Chatbots – „Eine Frage des kleineren Übels“

Achim Himmelreich, Capgemini-Manager und Vizepräsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW), spricht im Interview über die Zukunft von Chatbots.
Chatbots
BVDW-Experte Himmelreich: "Ich gehe davon aus, dass wir 2020 die ersten richtig guten KI-basierten Chatbots sehen werden." (© Unsplash)

Herr Himmelreich, ein US-amerikanischer Blog schrieb kürzlich: „Chatbots and smart speaker are the same thing“. Das war uns, ehrlich gesagt, neu.

ACHIM HIMMELREICH: Das stimmt auch nicht. Irgendwann werden diese Technologien und Devices sicher zusammenwachsen. Aber derzeit gibt es noch eine klare Unterscheidung zwischen text- oder voicebasierten Chatbots auf der einen Seite und digitalen Sprachassistenten wie Siri & Co auf der anderen Seite.

Dennoch ist unser Eindruck: Je schlauer die Sprachassistenten werden, desto dümmer wirken Chatbots.

Das kann man eigentlich nicht vergleichen. Digitale Sprachassistenten haben das Ziel, den gesamten Dialog zwischen Mensch und Maschine so perfekt wie möglich abzubilden. Das wird in nicht allzu ferner Zukunft auch gelingen. Chatbots hingegen haben jetzt und auch später eine ganz gezielte, fest umrissene Kommunikationsaufgabe. Sie können beispielsweise den Kunden bei einer Buchungsanfrage helfen. Nicht mehr und nicht weniger.

KI-Experte Chris Boos hat mal gesagt: „Chatbots sind kompletter Unsinn, weil Menschen im Service mit Menschen und nicht mit Maschinen sprechen wollen.“ Wir nehmen an, Sie sehen das anders?

Nein. Chris Boos hat damit vollkommen Recht. Menschen wollen per se nicht mit Bots sprechen. Doch würden beispielsweise bei den Airlines weiterhin sämtliche Serviceanfragen persönlich beantwortet, wären die Flüge deutlich teurer. Und das wollen die Menschen noch viel weniger. Letztlich ist es also eine Frage des kleineren Übels beziehungsweise der Effizienz.

Achim Himmelreich, Vizepräsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW)

Viele Studien sagen allerdings, dass inzwischen zumindest junge Menschen, lieber mit Chatbots kommunizieren.

Das ist in der Tat ein Punkt. Jüngere Generationen sind es stärker gewohnt, mit Maschinen zu kommunizieren und wollen möglichst schnell Kontakt aufnehmen. Sie suchen dabei immer weniger den direkten Dialog mit Unternehmen. In diesem Kontext kann man auch die hohe Nutzung von Sprachnachrichten über Messenger-Dienste sehen.

Dennoch gibt es derzeit einen heftigen Expertenstreit. Die einen sagen „2020 wird das Jahr der Chatbots“, die anderen sagen „Chatbots sind so gut wie tot“. Was denken Sie?

Ich stehe ziemlich genau in der Mitte und würde sagen: 2020 wird das Jahr, in dem sich die Spreu vom Weizen trennt. Es wird sehr viel bessere Chatbots geben. Als Konsumenten haben wir alle bislang eher nervige Erfahrungen mit Chatbots gemacht, weil sie einfach noch nicht so intuitiv und leistungsstark sind, wie wir uns das wünschen.

Und diese Chatbots werden nun erfreulicherweise bald aussterben?

Ehrlich gesagt fürchte ich, dass einige Firmen auch künftig mit dieser Art von Chatbots weitermachen werden. Darüber hinaus aber werden andere Unternehmen neue Generationen von Chatbots implementieren, die auf Künstlicher Intelligenz basieren. KI macht Chatbots einerseits bei Spracherkennung sehr viel genauer und analysiert andererseits den Sinn der Kundenfragen sehr viel besser, so dass sie letztlich auch sehr viel komplexere Antworten geben können. Bislang war das bei den meisten Chatbots nicht der Fall. KI-basierte Chatbots werden deshalb, um im Bild zu bleiben, künftig der Weizen sein. Doch auch die Spreu wird bleiben.

Welche Unternehmen werden ihre Kunden denn weiterhin freiwillig mit nicht KI-basierten, also eher nervigen Chatbots, behelligen – die Sparsamen oder die Doofen?

Um in Ihrer Terminologie zu bleiben: wohl eher die Doofen. Aber das Wording trifft es nicht ganz, weil es dabei weder um Geld noch um Klugheit geht. KI-basierte Chatbots können zeitnah nur jene Unternehmen implementieren, die sich ohnehin bereits auf den Weg gemacht haben, ein datenbasiertes Unternehmen zu werden. Für KI-Chatbots braucht man einfach sehr viele Daten. Deshalb haben Chatbots der neuen Generation nur dort Sinn, wo man eine entsprechende IT-Infrastruktur und datenzentrierte Kultur etabliert hat.

Nicht zuletzt deshalb gibt es auch Branchenkenner, die KI-basierte Chatbots frühestens 2025 in nennenswerter Zahl auf dem Markt sehen.

Da bin ich optimistischer. Ich gehe davon aus, dass wir 2020 die ersten richtig guten KI-basierten Chatbots sehen werden.

Das Interview erschien zuerst in der Print-Ausgabe 01/02 2020 der absatzwirtschaft, deren Schwerpunkt das Thema „Software im Marketing“ war. Alle Print-Ausgaben, einzeln oder im Abo, können Sie hier bestellen.

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.