CMO-Headhunter Dr. Michael M. Meier: „Im Vorteil sehe ich den Business Leader“

Die Bedeutung des Marketings als Disziplin ganzheitlicher Unternehmensführung heizt aktuell viele Diskussionen an – zuletzt etwa unter dem Titel „Back into Leadership“ beim Deutschen Marketingtag. Der Blick auf Besetzungen für Führungsaufgaben spiegelt indes Anerkennung wider: Wie der ehemalige Chief Marketing Officer (CMO) von McDonald’s, Matthias Becker, der jetzt als neuer Präsident der WMF AG das gesamte Konsumgeschäft verantwortet, so starteten in das Jahr 2014 auch andere Marketer in Top-Positionen der Unternehmensführung. Dr. Michael M. Meier, Co-Leader der globalen CMO-Practice der Personalberatung Egon Zehnder im Interview über Befähigungen und Chancen als führende Strategen.

Herr Dr. Meier, wird 2014 ein Jahr für Marketer in Top-Positionen?

DR. MICHAEL M. MEIER: Wie jedes Jahr gibt es einige spannende Wechsel im Marketing, sowohl in Deutschland als auch international. Es zeigt sich, dass deutsche Marketer sich auch auf dem internationalen Parkett gut behaupten, insbesondere in den USA.

Sinken oder steigen die Chancen zur Übertragung von Führungsaufgaben?

MEIER: Die Chancen steigen momentan eher wieder. Die Besetzungen folgen einem gewissen Zyklus, der jetzt wieder Marketer verstärkt in Führungspositionen befördert. Zuvor waren es oft CFOs. Allerdings hängt es auch stark von den Branchen ab, so sind Marketer immer noch stärker in Konsumgüterunternehmen gefragt. Grundsätzlich hat die Orientierung an Kunden und Märkten in Unternehmen an Bedeutung gewonnen, so dass Marketer qua Ausbildung hierfür besonders prädestiniert sind. Wir haben die Kompetenzen von CFO, CMO und CEO miteinander verglichen. Danach ähnelt das Profil des CMO relativ dem des CEO. Von den Grundkompetenzen ist der CMO also prädestiniert, irgendwann auch CEO zu werden.

Beim Deutschen Marketing-Tag hieß es zuletzt, dass 25 Prozent der CEO aller DAX-Unternehmen mittlerweile schon ehemalige Manager aus Marketing und Vertrieb seien. Decken sich diese Werte mit Ihren Beobachtungen?

MEIER: Die Zahl ist klasse, sollte man aber nach Branchen hinterfragen. Der überwiegende Anteil unter den 25 Prozent wird zudem sicher aus dem Vertrieb kommen. Ich denke da etwa an CEO Kasper Rorsted von Henkel oder Herbert Hainer von Adidas. Wenn wir uns von den DAX-30-Unternehmen entfernen, gibt es aber schon schöne Beispiele für CMO-Karrieren. Um die Gesamtverantwortung für ein Unternehmen zu übernehmen, muss man als Manager allerdings Marketing breit definieren – die rein kreative Sicht reicht dann nicht mehr.

Marketing- und markengetriebene Unternehmen sind nachweislich erfolgreicher. Entsprechend gewinnt zwar die Bedeutung von Marketing als Disziplin für mehr Wertschöpfung, gleichwohl befinden sich Marketer verstärkt unter Rechtfertigungsdruck. Woran liegt das Ihrer Meinung?

MEIER: Es ist sicher so, dass der Druck steigt. Das Marketing verantwortet eben hohe Budgets, für die es in der Vergangenheit aber leider oft mangelnde Erfolgsnachweise gab. Der Kostenblock nimmt sogar noch zu, denn die digitale Welt verlangt nach noch mehr Geld. Mittlerweile gibt es aber deutlich bessere Erfolgskennzahlen-Kontrollen, die zu Standards auch im Marketing werden.

Weniger Marketingkommunikation und mehr Unternehmensstrategie – wäre das Ihre Empfehlung, um dem Marketing wieder mehr Leadership-Charakter zu geben?

MEIER: Das bringt es sehr gut auf den Punkt. Die strategische Rolle sollte so verstanden und ausgefüllt werden. Ein Marketer kann nur dann CEO werden, wenn er seine Kompetenz und seine Karriere entsprechend fortentwickelt. Ein reines Kommunikations-Know-how ist eine Sackgasse, in die sich aber leider viele Marketer begeben.

Im vergangenen Jahr 2013 haben sich verstärkt Studien mit der Rolle des Marketings und der Marketer beschäftigt – insbesondere mit dem Selbstverständnis und der Fremdsicht. Besteht hier so ein großer Unterschied?

MEIER: Nein, die Erwartungen sind kongruent. Marketer wollen in ihren Unternehmen viel Einfluss gewinnen, auch auf das Produktportfolio und die Vertriebskanäle. Und auch in den Unternehmen erwartet man mehr von ihnen als nur die Marketingkommunikation. Viele Marketer wollen mehr, können es aber nicht. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft ein Delta, das es aufzulösen gilt. Die Bereitschaft, das Marketing auf ein hohes Level zu führen, ist also in den Unternehmen vorhanden. Vielmehr steht häufig die Frage im Raum, ob die Person, die gerade als Marketingentscheider an Bord ist, die richtige dafür ist.

Fällt Ihnen ein vorbildliches Beispiel ein, wo es passt?

MEIER: Auf jeden Fall. Claudia Willvonseder kam einst von der Agentur Saatchi & Saatchi zu IKEA und ist heute für die weltweite Markenführung des schwedischen Möbelkonzerns verantwortlich.

Zehnder hat unter dem Titel „CMO redefined“ eine Evolution mit dem Begriff „Kladogenese“ beschrieben. Was kann man aus den Ergebnissen schließen?

MEIER: Zunächst einmal, dass Trends aus unterschiedlichen Ländern verschiedene Impulse für die Funktion gesetzt haben. Nehmen wir nur die Arbeit in Wachstumsmärkten der Schwellenländer. Wir haben aus allen Anforderungen in fünf Kategorien zehn Begriffspaare gegenübergestellt – etwa den Digital Expert versus Marketing Traditionalist oder den Business Leader versus Marketing Guru. Zunächst einmal ergeben sich daraus für Marketer deutlich mehr Karrierewege. Ein CMO, der später einmal CEO werden will, muss für alle Anforderungen möglichst viele verschiedene Positionen innegehabt haben. Der Traditionalist denkt eher strategisch, der Digitale eher taktisch. Zwar sind die Zweitgenannten derzeit stark gefragt, aber beide müssen mehr Kompetenz aufbauen. Im Vorteil sehe ich den Business Leader, der ganzheitlich strategisch denkt. Kampagnen können heute täglich angepasst werden, die Arbeit der CMO wird zunehmend situationsbezogen – je nach Branche, Land oder Markt ist eine der zehn Skills mal weniger, mal stärker gefragt.

Andere Studien belegen, dass Marketer ihren Einfluss auf den Unternehmenserfolg zwar hoch bewerten, aber dass sich dies nicht im Karriereerfolg widerspiegelt. Ist das Selbstmitleid oder in der Tat ein echtes Dilemma?

MEIER: Die Mischung aus beiden ist sicher richtig. Ich denke, dass es innerhalb der Organisationsform eines Unternehmens immer möglich ist, das Marketing prominent aufzuhängen. Das muss nicht immer im Vorstand oder in der Geschäftsführung sein. Ich bin davon überzeugt, dass der Einfluss des Marketings groß ist und höher als er zum Teil von außen gesehen wird. Ich kann zwar auch ein echtes Dilemma halbwegs nachvollziehen, sehe aber vor allem, dass bevor man einen Marketer in eine exponierte Position befördert, er dazu die Persönlichkeit mitbringen muss. An Kompetenzen als Business Leader fehlt es aber leider nicht selten – und zwar häufig an strategischer Orientierung.

Bieten Unternehmen dem Marketingnachwuchs hier genug Raum zur Entfaltung?

MEIER: Ausschreibende sollten sicher auch verstärkt Aufgaben schaffen, mit denen sie den young professionals eine Geschäftsverantwortung übertragen. Nachwuchsmarketer so gezielt zu fördern, daran fehlt es überwiegend noch. Ein Marketing orientiert am Gesamtgeschäft ist insbesondere im B-to-B-Bereich noch zu wenig ausgeprägt, nicht nur in der Talentförderung.

Welche großen Erwartungen verknüpfen Ihre Auftraggeber an das Wirken von Marketern in Top-Positionen?

MEIER: Im Gegensatz zum Wirken des Vertriebsverantwortlichen mit seiner kurzfristigen Ausrichtung knüpfen Unternehmen an den Marketer vor allem große Erwartungen an seine langfristige Orientierung speziell aus Markt- und Kundenperspektive und an seine Steuerungsfähigkeiten hinsichtlich des Produktportfolios. Also Antworten auf die Frage: Mit welchem Produkt erreichen wir unsere Kunden am besten – und das in Kooperation mit Vertrieb und Technik? Ein gutes Beispiel dafür finden wir in der Verpackungsindustrie, die viele Jahre rein technisch orientiert war. Heute zeigt sich die Branche stark innovativ auf Kundenbedürfnisse zugeschnitten, was auch auf Marketer in Top-Positionen zurückgeht. Da geht es um Individualisierung, um Verschlüsse oder um grafische Elemente auf der Dose. Das Marketing wird auch in diesen B-to-B-Geschäften immer wichtiger – etwa auch bei Klebstoffen oder Spezialchemie.

Welche Kompetenzen sind heute von CMOs gefragt, die morgen CEO werden wollen?

MEIER: Ganz klar die strategischen Kompetenzen inklusive einer ausgeprägten Markt- und Kundenorientierung. Die Fähigkeiten zum Vorantreiben von Veränderungen und zur Entwicklung der Zusammenarbeit mit Partnern und in der Teamführung kommen hinzu. Alleskönner statt Silodenker sind gefragt.

Mit diesen Führungsqualitäten steht dem CMO auch die Zukunft als CEO offen?

MEIER: Ja, damit kann er in die höchsten Rollen vordringen. Ob als CMO oder als CEO – die Kunst besteht doch darin, eine Wertschöpfungskette zu orchestrieren. Dieses Rüstzeug befähigt den CMO, zum CEO heute und auch morgen zu werden. Übrigens werden auch Aufsichtsratsposten verstärkt an Persönlichkeiten vergeben, die explizit eine Markt- und Kundenperspektive in das Kontrollorgan einbringen.

Wie viel Prozent sind bei solch‘ einer steilen Karriere vom Glück oder vom Können bestimmt?

MEIER: (lacht) Vom Glück oder vom Können? Nun, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, ist immer wichtig. Wettbewerber, die einen bremsen, oder ein Chef, der einen nicht fördert, gehört zur Entwicklung manchmal auch dazu. Das erleben aber alle. Entscheidend ist, wie man damit umgeht. Wir nennen die Eigenschaft „Resilience“, also so etwas wie Widerstandskraft. Dieser Charakterzug ist ein wesentliches Unterscheidungskriterium bei geglückten und weniger geglückten Karrieren, haben wir in Studien messbar ermittelt. Sich trotz widriger Umstände durchzubeißen gehört halt dazu, also das Projekt, die Aufgabe, die Herausforderung zum Erfolg zu führen. Kurzum: Glück, aber auch der richtige Charakter gehören dazu.

Investieren Unternehmen genug dafür, diese Stärken zu entwickeln?

MEIER: Fakt ist, dass noch zu viele Unternehmen in der Personalentwicklung relativ schwach sind. Programme haben oft nicht den durchschlagenden Erfolg. Es scheitert oft an der Disziplin und der Konsequenz, diese Programme über Jahre hinweg umzusetzen. Es ist vergleichbar mit einer durchgängigen Markenführung. Die HR-Abteilungen erhalten hier zu selten Unterstützung, die Personalentwicklung ist vielerorts verbesserungswürdig. Allerdings nimmt angesichts des demographischen Wandels die Bedeutung im Bewusstsein von Unternehmensentscheidern zu. Dazu zählt auch das Talent-Management. Die Botschaft hinsichtlich künftig fehlender Führungskräfte ist angekommen, das gilt auch für Marketing-Talente.

Das Interview führte Thorsten Garber.