Befragung zu Protesten um Stuttgart 21

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hat erstmals die Motive und Einstellungen der Demonstranten gegen das Bahn-Projekt Stuttgart 21 untersucht. Die ersten Ergebnisse der aktuellen Befragung zeigen: Die Protestierenden stammen mehrheitlich aus der linken Mitte. Es treibt sie – neben dem Protest gegen den unterirdischen Bahnhofsneubau – vor allem der Wunsch nach mehr direkter Demokratie. Sie haben außerdem eine hohe Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam.

Die Protestforscher des WZB verteilten bei einer Kundgebung gegen Stuttgart 21 im Schlossgarten im Oktober 1 500 Fragebögen an Demonstranten und erhielten mehr als 800 ausgefüllt zurück, eine Rücklaufquote von 54 Prozent. Als Hauptmotive gegen Stuttgart 21 würden vor allem die hohen Kosten des Projekts, Demokratiedefizite bei der Projektplanung und beim Umgang mit den Demonstrierenden sowie Profite auf Seiten der Banken und Baukonzerne genannt. Die ersten Ergebnisse der Befragung zeigten auch, dass in Stuttgart nicht in erster Linie die konservativen Bürger auf die Straße gehen: Die Demonstranten ordneten sich überwiegend der linken Mitte zu.

Es seien kritische Demokraten, die ihren Protest gegen Stuttgart 21 als Chance sehen, sich für eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch direktdemokratische Verfahren einzusetzen, und die ihre große Unzufriedenheit mit der Bundes- und Landesregierung ausdrücken wollen. Für viele der Befragten sei die Polizeigewalt bei der Räumung des Schlossgartens am 30. September ein Schlüsselerlebnis gewesen, bei dem das Vertrauen in die Landesregierung völlig erschüttert worden sei. Die Demonstranten seien mit 84 Prozent weitaus unzufriedener mit dem Funktionieren der Demokratie als der Rest der Bevölkerung, denn beim Deutschlandtrend der ARD hätten sich im Juli 51 Prozent unzufrieden gezeigt.

Über 50 Prozent der Demonstranten sind der Umfrage zufolge zwischen 40 und 54 Jahre alt; jünger als 25 Jahre sind sieben Prozent. Die Gruppe der Rentner ist mit 14 Prozent kleiner als oftmals vermutet. In Stuttgart gingen die Akademiker auf die Straße: Die Hälfte der Befragten habe einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss. Es gebe massive Vertrauensdefizite für die Parteien, die Stuttgart 21 vorangetrieben haben. Festzustellen sei eine deutliche Verschiebung der Parteibindung hin zu Bündnis 90/Die Grünen. Wären am Sonntag Wahlen, würden 80 Prozent der Befragten auf Landesebene und 75 Prozent auf Bundesebene die Grünen wählen. Und ein weiterer wichtiger Befund: 90 Prozent der Protestierenden in Stuttgart seien bereit, ihre Ziele auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams, zum Beispiel mit Besetzungen und Blockaden, zu erreichen.

www.wzb.eu

Stuttgart 21 ist auch das Thema der Kolumne des Physikers und Kabarettisten Vince Ebert in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift absatzwirtschaft. Er sieht in den Bürgerprotesten einen Fall von Krisen-PR: Hätte der Bahn-Konzern das Projekt besser kommunizieren können? Wenn ja, wie? Und hätte das die Gegenseite wirklich besänftigt? Seine Antworten fielen vielleicht positiv aus, wenn Auseinandersetzungen und Krisengespräche von Fachwissen statt geschmeidigen Phrasen geprägt wären …
Die vollständige Kolumne lesen Sie in absatzwirtschaft 11-2010.

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