münchnerin: „Kettler ist das größte Change-Projekt, das ich begleiten darf, und eines der größten, das mir aktuell bekannt ist.“

Das gesamte Führungsteam wird ausgetauscht, neben Lauer gibt es heute einen COO und einen CFO, und die Zahl der Beschäftigten wird sukzessive auf mehr als 40 ausgebaut – Tendenz steigend. Darüber hinaus wird eine Reihe von externen Agenturen beauftragt, etwa für Bereiche wie Design, Produktentwicklung, Marketing und PR. Bei der Suche nach neuem Personal verlässt das Unternehmen die eingetretenen Pfade: „Unabhängig von Corona war uns bewusst, dass wir die besten Mitarbeiter nicht nach Hünenberg in der Schweiz bekommen, also rekrutieren wir Fachkräfte auch außerhalb und geben ihnen die Möglichkeit, nicht umziehen zu müssen“, sagt Lauer.

Produktionsgüter per Zug nach China

Als größte Herausforderungen im ersten Jahr bezeichnet Lauer den Aufbau von Produktions- sowie internationalen Vertriebs- und Logistikstrukturen. Die alte Firma Kettler habe ungefähr die Hälfte ihrer Heimsportgeräte selbst in Deutschland produziert und die andere Hälfte in Taiwan und China produzieren lassen. Diese Lieferantenkontakte hat Trisport aufrechterhalten und noch ausgebaut: „Wir haben über acht Tonnen Werkzeuge aus der Insolvenzmasse herausgekauft und per Zug nach China gebracht. Dann haben wir mit diesen Werkzeugen innerhalb von sechs Wochen eine neue Produktionslinie aufgebaut. Dadurch konnten wir die Qualität weiter sicherstellen“, erinnert sich Lauer.

Nach mehr als einem Jahr Produktionsstillstand liefen ab Juni 2020 schließlich wieder Sportgeräte vom Band. Unterdessen war die Akquise-Abteilung nicht untätig, immerhin galt es, einen komplett neuen Kundenstamm aufzubauen. Mit den Lizenzrechten der Marke hatte Trisport zwar Zugriff auf die Patente und Designs sowie auf bestehende Lieferanten, aber nicht auf frühere Kundendaten. „Als im Dezember 2019 die Verträge unterzeichnet wurden, hatten wir keinen einzigen Vertriebskontakt außerhalb der Schweiz“, sagt Lauer. Innerhalb eines Jahres konnten die Schweizer 130 Sportfachhändler in der DACH-Region an sich binden. Sie sind mittlerweile in 26 europäischen Ländern vertreten.

Corona beeinflusst die Lieferkette

Inzwischen war die Nachfrage nach Fitnessgeräten infolge des Lockdowns regelrecht explodiert. Jeder Hersteller wollte mehr produzieren, die Werke kamen nicht hinterher, was auch zu Lieferverzögerungen und ausverkauften Sortimenten bei Trisport geführt habe. Auch im Logistikbereich hat die Pandemie zu erheblichen Verwerfungen geführt: Die Containerpreise haben sich von rund 1500 US-Dollar vor Corona auf heute fast 17.000 US-Dollar mehr als verzehnfacht. Die Materialpreise, etwa für Kunststoff und Stahl, sind zum Teil um die Hälfte teurer geworden. In der Folge stiegen die Preise für Fitnessgeräte branchenweit um bis zu 15 Prozent an. Das sei allerdings „Jammern auf hohem Niveau“, räumt die Managerin ein: „Wir haben durch den Fitnessboom in den eigenen vier Wänden auch ordentlich Schub gewonnen.“

Am Ende durfte man sich in Hünenberg über den gelungenen Neustart freuen: „Wir wollten unbedingt vom ersten Jahr an profitabel sein und das haben wir erreicht. Es war aber nur möglich, weil wir so schnell wieder produziert haben“, sagt Lauer. Seinen Umsatz nennt das Unternehmen nicht, die Geschäftsführerin sagt immerhin: „Wir sind auf einem sehr guten Weg, wieder die alte Größe von Kettler zu erreichen.“ Im Bereich der Fitnessgeräte waren dies zuletzt rund 100 Millionen Euro. Der Trisport-Umsatz vor der Übernahme der Marke Kettler war weniger als ein Zehntel davon.

Die Transformation der kleinen Schweizer Handelsgesellschaft zum europaweit agierenden Sportgerätehersteller ist im Eiltempo erfolgt. Die nächsten Schritte sollen nun vor allem in den Bereichen Produkt-Innovationen und Markenpflege erfolgen. Lauer beschreibt es so: „Kettler war einmal ein großer Innovationstreiber, der seine Innovationskraft irgendwann auf der Strecke verloren hat und vergleichbar mit anderen Marken wurde. Diesen innovativen Kern haben wir wieder ausgegraben und nun wollen wir der Marke wieder den Raum geben, den sie verdient hat.“

Design stärker am Lifestyle ausgerichtet

Die Basis ist beachtlich: In Europa hat die Marke Kettler eine ungestützte Markenbekanntheit von 73 Prozent, in Deutschland über 90 Prozent. Die hohe emotionale Verbundenheit zur Marke speist sich meist aus positiven Kindheitserinnerungen. „Bei mir war es der Heimtrainer meiner Eltern, bei anderen ist es das Kettcar oder die Tischtennisplatte“, sagt Lauer. Der Niedergang des Unternehmens habe nichts mit den Produkten oder dem Renommee der Marke zu tun gehabt. Umso trauriger sei es für Trisport und andere Händler und Vertriebspartner gewesen, mitansehen zu müssen, wie die Marke stirbt. Damit wäre ein Stück große Historie im Sportartikelbereich vom Markt verschwunden.

Nun die Rolle rückwärts. Das Comeback. Lauer beschreibt, was vom traditionellen Markenkern erhalten bleiben soll und was sie gerne ändern möchte: „Innovation, Emotionalität, Verbundenheit und Qualität sind die Werte, die wir beibehalten wollen. Gleichzeitig entwickeln wir uns in den Lifestylebereich hinein und machen die Marke frisch, modern und hip.“

Die Optik der neuen Produktlinie ist für Fitnessgeräte außergewöhnlich: Die Heimtrainer sind nicht in Weiß oder Schwarz, sondern in weichem Gelb, Mintgrün, Kupfer, Hellgrau oder Anthrazit erhältlich. Sie sollen optisch besser in eine Wohnung integriert werden können, anstatt darin wie Fremdkörper zu wirken. Das Design setzt den klobigen Formen klassischer Fitnessgeräte etwas entgegen, das sich mit Attributen wie „schlank“, „elegant“, „minimalistisch“, „futuristisch“ oder „dekorativ“ beschreiben lässt. Lauer erklärt die Idee hinter dem Design, das vom Grazer Designer Julian Hönig – einem der Köpfe hinter der Apple Watch – und der Londoner Agentur Forpeople entwickelt wurde: „Fitnessgeräte sind heute alle sehr vergleichbar, sowohl von den Maßen und Leistungen als auch vom Aussehen.
Da sticht kein Produkt besonders heraus. Wir wollen herausstechen und wieder eine Ikone sein.“ Eine Nähe zu den jüngsten Innovationen von Apple – farbigen iMacs und iPads – ist nicht zu verleugnen.

Die neue Gerätegeneration trägt den Markennamen: Hoi by Kettler. Die Buchstaben stehen für „Home of Innovation“ und ergeben gleichzeitig eine beliebte Grußformel in der Schweiz. Bis 2023 will Trisport 80 Prozent seines Kettler-Sortiments auf diese Weise erneuern. „Wir sind immer noch der Marktführer in Deutschland vom Branding-Wert her, aber damit packen wir noch eine richtige Schippe drauf“, kündigt Lauer an.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Artikels. Den vollständigen Artikel finden Sie im aktuellen Printmagazin der absatzwirtschaft, das Sie hier abonnieren können.

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.