Bahnbrechende Innovation oder typisches Blasenprojekt? Der Traum vom Hyperloop

Es passiert immer wieder: Eine spektakuläre Idee begeistert eine Community – obwohl vieles gegen ihre Realisierung spricht. Das jüngste Beispiel für Visionsmarketing, der Hyperloop, ist so erfolgreich, dass er womöglich tatsächlich gebaut wird.

Sogar Versicherungen glauben an die Zukunft des Hyperloops. Vor drei Monaten gab der Münchener Rückversicherer Munich Re eine Kooperation mit dem Start-up Hyperloop Transportation Technologies (HTT) bekannt, um die Entwicklung des futuristischen Verkehrsmittels zu unterstützen: „Munich Re hält die durch HTT entwickelte Hyperloop-Technologie mittelfristig für realisierbar und auch versicherbar.“

Hyperloop, das ist die Idee, Passagierkapseln mit 1 100 Kilometern in der Stunde durch Vakuumröhren zu katapultieren – eine Art Rohrpost für Menschen. Das Konzept ist noch nirgendwo realisiert, nicht einmal eine Teststrecke gibt es. Doch die Hoffnungen sind groß: Schneller, kostengünstiger und ressourcensparender als herkömmliche Transportmittel soll der Hyperloop sein. Wenn sich selbst die seriösen Münchener darauf einlassen, ist das wohl der Durchbruch. Oder?

Wie so oft lohnt sich ein Blick in die Historie. Im Geschäftsbericht 1996/97 der Münchener Rück, wie sich die Munich Re damals noch nannte, heißt es: „Im Bereich der Magnetschwebebahnen verfolgt und rückversichert die Münchener Rück seit Langem die Entwicklung des Transrapid.“ Weiter wird auf die Swissmetro verwiesen, „ein faszinierendes Projekt auf Basis derselben Technologie“, das Städte wie Zürich, Bern und Basel durch eine 400 Kilometer schnelle Untergrundbahn verbinden sollte. Aus alldem wurde bekanntlich – nichts.

Es ist nicht so einfach mit den Visionen. Auch im Jahr fünf nach dem Start scheiden sich die Geister am Projekt Hyperloop. Seine Anhänger sehen in ihm eine bahnbrechende Innovation, eine Revolution des Verkehrswesens. Für Skeptiker ist es ein typisches Blasenprojekt, ermöglicht von Wunschdenken und billigem Kapital. Sicher ist nur eins: Noch nie hat das Marketing für ein tollkühnes Vorhaben so gut funktioniert.

Hyperloop und Musk – eine unschlagbare Kombination

Es war Elon Musk, der Silicon-Valley-Star, der im August 2013 mit seinem White Paper „Hyperloop Alpha“ den Anstoß gab. Ein besseres Gesicht hätte man sich für die Kampagne nicht wünschen können. Musks Ruf als Innovator und Visionär ist legendär, seit er mit SpaceX ein privates Weltraumunternehmen gründete und mit Tesla ein glänzend vermarktetes Elektroauto auf die Straße brachte. Nun also ein Hyperloop.

Klingt gut. Aber: Bislang hat Musk mit der kommerziellen Umsetzung des Projekts gar nichts zu tun. Vielmehr sind es Start-ups wie HTT und Hyperloop One, die sich um marktreife Lösungen bemühen. Musk hat in sie kein Geld investiert und berät sie auch nicht. Die einzige Verbindung zwischen ihm und dem Projekt sind technische Wettbewerbe seiner Firma SpaceX. Die freilich dienen in erster Linie der Rekrutierung begabter Ingenieure und haben mit dem, was die Start-ups planen, wenig zu tun.

Und trotzdem ist der Name Musk für die Öffentlichkeit untrennbar mit dem Hyperloop verknüpft. Das zeigt, wie stark seine Marke ist und wie groß das Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion: Beim Hyperloop geht es um technische und ökonomische Fragen, die Wissen und Urteilsvermögen der meisten Menschen deutlich übersteigen. Wie viel leichter ist es da, an einen Heilsbringer zu glauben, als komplizierte Technik zu verstehen. „Musk traut man zu, über Wasser zu wandeln“, sagt Florian Haller, Hauptgeschäftsführer der Münchener Agentur Serviceplan.

Der Zauber liegt im morgen und im übermorgen

Tatsächlich weiß heute niemand, ob der Hyperloop jemals gebaut wird. Technisch halten die meisten Experten den Kapseltransport in einer Röhre mit Unterdruck für realisierbar. Weitaus problematischer ist die Tatsache, dass für das Verkehrsmittel eine komplett neue Infrastruktur erforderlich ist. Günter Löffler beispielsweise, Professor für Schienenfahrzeugbau an der Technischen Universität Dresden, kann sich nicht vorstellen, „dass ein völlig neues Verkehrssystem realisiert werden kann“. Die Hyperloop-Trasse wäre ein Fremdkörper in einer über Jahrhunderte hinweg gewachsenen Transportstruktur, ihre Einbindung mit hohen Kosten verbunden. Und wie bei jedem großen Innovationsprojekt dürfte der Kapitalbedarf sämtliche Prognosen übersteigen, weil sich Risiken und Probleme erst im Projektverlauf zeigen – es gibt ja keine Erfahrungen.

Wenn sich private Investoren, von denen HTT und Hyperloop One abhängen, gleichwohl auf das Abenteuer einlassen, dann hat das auch mit der Sehnsucht nach einer besseren Zukunft zu tun. „Wir leben in einer Erwartungsgesellschaft“, sagt der schwedische Marketingprofessor Micael Dahlén. Markenwerte würden „immer mehr vom Produktversprechen der Zukunft“ bestimmt. Übertragen auf den Hyperloop heißt das: Es kommt nicht darauf an, was heute geschieht, sondern was für morgen versprochen wird. Die Start-up-Gründer preisen den Hyperloop als Beginn eines neuen Verkehrszeitalters wie das Fliegen oder die Weltraumfahrt. „Sie machen nicht den Fehler, das Projekt zu entzaubern“, sagt Haller. „Sie verkaufen es auch als Traum.“

Technische Träumereien gab es auch früher schon, von der Magnetschwebebahn Transrapid bis zum Cargolifter, der als weltgrößtes Luftschiff gebaut werden sollte (siehe Kasten). Doch es waren, gemessen am Hyperloop, eher kleine und nationale Fangemeinden. Es gab die sozialen Medien noch nicht, die einen globalen Hype hätten auslösen können. Für die Macher des Hyperloop sdagegen sind sie ein perfektes Instrument, um den Traum mit immer neuen Erfolgsmeldungen am Leben zu halten. Die Vision trägt sich selbst.

Auch Brünns Bürgermeister will den Hyperloop

Dazu tragen auch etablierte Unternehmen bei wie die Schweizer Oerlikon,  Leybold und der spanische Techkonzern Carbures, die sich an der Entwicklung beteiligen. Die weltumspannende Fangemeinde des Hyperloops ist eine seltene Gelegenheit für B-to-B-Unternehmen, sich vor einer breiten Öffentlichkeit als mutig und innovativ zu vermarkten. Die Start-ups wiederum profitieren von dem Know-how und der Glaubwürdigkeit der Spezialisten. Haller: „Sie brauchen diese bodenständigen Partner.“

Auch mit der Politik funktioniert das Prinzip der wechselseitigen Bestätigung. Der Bürgermeister im tschechischen Brno (Brünn), Petr Vokrál, unterzeichnete eine Absichtserklärung, seine Stadt per Hyperloop an Prag anzuschließen; der russische Präsident Wladimir Putin träumt von einer Schnellverbindung nach Peking; die Vereinigten Arabischen Emirate haben eine Machbarkeitsstudie für einen Hyperloop zwischen Dubai und Abu Dhabi vergeben. Das hebt nicht nur das Image, sondern auch den Auftrags- und potenziellen Börsenwert der jungen Firmen.

Ginge es nur nach dem Marketing, stünden die Chancen für den Hyperloop gut. Selten war eine Unternehmermarke so stark wie die von Musk und noch nie gab es eine Firma wie HTT, die von einer Community von mehr als 60 000 Menschen getragen wird (siehe Interview). HTT-CEO Dirk Ahlborn jedenfalls ist sicher, dass seine Firma selbst dann nicht untergeht, wenn es mit der Menschenrohrpost nichts werden sollte – so viel Wissen zu Technik, Verkehrskonzepten und digitalem Kundenservice hat HTT bereits gesammelt.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.